DIHK: Deutschland muss Grenzen für Fachkräfte öffnen

Moderation: Marie Sagenschneider · 12.07.2007
Angesichts des drohenden Fachkräftemangels in Deutschland hat der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, für ausländische Fachkräfte einen vereinfachten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt gefordert. Dazu gehöre, den bisher geltenden Einkommensnachweis von 85.000 Euro im Jahr deutlich zu senken, sagte Wansleben. Er sprach sich für eine Grenze von 60.000 Euro aus.
Marie Sagenschneider: Fachkräfte händeringend gesucht – 20.000 offene Stellen hat die IT-Branche im Angebot, ebenso viele Ingenieure werden benötigt und auf Elektriker warten sogar knapp 25.000 freie Stellen. Tja, das hat man nun davon, dass die Wirtschaft wieder in Schwung gekommen ist. Die Arbeitslosenzahlen sinken kontinuierlich und plötzlich fällt dann doch auf, dass es an Fachkräften mangelt – was man ja eigentlich auch schon vorher gewusst hat.

Was aber tun? Muss das Zuwanderungsgesetz geändert, müssen die Hürden für ausländische Arbeitnehmer gesenkt werden, oder liegen hier diejenigen richtig, die darauf verweisen, dass es ja doch zahlreiche deutsche Fachkräfte gibt, die immer noch arbeitslos sind und dass man dieses Potential erst mal ausschöpfen sollte. Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Martin Wansleben sprechen. Er ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Guten Morgen, Herr Wansleben.

Martin Wansleben: Guten Morgen, Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Macht es sich die Wirtschaft zu leicht, wenn sie jetzt immer wieder fordert, die Hürden für ausländische Arbeitskräfte zu senken?

Wansleben: Gut, ich meine wir fordern ja nicht nur isoliert, dass wir ausländische Fachkräfte brauchen, sondern wir sagen, das Ganze muss Teil einer Gesamtstrategie sein. Aber richtig ist auch, wir können nicht von heute auf morgen die Qualifikation häufig finden auf dem Arbeitsmarkt. Sie haben in der Anmoderation leere Stellen genannt: Insofern ist es richtig, wenn wir versuchen, zum Beispiel denjenigen, die bei uns studiert haben auf unsere Kosten, dann auch die Möglichkeit zu geben, bei uns zu arbeiten, anstatt meinetwegen nach Amerika zu gehen und dort erfolgreich zu sein.

Sagenschneider: Sie meinen ausländische Studierende, die hier studiert haben?

Wansleben: Ich meine ausländische Studierende. Ja, die haben hier studiert, die können Deutsch, wir haben das Studium bezahlt und anschließend sagen wir, und tschüss. Das leistet sich kein anderes Land auf der Welt.

Sagenschneider: Aber das ginge jetzt eigentlich kaum, weil dem das Zuwanderungsgesetz im Wege stehen würde, oder?

Wansleben: Also im Moment ist das sehr, sehr schwierig. Man muss sehr kompliziert nachweisen, dass man keinen Deutschen gefunden hat, bis hin auch zu Einkommensgrenzen. Insofern sagen wir, ein vereinfachtes Verfahren und 40.000 Euro Einkommensgrenze, und dann können diejenigen, die hier studiert haben - also Ausländer, die hier studiert haben - ihr Studium erfolgreich beendet haben, bitte hier auch arbeiten.

Denn wir brauchen händeringend Ingenieure. Ich will Ihnen eine andere Zahl nennen. Die Anzahl der Absolventen im Maschinenbaustudium hat sich in den letzten zehn Jahren schlicht halbiert. Und gleichzeitig ist der Maschinenbau einer unserer Herzbranchen. Also wir können uns gar nicht leisten, den Maschinenbau hier in Deutschland zu kurz kommen zu lassen.

Sagenschneider: Ich komme noch mal auf die Einkommensgrenzen zurück. Es ist ja so, wer aus einem Nicht-EU-Land kommt und hier eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis haben will, der muss nach dem jetzigen Stand 85.000 Euro im Jahr verdienen. Jetzt gibt es Überlegungen, auf 60.000 Euro herunter zu gehen, aber dann wären Sie mit ihren 40.000 für Berufsanfänger auch nicht unbedingt dabei.

Wansleben: Jetzt haben Sie zwei Dinge angesprochen, die man auseinanderhalten muss. Sie haben erst mal zu Recht gesagt, Nicht-EU-Land. Also das Erste ist erst mal, was wir uns innerhalb der EU leisten: Deutschland ist ja hier ganz rigide und behält die Grenzen dicht. Da sagen wir auch, lass uns mal lieber überlegen, wie wir die Grenzen ein bisschen öffnen. Und das Zweite ist, die Einkommensgrenze, das ist richtig, die muss sinken. Wir sagen 63.000, 65.000 Euro, 85.000 Euro ist viel, viel zu hoch. 60.000 Euro, was Frau Schavan auch sagt, ist genau richtig. Wir müssen hier eine Gesamtstrategie haben, und zwar nicht nur, das ist uns wichtig, vor dem Hintergrund einer aktuellen Situation.

Denn wir müssen uns natürlich einstellen darauf, dass die Demographie von uns verlangt, hier in Deutschland dennoch Kapazitäten vorhalten zu können und unternehmerische Kapazitäten nutzen zu können im Interesse aller derer, die hier in Deutschland leben. Und je weniger wir werden, desto besser müssen wir sein, das ist ein Teil der Gesamtstrategie, also Bildung, Bildung, Bildung, und natürlich auch desto offener müssen wir werden.

Und im Übrigen, lassen Sie mich das noch erwähnen, es ist ja nicht nur die Frage, dass wir vom Ausland her Fachkräfte anziehen müssen, sondern unsere inländischen Fachkräfte sind ja die ausländischen Fachkräfte unserer Nachbarn. Das heißt also, wir müssen eine Gesamtstrategie machen, um wirklich attraktiv zu sein für die besten Fach- und Führungskräfte, für die Deutschen und für Ausländische.

Sagenschneider: Das sind schöne Ziele für die Zukunft. Die Bundesagentur für Arbeit allerdings meint: Wenn man jetzt alle Möglichkeiten nutzten würde, dann bräuchte man derzeit eigentlich noch nicht Fachkräfte aus dem Ausland.

Und sie hat das konkret benannt und sagt, die Unternehmen wollen halt keine Arbeitnehmer, die über 50 sind, und Ingenieurinnen sind doppelt so oft arbeitslos wie ihre männlichen Kollegen, also Frauen sind eben auch nicht en vogue. Insofern stellt sich ja durchaus die Frage, ob hier nicht die Unternehmen dringend umdenken müssten, ob der Fehler nicht auch bei den Unternehmen liegt.

Wansleben: Jetzt müssen wir erst mal natürlich sehen, mit diesem gigantischen Aufschwung hat nun wirklich keiner gerechnet. Also kenne zumindest keinen, der damit gerechnet hat. Wir haben es ja uns vielleicht auch gar nicht getraut, damit zu rechnen, weil wir waren über Jahre etwas völlig anderes gewöhnt. Das heißt, dass wir jetzt ein gutes Stück auch überrascht werden von diesem gigantischen Aufschwung, das sollte uns eigentlich froh machen und nicht jetzt sofort nach Schuldigen suchen, wer das nicht vorhergesehen hat.

Denn wir haben ja in den letzten Jahren einen gigantischen Abbau der Beschäftigung gehabt, was auch gar nicht anders möglich war. Das glaube ich, muss man erst mal sagen. Das Zweite ist, die Bundesagentur hat natürlich Recht, wenn sie das jetzt rein mathematisch sieht. Von heute auf morgen geht es nicht. Aber sie hat auch Recht, wenn sie das insgesamt fordert. Das ist auch ein Teil von der Gesamtstrategie, von der ich eben gesprochen habe. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir alle miteinander umdenken müssen. Also Firmen müssen viel stärker als ehedem bereit sein, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heranzubilden. Man bekommt nicht mehr jede Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt. Lebenslanges Lernen ist dann immer weniger ein Schlagwort, sondern ist dann wirklich etwas, dem sich die Einzelnen stellen müssen, natürlich auch das Unternehmen.

Denken Sie alleine an das ganze Thema, was Frau von der Leyen fährt. Das ist ja nicht nur ein weiches Thema nach dem Motto, wir finden es süß, wenn die Menschen Kinder kriegen, sondern das ist natürlich auch ein Thema, dass Frauen arbeiten gehen können – was Sie angesprochen haben, arbeitslose Ingenieurinnen. Das heißt, wir müssen Familie und Beruf besser hinkriegen. Und das Thema Ältere, was Sie angesprochen haben, stimmt völlig. Hier werden wir eine – ja, ich will nicht sagen, Enttabuisierung, aber hier werden wir eine völlig andere Entwicklung sehen, da bin ich mir sicher, aber auch einleiten müssen.

Wenn jemand 50 oder 55 ist, den kann man einstellen, aber - und das gehört mit zur Realität - der muss sich natürlich auch sagen lassen, hör mal, auf dich kommt es doch an für die nächsten zehn oder 15 Jahre. Du kannst ja nicht einfach sagen, na ja, ich mach noch so ein bisschen weiter wie bisher und irgendwie wird es schon noch reichen.

Sagenschneider: Und trotzdem hat man den Eindruck, Herr Wansleben, dass sich da doch viele Unternehmen auf dem bisherigen Stand ausruhen und nicht so intensiv in Weiterbildung sich engagieren oder auch in Ausbildung, wie es eigentlich vonnöten wäre.

Wansleben: Ja gut, aber wenn ich mir jetzt die Ausbildungszahlen angucke im Ausbildungspakt: Im letzten Jahr plus fünf Prozent, in diesem Jahr deuten sich ganz klar plus zehn Prozent an. Also da kann man jetzt nicht sagen, die Unternehmen tun nicht viel. Sie engagieren sich immer stärker, sich merken natürlich, dass sie dringend Arbeitskräfte brauchen. Insofern glaube ich, sollten wir nicht so pessimistisch sein. Aber es ist natürlich gar keine Frage, angesichts von nennenswert über drei Millionen Arbeitslosen, da bleibt noch eine Menge zu tun.

Sagenschneider: Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.

Wansleben: Ich danke Ihnen.