Diktatur als Slapstick

Die isolierteste Diktatur der Welt ist in "Das geraubte Leben des Waisen Jun Do" Schauplatz einer beklemmenden Verwechslungskomödie. In seinem Nordkorea-Roman zieht der US-amerikanische Schriftsteller Adam Johnson alle Register - und erhielt dafür den Pulitzer-Preis.
Ob Pak Jun Do tatsächlich Sohn des Waisenhaus-Direktors von "Frohe Zukunft" ist, bleibt unklar. Der nämlich bestraft ihn besonders gerne und entlässt ihn wie all die anderen elternlosen Kinder: als Verschiebemasse eines totalitären Systems. Dem Hunger zu entkommen, heißt unerfüllbare, grausame, aberwitzige Aufgaben zu übernehmen. Der Roman ist in der wohl isoliertesten Diktatur überhaupt, in Nordkorea, angesiedelt.

Jun Do wird ins Dunkel der Gräben unter der entmilitarisierten Zone geschickt und als Kidnapper an Japans Küsten. Er erledigt, was zu tun ist, darf Englisch lernen, soll auf hoher See englischsprachige Radiosendungen mitschreiben und schließlich eine Delegation nach Texas begleiten. Das alles enthält fast slapstickhafte Momente und zeigt einen Unbedarften bei dem Versuch, sich einen Reim zu machen auf die ihm unbekannte Welt, auf Willkür und Irrationalität – mit all den Finten und der Paranoia, die ein totalitäres System hervorruft.

Einer, der vor allem zu überleben versucht – als Täter und als Opfer und dabei immer im Kopf hat, dass die Überwachungsorgane mehr wissen als er selbst in der Lage ist sich vorzustellen und das auf ihre unberechenbare Weise interpretieren. Darum handelt der Roman immer wieder auch von Geschichten und vom Erzählen, von richtigen, falschen, propagandistisch gedrehten Aspekten möglicher Realität – und davon, wie man sich "einen inneren Rückzugsort" schafft, einen unverletzbaren Kern, der sich der totalen Kontrolle entzieht.

Nach allen Regeln der Creative-Writing-Kunst
Schließlich begibt sich der amerikanische Schriftsteller Adam Johnson, der in Stanford Fiction und Creative Writing unterrichtet und ein Faible für hoffnungslose Konstellationen und Orte hat, in den Realismus von Lagern, von Verhören und Folter – und damit mitten hinein in schwärzeste Gewalt. Im zweiten Teil des Romans wechselt er gewissermaßen das Genre, schwenkt ein in eine beklemmende Verwechslungskomödie. Jun Do nimmt die Identität von Kommandant Ga an, Minister für Gefängnisbergwerke, Held und Gegenspieler des Geliebten Führers Kim Jong Il und wird damit Gatte der viel bewunderten Schauspielerin Sun Moon, die jedoch keine Rollen mehr bekommt. Jun Do, der "Mann ohne Eigenschaften" stolpert nicht mehr durchs Leben, sondern macht sich zur Aufgabe, Sun Moon und deren Kinder zu retten und außer Landes zu bringen.

Johnson spielt nach allen Regeln der Creative-Writing-Kunst mit Revolutionskitsch und – versatzstücken, mit Kolportage und filmischen Elementen. In seinen Roman hat all das Eingang gefunden, was aus Nordkorea bekannt scheint: der allgegenwärtige Hunger, die Existenz von Lagern, die Vorliebe des großen Führers für Filme bis hin zum Kidnapping südkoreanischer Schauspieler, die aberwitzigen Propagandaanstrengungen, die Fixierung auf Feinde von außen bei gleichzeitig vollständiger Abschottung. Es gibt kein Fernsehen in Nordkorea, das den Bewohnern zeigen würde, wie es anderswo auf der Welt aussieht. Und da das Draußen keine realistische Kontur gewinnt, kann der Autor Seltsamkeiten, Zusammengereimtes und Halbwissen erfinden.

Adam Johnson hat ganz gewiss kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman, eine Fiktion. Die sollte man nicht als Tatsachenbericht aus dem weitgehend unbekannten Nordkorea lesen – auch wenn die Neugier auf Stoff von dort unter Umständen die Jury des Pulitzer Preises beeinflusst haben mag. Mitte April, als er vergeben wurde, war das Verhältnis zwischen Nord- und Südkorea und damit zum Westen wegen der Raketentests wieder einmal auf einem Tiefpunkt angelangt. Dass wir es mit Fiktion zu tun haben, zeigt im Übrigen auch das USA-Bild, das Johnson zeichnet: ein ebenfalls verrücktes, von Klischees überbordendes Land.

Besprochen von Barbara Wahlster

Adam Johnson: "Das geraubte Leben des Waisen Jun Do"
Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
687 Seiten, 22,95 Euro