„Smart City“ Etteln

Wie ein Dorf zum Vorreiter der Digitalisierung wurde

Leerrohre für Glasfaserkabel schauen an einem Feldweg aus dem Boden heraus.
Schnelles Internet über Glasfaserkabel ist die Voraussetzung dafür, dass Digitalisierung auch in ländlichen Gegenden möglich ist © picture alliance / Jochen Tack
Deutschland gilt in Sachen Digitalisierung als abgehängt. Doch in Etteln, einem Dorf mit 1750 Bewohnern in Nordrhein-Westfalen, ist alles anders. Wie Digitalisierung gelingen kann, wenn der Wille dazu da ist.
Nicht Hongkong, Tokio oder Kalkutta - Etteln in der Nähe von Paderborn ist die beste Smart City der Welt. Im Oktober 2024 wurde das Dorf bei einem weltweiten Wettbewerb des Ingenieurverbands für Elektrotechnik und Informatik IEEE in Thailand ausgezeichnet.
Dabei gilt Deutschland als Nachzügler bei der Digitalisierung – ob beim Ausbau des Mobilfunknetzes, in der Verwaltung oder an Schulen. Das Beispiel Etteln zeigt, dass es auch anders geht. Doch wie hat das Dorf geschafft, was im Rest der Bundesrepublik oft schier unmöglich scheint?

Mit Digitalisierung den Wegzug aufhalten

Begonnen hat alles vor zwölf Jahren, erklärt Christine Wegner, Projektmanagerin für die Digitalisierung in Etteln. „Aus der Not heraus hat sich das Dorf auf den Weg gemacht und überlegt, was wir tun können, um Abwanderung zu verhindern.“ Etteln wollte für jüngere Menschen attraktiver werden und kam auf das Thema Digitalisierung.
Seitdem wurde eine Reihe von Projekten für digitale Lösungen umgesetzt. Als erster Schritt wurden die Voraussetzungen geschaffen: mit einem Glasfaseranschluss für jedes Haus im Ort.

Glasfaseranschluss für jedes Haus

Wie in vielen anderen Orten verlegte die Firma Glasfaser Deutschland nur im Dorfkern von Etteln ihre Kabel. Die Dorfgemeinschaft entschied aber, dass auch die abgelegensten Höfe schnelles Internet bekommen sollen – und verlegte die Kabel zu den verbliebenen Häusern mit viel Eigeninitiative selbst.
„Es war ganz klar die Ansage: Egal wie aufwändig das ist, es wird jeder angeschlossen“ sagt Günter Gordon, Eigentümer einer alten Mühle in Etteln. Seine beiden Söhne, die ebenfalls dort wohnen, arbeiteten oft im Homeoffice, berichtet er. „Und das ist erst möglich, seitdem wir hier Glasfaser haben.“
Ein Mobilfunkmast steht in ländlicher Umgebung.
Ebenfalls ein wichtiges Element für digitale Angebote im ländlichen Raum: Handyempfang© picture alliance / dpa / Martin Schutt
Der Zusammenhalt und das Engagement der Dorfgemeinschaft sei die Basis für die gesamte Entwicklung gewesen, betont Projektmanagerin Wegner. Eine wichtige Triebfeder dafür sei der Verein „Etteln aktiv“, der sich ursprünglich gründete, weil die Grundschule im Dorf schließen sollte, erzählt Wegner. Inzwischen kümmert sich der Verein hauptsächlich um die vielen Digitalisierungsprojekte in Etteln.

Digitalisierung für mehr Lebensqualität

Dazu gehört zum Beispiel die Dorf-App „Crossiety“, über die sich die Einwohnerinnen und Einwohner austauschen können. 850 Bürgerinnen und Bürger seien dort angemeldet, 500 von ihnen nutzten die App monatlich, sagt Ortsvorsteher Ulrich Ahle. „Wir haben dort einen digitalen Dorfplatz, wo wir Neuigkeiten austauschen“. Außerdem gebe es einen Veranstaltungskalender und eine Hilfedatenbank, wo man Hilfsgesuche und Angebote einstellen könne. „Letztens habe ich den Schreibtisch vom Bürgermeister gekauft, den habe ich auch über Crossiety gekriegt“, sagt Claudia Günter vom Verein „Etteln aktiv“.
Die Digitalisierung in Etteln sei kein Selbstzweck, betont Vereinsvorstand Elmar Schäfer. „Letztlich soll es dazu dienen, dass mehr Leben im Dorf stattfindet.“
Zu den weiteren Digitalisierungsprojekten in Etteln zählen eine digitale Mitfahrbank, ein E-Auto, das alle Einwohner kostenlos per App buchen können, sowie digitale Stelen im Dorf mit Informationen über Veranstaltungen, Vereine oder Kommunalpolitik.

Digitaler Dorfzwilling hilft beim Hochwasserschutz

Außerdem nutzt Etteln die energiesparende Funktechnologie LoRaWAN (Long Range Wide Area Network), um Daten zu erheben und zu übermitteln. „Wir haben über dieses Funknetz eine ganze Menge Sensoren angebunden“, erklärt Ortsvorsteher Ahlen. Sie messen unter anderem die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit, den Grundwasserpegel, den Flusspegel, die Regenmengen und den Füllstand der Altkleidercontainer.
Mithilfe dieser Daten, und durch Drohnenaufnahmen des ganzen Dorfes, entstand auch ein digitaler Zwilling – also ein digitales Abbild von Etteln. Mit Daten, die über einen langen Zeitraum gesammelt wurden, könne man etwa Simulationen zum Hochwasserschutz erstellen, erklärt Projektmanagerin Wegner. „Über die Jahre werden Messdaten aufgenommen – Flusspegel, Bodenfeuchte, Wasserstandsmeldungen und Regenwassermeldungen.“ So könne man bestimmte Szenarien besser abschätzen und Frühwarnungen herausgeben. Auch der Datenschutz wird in dem Projekt mitgedacht: Personenbezogene Daten würden nicht erhoben, stellt Wegner klar.
Finanziert werden die Digitalisierungsprojekte in Etteln – neben dem ehrenamtlichen Engagement der Einwohner – ausschließlich durch Förderungen. „Es gibt sehr, sehr viele Förderprogramme – auf regionaler Ebene, auf Bundesebene, auf EU-Ebene“, sagt Ahler. Sieben Förderungen habe Etteln bisher für seine Digitalisierungsstrategie erhalten.
Das Ziel, den Wegzug aufzuhalten, hat Etteln inzwischen längst erreicht. Man sei jetzt attraktiv, stoße inzwischen aber an Grenzen, sagt Ahler. „Wir haben aktuell keine Bauplätze mehr.“

kau
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