Digitales Abendmahl

Brot und Wein am Bildschirm

10:01 Minuten
Protestantisches Abendmahl auf einem Computerbildschirm in Frankreich während der Pandemie, 2020.
Im selben Moment, aber nicht am selben Ort miteinander verbunden: Online-Abendmahlsfeier während der Coronapandemie. © picture alliance / Godong / Pascal Deloche
Von Kirsten Dietrich |
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Corona macht Gottesdienste digital. Die Pandemie hat einen technischen Schub ausgelöst. Aber was ist mit dem Abendmahl für Gläubige, die zu Hause feiern? Kann es auch über die Distanz hinweg Gemeinschaft stiften? Unsere Autorin hat es ausprobiert.
Ich feiere Abendmahl. Mit meiner Mutter auf dem Sofa, dem guten natürlich, denn das Abendmahl wird aus der Kirche meines Heimatortes per Zoom in Mutters Wohnzimmer übertragen.
Es ist Gründonnerstag, der Donnerstag vor Ostern. Meine Mutter ist wahrscheinlich fast jedes Jahr in ihrem Erwachsenenleben an diesem Tag zum Abendmahlsgottesdienst in die Kirche gegangen.

Live-Übertragung aus der Heimatkirche

Im letzten Jahr fiel der Abendmahlsgottesdienst wegen Corona ersatzlos aus. Seitdem ist ein Jahr vergangen, in dem nicht nur die Kirchengemeinde meines Heimatortes digital unglaublich viel dazugelernt hat. Deswegen also dieses Jahr an Gründonnerstag: Online-Abendmahl.
Thorsten Waap ist evangelischer Pfarrer im osthessischen Heringen, der Gemeindepfarrer meiner Mutter. Seine Stimme kommt blechern aus dem Computer: "Liebe Gemeinde, ich begrüße Sie, ich begrüße euch ganz herzlich an den Endgeräten! Ich bin zuversichtlich, dass das Technische alles gelingt, für das andere aber sind wir zuständig: Nämlich dass wir mit Haltung dieses Abendmahl miteinander feiern."
Ich treffe den Pfarrer etwas später persönlich. Da erklärt er mir: "Es war mir schon wichtig, das noch mal zu sagen: Das ist jetzt auch ein Abendmahl, und wir wollen nicht darüber diskutieren: Ist das okay oder nicht? Weil, das war im Vorfeld auch so die Frage. Wo man dann Leute auch hat, die sagen: Nein, das geht gar nicht!"

Ein Zeichen der Gegenwart Gottes

Denn ein Online-Abendmahl ist nicht einfach irgendein Gottesdienst mehr, der digital verbreitet wird. Abendmahl ist nicht einfach symbolisches Essen und Trinken in der Kirche. Es gilt in der evangelischen Kirche als Sakrament, also: als direktes Zeichen der Gegenwart Gottes.
Auch wenn Brot und Wein sich nach diesem Verständnis nicht tatsächlich verwandeln, sie sind, egal ob auf dem Altar oder vorm heimischen Computerbildschirm, mehr als nur Brot und Wein, sagt der Kirchenhistoriker Volker Leppin:
"Die sakramentale Gegenwart, die ist an einen bestimmten Vorgang, an Einsetzungsworte, an die enge Verbindung der Einsetzungsworte mit den Elementen Brot und Wein gebunden und ist im Kern schon auch sehr widerständig zu dem, was wir als moderne Menschen haben wollen und haben können. Der Gedanke, da in, mit und unter Brot und Wein ist der Leib Christi – das ist schon ein sehr fremder Gedanke."
Der Tübinger Theologieprofessor und Kirchenhistoriker Volker Leppin bei einem Vortrag 2013.
Per Glasfaser zu Gott? - Die Verbindung, um die es beim Abendmahl gehe, sei aus der modernen Weltsicht nicht leicht zu erfassen, sagt Kirchenhistoriker Volker Leppin.© imago / epd
Das Abendmahl als Sakrament ist also beides: zentraler Glaubensinhalt und eine Herausforderung. Die Theologin Frederike van Oorschot forscht zu digitaler Kirche an der Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, einem Thinktank der evangelischen Kirche in Deutschland. Sie sagt:
"Da beobachte ich eine große Angst - aus dem traditionellen Verständnis, dass die Sakramente eben Mittel der Gegenwart Gottes sind, Momente, in denen Gott sich in diesen Elementen greifen lässt, schmecken, spüren lässt -, dass das nicht ernst genug genommen wird. Oder dass das untergeht in der Inszenierung eines Glases Wein mit einem Stückchen Brot, mit dem Tablet auf dem Schoß auf dem Balkon, allein in seiner Wohnung. Dass das vielleicht die Tiefenwirkung verliert."
Wir sind an diesem Gründonnerstag nicht allein in der Wohnung, sondern zu zweit, immerhin. Aber auch wenn meine Mutter und ich beide schon oft Abendmahl gefeiert haben – es ist etwas anderes, jetzt auf dem Couchtisch mit Brot und Wein zu hantieren.

Frühstücksbrot in neuem Licht

Aus dem Computer spricht der Pfarrer: "Deswegen bitte ich auch schon mal, langsam sich vorzubereiten, bereitzustellen einen Teller mit Brot, einen Becher mit Wein oder mit Saft - so, wie es gut für uns ist."
Auf dem Teller – grüner Rand mit gelben Blumen – liegen zwei Scheiben Brot. Brot von dem Laib, von dem wir morgens zum Frühstück gegessen haben, Brot von demselben, der abends wieder auf dem Tisch stehen wird.
Was ist dieses Brot jetzt, während der Übertragung des Abendmahls? Frederike van Oorschot lacht, als ich ihr von meiner Unsicherheit erzähle:
"Ist das nicht klasse? Wir delegieren das sonst, sonst wird da ein Pfarrer, eine Pfarrerin hinterher das Brot aufräumen und entweder die Reste mit nach Hause nehmen oder – man weiß es nicht. Und das theologisch oder auch dogmatisch Interessante ist, dass wir über diese Dinge jetzt sprechen müssen. Weil genau das die Frage ist: wie bekommt man diesen Übergang hin, von daher geht es ganz stark um die liturgische Umsetzung."

Pfarres Wort und Mutters Beitrag

Wer digital Abendmahl feiert, muss selbst aktiv werden. Auch wenn die Pfarrperson auf dem Bildschirm die richtigen Worte spricht – Brot und Wein müssen wir uns gegenseitig reichen.
"Ich wünsche euch eine gute Mahlzeit", sagt der Pfarrer auf dem Bildschirm. "Kommt, schmeckt und seht, wie freundlich unser Gott ist!"
Gar nicht so einfach, jetzt selbst aktiv zu werden. Wir lachen, aber eher als Ausdruck unserer Verlegenheit. Protestantische Ritualunsicherheit nennt das Pfarrer Thorsten Waap: Das Abendmahl ist sein Job – und nicht der unsere.
"Ich sage: Dies ist mein Leib – dann ist die Frage: Ist jetzt eigentlich nur das Abendmahlsbrot, was im Gottesdienst dort auf dem Altar liegt, das eigentliche? Und ist es deshalb überhaupt ein richtiges Abendmahl", fragt der Pfarrer. Denn: "Eigentlich müsste ich ja an diesem Brot teilhaben, von diesem konkreten Brot essen."
Zwei Besucherinnen teilen in ihren Auto während des KFZ-Gottesdienstes auf dem Kirmesplatz im Stadtteil Gnadental das Abendmahl. Die Kirchengemeinde Neuss-Süd veranstaltete Karfreitag einen Autokino-Gottesdienst unter Berücksichtigung der Corona-Schutzverordnung.
Abendmahl im Auto: Karfreitags-Gottesdienst in Neuss© picture alliance / dpa / Jonas Güttler
Meine Mutter sagt hinterher: "Ich musste mich erst sammeln und musste mir überlegen, was ich jetzt sage und wie ich das eigentlich auch kenne, dass ich das so von mir gebe. Aber es hat mir doch gutgetan."

Ein Zeichen der Gemeinschaft

Womit wir bei einem anderen wichtigen Aspekt des Abendmahls wären, nämlich bei der Gemeinschaft. Das Abendmahl ist auch ein Zeichen der Gemeinschaft – das ist digital leichter zu fassen als die komplizierte Sache mit den Sakramenten.
"Was wir auch im Glaubensbekenntnis bekennen, ist die Gemeinschaft der Heiligen, und die transzendiert ja Ort und Zeit", sagt Pfarrer Ralf Peter Reimann. "Von daher ist das etwas, was das digitale Abendmahl in meinem Verständnis mehr hat: dass ich eben mit Menschen und mit Gemeinde verbunden bin, die nicht an einem physikalischen Ort ist."
Pfarrer Reimann ist Internetbeauftragter der evangelischen Kirche des Rheinlandes und lebt seinen Glauben deshalb natürlich seit Jahren auch digital:
"Dann sehe ich auf den Kacheln all die Menschen, und durch den Abstand, der eben auf dem Notebook viel geringer ist, als wenn ich in der Kirche stehe, sind mir die anderen Menschen sogar noch mal näher."

Auch analoge Gottesdienste hinterfragen

Reimann war an einer Studie über digitale Gottesdienste beteiligt: Je nach Alter und Sozialisation, sagt er, erleben Menschen digitale Gottesdienste unterschiedlich. Deswegen lohnt sich auch der Streit darum, ob und wie Abendmahl online möglich ist, sagt Frederike van Oorschot:
"Weil wir damit ja auch Weichen stellen für unseren Umgang mit digitaler Welt, digitalen Räumen im Größeren. Es werden Ihnen und mir Menschen begegnen, für die das auf jeden Fall echte Gemeinschaft ist, die Kirche vielleicht nur so kennen, auf eine Art und Weise, wie sie das nie erleben würden, wenn sie sich sonntags in eine Gemeinde zwingen würden, die mit ihrer Welt wenig zu tun hat."
Die digitalen Formen hätten neue Fragen mit sich gebracht und alte Gewohnheiten auf auf den Kopf gestellt, sagt Oorschot. "Und es täte uns vermutlich auch gut, unsere Gottesdienste, unsere Praktiken, Abendmahl zu feiern, vor Ort ebenfalls so auf den Kopf stellen zu lassen unter der Frage: Was da zum Ausdruck gebracht werden soll, was sich ereignen, passiert das oder passiert das nicht? An der Frage kommen wir im Digitalen nicht vorbei, wir müssten sie uns aber fürs Analoge aber auch viel deutlicher stellen."

Denkschrift zur digitalen Kirche

Ist eine Online-Gemeinde eine richtige, eine echte Gemeinde? Spätestens seit der Corona-Krise glaubt das auch die offizielle Kirche. Sie hat kürzlich sogar eine ganze Denkschrift zu digitaler Kirche herausgebracht. Das Abendmahl bleibt der eine strittige Punkt, an dem es immer noch mehr Fragen als Antworten gibt.
Der Kirchenhistoriker Volker Leppin ist zurückhaltend. Sein Vorschlag wäre, im Digitalen aufs sakramentale Abendmahl lieber zu verzichten und stattdessen vor dem Bildschirm ein sogenanntes Agape-Mahl zu feiern, ein gemeinsames, festliches Essen. Auch das ist in der Bibel überliefert.
"Momentan habe ich, so würde ich es formulieren, nicht genug Gründe, um zu sagen: Die Verheißung der Gegenwart Christi, gebunden an Brot und Wein, die ist auch im digitalen Abendmahl gegeben", sagt Leppin. "Diese Begeisterung und auch die Erfahrung, die wir gemacht haben: Es geht so viel digital – nehmen wir die auf, nehmen wir die mit, feiern wir diese Gemeinschaft, erfahren wir diese Gemeinschaft, essen und trinken vielleicht auch gemeinsam. Das heißt für mich auch, dem Rechnung zu tragen, die digitale Welt ermöglicht nicht alles. Das haben wir ja in der Coronazeit auch bitter erlebt."
Und meine Mutter? Auch wenn sie inzwischen sonntags gerne den Livestream aus ihrer Kirche sieht: Gründonnerstag nächstes Jahr würde sie beim Abendmahl gerne wieder in der Kirche vor dem Altar stehen und dort Brot und Wein empfangen – ganz analog und vom Pfarrer, nicht von der Tochter neben ihr auf dem Sofa.
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