Digitales Studium

"Der virtuelle Hörsaal ist Realität"

Das Café St. Oberholz in Berlin-Mitte
E-Learning ermöglicht es Studierenden zum Beispiel, in der eigenen Wohnung oder im Café Kurse zu belegen. © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Stefanie Quade im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 17.03.2017
Deutsche Hochschulen setzten zunehmend auf digitales Lehren und Lernen, sagt die Dozentin Stefanie Quade. Im internationalen Vergleich gebe es vielerorts noch Aufholbedarf, an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin habe sich "Blended Learning" aber im Studienalltag bewährt.
Viele deutsche Hochschulen machen sich derzeit auf den Weg in den digitalen Hörsaal. Allerdings stecke Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch in den Anfängen, sagte die Dozentin Stefanie Quade im Deutschlandradio Kultur. Es gebe zwar einzelne Hochschulen, die seit Jahren verschiedene E-Learning-Modelle und Strategien verfolgten, aber solche Projekte seien im Ausland oft schon weiter fortgeschritten. "Von daher haben wir da noch wirklich Luft nach oben", sagte die Trainerin für E-Didaktik und E-Learning. "Für mich ist es halt keine Frage mehr, ob man sich da anschließt oder nicht, denn die Welt digitalisiert sich so oder so." Es sei deshalb die Frage, wie Aus- und Weiterbilder darauf reagierten und die Kompetenzen der Zukunft für die Studenten anbieten.

Die Vorlesung als Audio-Podcast

An der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin werde E-Learning bereits mit Erfolg praktiziert, sagte Quade. "Der virtuelle Hörsaal ist mittlerweile Realität", stellte sie mit Blick auf die Berliner Hochschule fest. Seit dem Wintersemester gebe es an der Fachhochschule erstmals einen ganzen Studiengang "Bachelor Business Administration", der in ein "Blended Learning Format" umgewandelt worden sei. Dabei werde kein Standardformat vorgegeben, sondern den Studenten würden vielfältige Angebote gemacht. Es gebe Audio-Podcasts oder Videos von Vorlesungen der Dozenten im Hörsaal, aber auch virtuelle Realitäten oder Unterricht mit virtuellen Figuren, sogenannten Avataren.

Das Beste aus zwei Welten

"Ganz besonders bewährt habe sich dabei das "Blended Learning"-Konzept", bei dem Online-Angebote mit der Präsenz in der Hochschule geschickt verbunden werde. "Wir sagen immer, das ist das Beste aus zwei Welten", sagte Quade. "Das Wichtigste dabei ist einfach, einen roten Faden zu spinnen zwischen der Online- und der Präsenzwelt und da haben wir gute Erfahrungen mit gemacht." Da werde beispielsweise die Vorbereitung oder Nachbereitung eines Seminars mit dem Dozenten Online ausgelagert, um die Zeit im Seminar stärker für aktive Gruppenarbeit zu nutzen.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Freitagmorgen, noch ein bisschen früh, ohne Frage, um sich auf den Weg in die Uni zu machen, liebe Studentinnen und Studenten. Aber vielleicht haben Sie und andere, die sich noch zu gut daran erinnern können, schon einen Kaffee in der Hand, um aufmerksam mitzudenken, wenn wir jetzt über eine Frage nachdenken: wie viel Hörsaal eigentlich noch nötig ist! 20 Projekte deutschlandweit untersuchen derzeit, wie digitales Lernen und Lehren ein Studium verbessern können, unter dem Schlagwort "Auf dem Weg zum virtuellen Hörsaal". Und wir machen uns auf diesen Weg heute Morgen mit Stefanie Quade, Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, und Trainerin im Bereich E-Didaktik und E-Learning. Guten Morgen!
Stefanie Quade: Guten Morgen!
Frenzel: Ich bleibe mal beim Freitagmorgen-Bild, nicht mehr aufstehen müssen, sondern nur noch den Laptop aufklappen! Ist das eine nahe Realität, wenn wir vom virtuellen Hörsaal sprechen?
Quade: Ja, das kann ich bestätigen, das ist wirklich Realität mittlerweile. Also, an der Hochschule für Wirtschaft und Recht praktizieren wir seit Jahren verschiedene Formen von E-Learning, oder auch Blended Learning genannt. Und wir haben mittlerweile, seit dem letzten Wintersemester, erstmalig einen kompletten Studiengang, den "Bachelor Business Administration", in ein Blended-Learning-Format umgewandelt.
Frenzel: Aber das heißt, wie stelle ich mir diesen E-Learning-Teil vor? So, dass dann wirklich quasi so eine Art Livestreaming oder Video stattfindet, wo man einen Dozenten vor sich hat, oder sind das eher andere Bereiche?
Quade: Das ist ganz vielfältig. Und es ist auch ganz wichtig, dass wir da nicht nur ein Standardformat vorgeben, eine Art Konserve, sondern wir haben wirklich von Audiopodcasts bis hin zu Videos, also sogenannte Screencasts, entweder nur von einer Präsentation oder auch Aufzeichnung von Dozenten im Hörsaal, bis hin zu kompletten virtuellen Realitäten und Unterricht mit Avataren alles dabei. Ganz besonders bewährt hat sich eben das sogenannte Blended-Learning-Konzept. Wir sagen immer, das ist so das Beste aus zwei Welten.
Frenzel: Blended, also wo man verschiedene Sachen quasi übereinanderlegt?
Quade: Blended heißt einfach, ich mische Online-Anteile mit Präsenz-Anteilen. Der riesige Vorteil ist, dass der Dozent mit den Studierenden halt nach wie vor eine echte Präsenzerfahrung hat, man lernt sich kennen, man hat einfach eine ganz andere Bindung zueinander, man hat also diesen klassischen seminaristischen Unterricht in dem Klassenraum, kommt zusammen, kann aber Teile auslagern sozusagen in die Online-Welt. Und das Wichtigste dabei ist einfach, wirklich einen roten Faden zu spinnen zwischen der Online- und der Präsenz-Welt. Und da haben wir wirklich gute Erfahrung mit gemacht, vor allen Dingen, weil man sich Stück für Stück da herantasten kann.

Präsenz und Online kombinieren

Frenzel: Welche Teile lagert man am besten aus in die Online-Welt?
Quade: Einige Dozenten machen das so, dass sie zum Beispiel vorbereitende Unterrichtsmaterialien oder auch Nachbereitung von Unterricht – das ist das sogenannte Flipped-Classroom-Konzept – in die Online-Welt auslagern. Das heißt, wir haben ja wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge bei uns an der HWR Berlin, zum Beispiel im Fall Mikroökonomie, da kann man ja wunderbar bereits Texte oder eine Vorlesung zu einem Thema in die Online-Welt auslagern und hat dann Zeit, im Präsenzunterricht mit dem Vorwissen der Studierenden, die das ja dann bereits online angeschaut haben, dann wirklich in die Anwendung zu gehen, weg von dem rein Seminaristischen, einer redet und alle hören zu, hin zu wirklich aktiver Gruppenarbeit und Interaktion im Klassenraum.
Frenzel: Was haben Sie denn erfahren, was haben Sie denn gemerkt, was unbedingt in dieser Präsenz-Welt stattfinden muss und was nicht so gut online stattfinden kann?
Quade: Natürlich ist eine Präsenz, ein Sehen im Raum und physisches Arbeiten miteinander am besten möglich, wenn Sie zum Beispiel wirklich an Teamtischen arbeiten, etwas gemeinsam ausarbeiten, zum Beispiel Prototypen, also dieses Prototyping für neue Geschäftsmodelle, das ist ja was, was im Innovations- und Projektmanagement viel gemacht wird in letzter Zeit. Da ist es einfach so wertvoll, wenn natürlich die Leute zusammenkommen und richtig haptisch und physisch Dinge anfassen und ausprobieren und testen können. Das ist natürlich etwas, was in der Online-Welt schwieriger zu gestalten ist.
Frenzel: Haben Sie auch Erfahrungswerte … Ich stelle mir vor, das ist wahrscheinlich eine Typenfrage, einerseits wie man lernt, aber auch vielleicht eine Frage des Alters, des Geschlechts, der Herkunft. Gibt es da Unterschiede?
Quade: Das lässt sich so pauschal wirklich nicht sagen. Wir haben jetzt wirklich Dozenten, die vom Alter her von bis, also ganz junge Dozenten und Dozentinnen, die wirklich schon viele, viele Jahre in dem Präsenztraining verhaftet waren, die jetzt sagen, Mensch, ich probiere das auch mal aus, ich mache zum Beispiel mal einen Podcasts und mache Audioaufnahmen von meinen juristischen Texten oder Vorlesungen. Und wir sagen, ja, das ist super. Wie gesagt, tasten Sie sich da Stück für Stück ran, Sie müssen nicht gleich alles über den Haufen werfen oder die Welt neu erfinden, sondern jeder so nach seinen Möglichkeiten, das ist halt ein ganz wichtiger Ansatz, den wir auch verfolgen in der Beratung von E-Learning- oder E-Didaktik-Projekten.

Virtuelle Sprechstunden

Frenzel: Es gibt ja das alte Klischee, das wahrscheinlich in vielen Fällen auch stimmt, des DiMiDo-Professors, also Dienstag, Mittwoch, Donnerstag – Montag und Freitag definitiv woanders, wo auch immer. Führt das denn dazu, diese ganze Entwicklung, die Sie beschrieben haben, dass man die Dozenten im Zweifel noch seltener eigentlich in der Hochschule antrifft?
Quade: Das kann ich natürlich schwer pauschal beurteilen. Ich würde sagen, lieber habe ich doch den Dozenten dann wirklich hoch konzentriert und er hat Zeit für mich in der Vorlesung, weil er eben gewisse Themen auslagern kann in die Online-Welt, und habe dann Möglichkeit, wirklich physisch mit ihm zu sprechen, wenn er an der Hochschule ist. Ich sehe es aber tatsächlich auch so, dass, nur weil man sich nicht physisch in der Hochschule sehen kann, sollte ein Dozent, eine Dozentin natürlich auch online erreichbar sein. Das ist nämlich auch ein ganz wichtiger Punkt.
Digitalisierung heißt ja nicht, dass keine Interaktion mehr stattfindet zwischen Studierenden und Dozenten, sondern wir regen halt auch ganz besonders an, dass man, weiß ich nicht, zum Beispiel virtuelle Sprechstunden einrichtet, dass man sich in Bereichen aus Videokonferenztools wie Adobe Connect oder Skype trifft, um natürlich auch da einen Austausch, einen echten Austausch mit den Studierenden zu ermöglichen.
Frenzel: Frau Quade, wo stehen wir denn gerade in der deutschen Bildungs- und Universitätslandschaft in dieser Hinsicht? Gerade erst am Anfang, oder ist das, was Sie da beschreiben, eigentlich schon breite Realität?
Quade: Ich denke, dass wir in Deutschland wirklich noch eher in den Anfängen stecken. Es gibt einzelne Hochschulen, die tatsächlich auch seit Jahren schon verschiedene E-Learning-Modelle und Strategien und auch einzelne Projekte verfolgen; wenn man aber natürlich in andere Länder schaut, ist das tatsächlich teilweise schon fortgeschrittener. Von daher, denke ich, haben wir da wirklich noch Luft nach oben. Und für mich ist es halt keine Frage mehr, ob man sich da anschließt oder nicht, denn die Welt digitalisiert sich so oder so und es ist halt wirklich die Frage, wie wir als Aus- und Weiterbilder darauf reagieren und auch wirklich die erforderlichen Kompetenzen der Zukunft auch für die Studierenden ermöglichen.
Frenzel: Sagt Stefanie Quade, Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Viele Universitäten machen sich derzeit auf den Weg in den digitalen Hörsaal, darüber haben wir gesprochen. Ich danke Ihnen für Ihre reale Zeit über das gute alte Telefon!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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