Direkte Demokratie

Lasst die Bürger den Präsidenten wählen!

Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um neun Grad Celsius weht am 26.02.2015 auf dem Schloss Bellevue in Berlin die Dienstflagge des Bundespräsidenten, die sich farbenprächtig vor dem blauen Himmel abhebt.
Die Flagge des Bundespräsidenten weht am Schloss Bellevue in Berlin. © Wolfgang Kumm/dpa
Von Marcel Schütz · 13.09.2017
Auf Plakaten, im Fernsehduell: Schulz und Merkel erwecken den Anschein, sie stünden zur Wahl ins Kanzleramt. Das ist aber keineswegs so. Die Direktwahl von Staatsämtern gibt es bei uns nicht. Wenigstens den Bundespräsidenten als Ersatzmonarchen könnte man aber ruhig vom Volk wählen lassen, meint Marcel Schütz.
Deutschland hat keine Präsidialdemokratie. Die Macht jedes Staatsamtes soll in engen Grenzen wirken. "Weimar" lautet das mahnende Stichwort. De jure gibt es daran keinen Zweifel. De facto aber ist das Land seit 1949 Kanzlerrepublik. Kanzlermehrheit, Kanzlerbonus, Kanzlerduell erinnern daran – das Kanzleramt überstrahlt alle anderen politischen Instanzen.
Mithin existiert eine Sehnsucht nach direkter Wahl, die sich in "Sonntagsfragen" zu fiktiven Kanzlerduellen widerspiegelt. Doch im politischen Establishment besteht die Auffassung, dass ein solches Votum nicht in die bundespolitische Landschaft passt.
Und der Bundespräsident? Warum wird er oder sie nicht direkt gewählt?

In der Bundesversammlung gibt es keine normalen Bürger

Bei einer Direktwahl durch die Bürger müssten die Parteien auf Einfluss verzichten: Ausgerechnet die Besetzung des höchsten Amtes im Staat wird durch das niedriger stehende Kanzleramt vorarrangiert. Irritierender als der Umstand, dass der Präsident nicht vom Volk gewählt wird, ist die Art und Weise, wie er ins Amt kommt. Für die Bundesversammlung tritt der Bundestag mit Vertretern der Länder zusammen. Nicht nur mit Spitzenpolitikern, sondern auch Prominenten: Sportlern, Stars und Sternchen.
Otto und Erna Normalbürger sucht man hier vergebens. Dafür sollen Iris Berben, Joachim Löw und Peter Maffay die Mitte der Gesellschaft repräsentieren.
Natürlich hätte eine Direktwahl politische Folgen. Aber diese werden von Kritikern entweder heruntergespielt oder überspitzt. Einerseits wird unterschätzt, dass auch kleine symbolische Änderungen beachtlichen Einfluss auf die informellen Spiele der Politik üben können. Dem direkt gewählten Präsidenten müsste man nicht weit größere Kompetenzen übertragen. Allein seine unmittelbare Bestallung ermöglichte ein dezentes Gegengewicht zur Regierung.

Die Angst vor einem politisierten Präsidenten ist unbegründet

Der Präsident würde wegen seiner Distanz gewiss nicht mehr politisiert als heute auch. Warum scheut man etwas mehr Dynamik? Richard von Weizsäcker sagte einmal, erst ein direkt gewählter Präsident könne wirklich über den Parteien stehen. Horst Köhler sah es ähnlich. Andererseits wird die Gefahr unbotsamer Amtsführung überschätzt.
Weder gibt es heutzutage Weimarer Notverordnungen, noch fehlt es an Mitteln, einen derangierten Staatschef in seine Schranken zu weisen. Die Erfindung der Bundesversammlung war das Resultat eines abgrundtiefen Misstrauens des Staatsgründer gegenüber dem eigenen Volk, wie der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim anmerkt. Passt ein solches Organ noch in unsere Zeit?
Zugegeben, der Präsident als Bundesobernotar ist für die Republik nicht systemrelevant und könnte etwa auch vom Verfassungsgericht mitverwaltet werden. Aber wenn er, reichlich mystifiziert, schon in der Welt ist, wird man ihn schwerlich abschaffen können. Das Stellenprofil hat sich ohnehin erst im Lauf der Zeit entwickelt. Abseits der Öffentlichkeit mussten die Kanzler und Präsidenten ihr Verhältnis stets im Stillen zwischen Konflikt und Kooperation austarieren.

Bliebe die FDP als Regierungspartei bei ihren Ansichten?

So verhandelte Theodor Heuss mit Konrad Adenauer, was der Präsident dürfe und was nicht. Und Adenauer wollte später vom Regierungs- zum Staatschef werden, bis er im Grundgesetz nachlas, dass der gar nicht regieren kann. Schmuck und Glanz von Bellevue sind heute eine sanfte Reminiszenz an blaublütige Zeiten – nur ohne Durchgriffsmacht.
Wenn eine große Mehrheit der Bürger einen anderen Weg als den gegenwärtigen wünscht, den Staatschef ins Amt zu bringen, kann eine Revision nicht verkehrt sein. Gewiss, Pro und Contra sind so eindeutig nicht. Oder, wie Johannes Rau meinte, darüber sei zu diskutieren. Österreich böte so ein diskutables Beispiel. Das Machtkalkül der Parteien steht dem vermutlich im Weg. Doch wie keine andere hat die FDP immer wieder eine Volkswahl des Präsidenten propagiert. Ob sie sich nach einem etwaigen Regierungseintritt daran noch erinnern mag?

Marcel Schütz ist Promotionsstipendiat des Landes Niedersachen an der Universität Oldenburg. Er lehrt Soziologie und Betriebswirtschaft an der Universität Bielefeld und der Northern Business School Hamburg. Forschung über Reform und Veränderung in Organisationen.

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