Digitales Fassadentuning

Von Imke Weihmann · 17.01.2006
Die Brüder Jan und Tim Edler glauben, dass Gebäude mit Menschen kommunizieren. Ihre These versuchen sie u.a. mit der Lichtinstallation "Spots" zu belegen, die ganze Häuser umfasst. So erzeugen sie gerade mit Hilfe von einigen tausend Leuchtstoffröhren Bilder und Texte auf einem Bürogebäude am Potsdamer Platz.
Das Haus schaut mich an. Wie bitte - das Haus schaut mich an? Ja, ein großes Auge blickt zu mir herüber, zwinkert und weicht zurück. An seiner Stelle erscheint ein Gesicht. Zum Glück ist das keine Halluzination sondern ein Teil der Ausstellung "Die Stadt hat Augen", die seit Ende November am Potsdamer Platz in Berlin gezeigt wird. Hinter der Glasfassade eines Bürogebäudes sind rund 1.800 Leuchtstoffröhren installiert. Sie können einzeln gedimmt und geschaltet werden. Aus diesen rund 1.800 Pixeln entstehen Bilder. Zuerst waren dies Gesichter und Augen, dann liefen Fragen über die Fläche. Jetzt zeigt der Multimediakünstler Jim Campbell Menschen in verschiedenen Bewegungen und Situationen.

Dass kaum ein Passant den Blick nach oben richtet, stört Jan Edler nicht. Zusammen mit seinem Bruder Tim und ihrer Firma realities:united hat er die Installation entworfen.

"Also, wie soll das sein: Wir machen Medienfassaden an Häuser und auf einmal fangen die Leute an, den ganzen Tag ihre Umgebung anzustarren. Ich glaube, das ist eine Vorstellung, die nicht weit führt, sondern eigentlich interessanter ist es, wenn man sich überlegt, wie Architektur insgesamt kommuniziert."

Jedes Gebäude drücke etwas über die Vorgänge in seinem Inneren aus, sagt der 35-jährige Jan. Oft reiche es aus, dass man vorbeigeht und das Haus nur aus dem Augenwinkel wahrnimmt. Bei einer Fassade, die unterschiedliche Bilder zeige, sei das nicht anders.

Bekannt sind Jan und Tim Edler spätestens seit 2003. Damals haben sie unter dem Titel "BIX" die Fassade des Kunsthauses in Graz gestaltet, einem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Das ungewöhnliche Gebäude stand bereits. Es sieht aus wie eine unförmige, große Blase, die über einem Glasfoyer schwebt. Jan und Tim bezeichnen es schlicht als "Plastikei". Die Außenhaut ist mit mehr als 1100 Acrylglasscheiben bedeckt. Darunter haben Jan und Tim Edler 930 Lampen installiert. Eigentlich waren die Brüder jedoch für die Entwicklung digitaler Technik im Kunsthaus zuständig, erzählt Tim:

"Und eher aus einer Zufälligkeit heraus, weil wir das sehr wichtig fanden, konnten wir damals diese Idee entwickeln, dass dieses Haus sehr groß kommunizieren muss und nach außen hin und die Idee, aus Leuchtstofflampen so eine Matrix zu bauen, ist sehr kostengünstig."

Die Technik für BIX und SPOTS haben die Brüder mit der Unterstützung des Video-DJs John de Kron in ihrer Firma entwickelt. Doch die Installationen sind nur ein Teil der vielfältigen Arbeit von realties:united. Selbst dem 40-jährigen Tim Edler fällt eine Definition schwer:

"Letztendlich sind wir so 'ne Art Mischerscheinung zwischen Architektur, Design und Kunstatelier. Und wir versuchen jetzt eigentlich schon über einige Jahre, Projekte zu verwirklichen, die dann auch in so einem Bereich aufgehängt sind, meistens zu tun haben mit Raum."

Dass die beiden Brüder gerne quer denken, zeigt auch ihr aus dem Fenster schwenkbarer Liegestuhl für Wohnungen ohne Balkon. Ebenfalls ungewöhnlich war das Projekt "flussbad". Dabei sollte ein ungenutzter Spreearm an der Berliner Museumsinsel in ein öffentliches Schwimmbad verwandelt werden. Ohne Bademeister, allerdings mit Umkleidemöglichkeiten, erklärt Jan Edler.

"Der Haupteingriff besteht eigentlich darin, dass die Wasserqualität mit sehr einfachen Mitteln auf Seequalität gebracht wird an dieser Stelle und somit im Prinzip ein Stück Erholungsfläche in dieses doch sehr stark von Repräsentationsbauten geprägte Zentrum zu implantieren und damit dann eigentlich auch eine neue Funktionsmischung herzustellen."

Natürlich kommt es zwischen den beiden Brüdern auch zu Konflikten. Ein aktueller Diskussionspunkt ist die Arbeitsteilung: Während Tim mit einer halben Stelle an der Kunsthochschule Bremen lehrt, arbeitet Jan Edler Vollzeit in der Firma:

"Ich bin momentan eigentlich derjenige, der die meisten Sachen organisieren muss, das da irgendwas funktioniert und Tim als Professor schwebt oben drüber und macht das Supervising."

Für seinen Bruder Tim als zweifachen Vater ist diese Lehrtätigkeit jedoch ein zweites Standbein, das seiner Familie Sicherheit gibt und auf das er im Moment ungern verzichten würde.

Doch vielleicht ändert sich das in der Zukunft, denn die Arbeit von realities:united trägt Früchte: Für die Gestaltung der Fassade des Grazer Kunsthauses haben die Brüder bereits mehrere Preise gewonnen. Für Jan Edler ist dabei der Hans-Schäfer-Preis für Nachwuchsarchitekten besonders wertvoll. Tim hingegen schätzt die Auszeichnung mit dem goldenen Nagel durch den Art Director Club, dem Verein der besten Kreativen Deutschlands. Es sei schön, wenn sich auch Menschen außerhalb der eigenen Szene für Installationen wie BIX und SPOTS interessierten. Gleichzeitig sind die Preise für Tim aber auch die Bestätigung eines Lernprozesses:

"Dass mittlerweile die Leute verstehen, warum wir behaupten, das, was wir machen, ist Architektur, das ist auch relevant und die Leute auch verstehen, wo die Relevanz liegt. Das war ein ziemlich langer Prozess. lange zeit haben die Leute, glaube ich, überhaupt nicht begriffen, was wir machen und wir vielleicht auch nicht."

Heute wissen die Brüder, was sie machen: Sie tunen Hausfassaden. Für sie ist diese Arbeit kaum etwas anderes als ein neuer Anstrich. Oder besser gesagt dessen Weiterentwicklung. Und in ein paar Jahren vielleicht ganz alltäglich.

Service:
Die Installation "Spots" ist mit ihrer aktuellen Ausstellung "Die Stadt hat Augen" noch bis zum 26. Februar am Potsdamer Platz in Berlin zu sehen. Danach wird es Frühjahr 2007 weitere Ausstellungen geben.