Digitaler Klimawandel
Der Klimawandel wird allgemein anerkannt. Eine andere Veränderung wird dagegen kaum wahrgenommen. Dabei vollzieht sie sich in allen Branchen, und wir schaffen uns eine digitale Welt aus Nullen und Einsen, meint Martin Lindner, der Unternehmen und Organisationen berät.
„We are already seeing changes!“, sagte Al Gore unheilvoll in seinem berühmten Vortrag und deutete auf die Temperaturkurve: 900 Jahre lang ziemlich konstant, und dann der steile Anstieg. Aber wir sehen ja eigentlich nichts, das ist ja das Problem. Seit Gore das sagte, blüht der Apfelbaum im Garten 1,8 Tage früher. Das merkt nur, wer die Daten analysiert.
So ist das auch mit dem Digitalen Klimawandel. Wo soll hier bitte der große Umbruch sein, fragt man sich, wenn man in der typischen deutschen Mittelstadt steht. Verkehrsberuhigte Zone, Bilderbuch-Fachwerk, Eigenheime am Stadtrand mit Thujenhecken und Carport. Alles genau wie vor 25 Jahren, oder? Nur wenn Sie Ihr Smartphone herausholen und sich die aktiven WLAN-Netze anzeigen lassen, ahnen Sie, wie es hier in der Luft vibriert.
Geben Sie Ihren Standort in Google Maps ein. Zoomen Sie hinein, bis Sie den Apfelbaum erkennen: Das ist die Biosphäre. Zoomen Sie wieder heraus: der blaue Planet. Kontinente, Wasser, die Atmosphäre. Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, was dazwischen ist: die riesige Wolkenhülle aus Information. Alle Äußerungen, die in der Luft liegen, schriftlich, mündlich und elektronisch. Vom Smalltalk der Nachbarn bis zur wissenschaftlichen Kommunikation. Facebook, Fernsehen, Fachliteratur. Alles.
Nennen wir es die Infosphäre. Sie hat sich mit den digitalen Netz-Medien ganz grundlegend gewandelt. Früher gab es nur zweierlei: Mündliche Sprache, die einen Moment über den Köpfen schwebt und dann verpufft. Und die Schrift, gestellt und gedruckt, für sich stehend und auf Dauer berechnet. Das blieb so im letzten Jahrhundert, obwohl schon die Schrift immer massenhafter und flüchtiger wurde, mit Rotations- und Offsetdruck, Fernseh- und Radioskripts.
So ist das auch mit dem Digitalen Klimawandel. Wo soll hier bitte der große Umbruch sein, fragt man sich, wenn man in der typischen deutschen Mittelstadt steht. Verkehrsberuhigte Zone, Bilderbuch-Fachwerk, Eigenheime am Stadtrand mit Thujenhecken und Carport. Alles genau wie vor 25 Jahren, oder? Nur wenn Sie Ihr Smartphone herausholen und sich die aktiven WLAN-Netze anzeigen lassen, ahnen Sie, wie es hier in der Luft vibriert.
Geben Sie Ihren Standort in Google Maps ein. Zoomen Sie hinein, bis Sie den Apfelbaum erkennen: Das ist die Biosphäre. Zoomen Sie wieder heraus: der blaue Planet. Kontinente, Wasser, die Atmosphäre. Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, was dazwischen ist: die riesige Wolkenhülle aus Information. Alle Äußerungen, die in der Luft liegen, schriftlich, mündlich und elektronisch. Vom Smalltalk der Nachbarn bis zur wissenschaftlichen Kommunikation. Facebook, Fernsehen, Fachliteratur. Alles.
Nennen wir es die Infosphäre. Sie hat sich mit den digitalen Netz-Medien ganz grundlegend gewandelt. Früher gab es nur zweierlei: Mündliche Sprache, die einen Moment über den Köpfen schwebt und dann verpufft. Und die Schrift, gestellt und gedruckt, für sich stehend und auf Dauer berechnet. Das blieb so im letzten Jahrhundert, obwohl schon die Schrift immer massenhafter und flüchtiger wurde, mit Rotations- und Offsetdruck, Fernseh- und Radioskripts.
Alle zwei Jahre verdoppelt sich die Menge der verfügbaren Information
Und jetzt eben der ganz große Bruch: Digitalisierung, Internet, sozialen Medien. Seitdem verdoppelt sich alle zwei Jahre die Menge der verfügbaren Information. Und sie ist nicht mehr eingeschlossen in Papierblöcken und Datenbanken, sondern liegt als Wolke in der Luft. Lauter kleine Mikroinformationsstückchen, die ständig in Bewegung sind. Zeichen wollen zirkulieren. Und was nicht im Umlauf ist, ist jetzt schon vergessen.
Das ist der Digitale Klimawandel, und er hat direkte und indirekte Folgen für alles, was mit Daten, Kommunikation und Wissen zu tun hat. Der Golfstrom fließt jetzt anderswo, im Netz, und in der alten Welt schmelzen die Gletscher: Unternehmen wie Siemens, die Universitäten, Verlage wie Suhrkamp, politische Parteien ... Großstrukturen, die bisher stabil und selbstverständlich schienen, weichen auf und zerfallen.
Wüsten breiten sich aus: Die alte bürgerliche Öffentlichkeit verödet. Ganze Märkte brechen überall da weg, wo sie auf Knappheit von Information beruhen. Es braucht keine Vermittler und Torwächter mehr, wenn alles mit allem in Verbindung steht. Stattdessen braucht es unzählige kleine Googles und Wikipedias, die nachträglich den Überfluss filtern.
Katastrophen nehmen zu, Lebewesen werden aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben: Wer jetzt noch glaubt, einen festen Arbeitsplatz zu haben, hat die Nachricht nur noch nicht erhalten. Berufe lösen sich auf in Projekte, Anstellungen in prekäre Verträge. Jeder braucht jetzt eigentlich immer drei Fachgebiete: Das, was man gerade jetzt macht, dieses Jahr. Das, wohin man demnächst wechseln wird. Und dann noch ganz etwas anderes, als Joker in der Rückhand.
Zurück in die typische deutsche Mittelstadt: Da stehen wir jetzt, mit dem Internet-Gerät in der Hand, im Zentrum des Wirbels. Noch nie waren wir Einzelne so überwältigt, so überfordert, aber eben auch: so ermächtigt. Wie Bob Dylan damals sagte: Ihr fangt besser an zu schwimmen oder ihr sinkt wie ein Stein. Oder wir bauen uns Häuser wie die „Waterwoningen“ in Amsterdam, deren Betonfundamente schwimmen, wenn der Meeresspiegel steigt.
Martin Lindner berät Unternehmen und Organisationen, wie sie ihre Wissens- und Lernprozesse neu gestalten können, mit den Mitteln des Web. Im vergangenen Jahrhundert, in einem früheren Leben Literatur- und Medienwissenschaftler (Dr. phil. habil.). Mehr Texte und Gedanken auf http://bit.ly/martinlindner
Das ist der Digitale Klimawandel, und er hat direkte und indirekte Folgen für alles, was mit Daten, Kommunikation und Wissen zu tun hat. Der Golfstrom fließt jetzt anderswo, im Netz, und in der alten Welt schmelzen die Gletscher: Unternehmen wie Siemens, die Universitäten, Verlage wie Suhrkamp, politische Parteien ... Großstrukturen, die bisher stabil und selbstverständlich schienen, weichen auf und zerfallen.
Wüsten breiten sich aus: Die alte bürgerliche Öffentlichkeit verödet. Ganze Märkte brechen überall da weg, wo sie auf Knappheit von Information beruhen. Es braucht keine Vermittler und Torwächter mehr, wenn alles mit allem in Verbindung steht. Stattdessen braucht es unzählige kleine Googles und Wikipedias, die nachträglich den Überfluss filtern.
Katastrophen nehmen zu, Lebewesen werden aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben: Wer jetzt noch glaubt, einen festen Arbeitsplatz zu haben, hat die Nachricht nur noch nicht erhalten. Berufe lösen sich auf in Projekte, Anstellungen in prekäre Verträge. Jeder braucht jetzt eigentlich immer drei Fachgebiete: Das, was man gerade jetzt macht, dieses Jahr. Das, wohin man demnächst wechseln wird. Und dann noch ganz etwas anderes, als Joker in der Rückhand.
Zurück in die typische deutsche Mittelstadt: Da stehen wir jetzt, mit dem Internet-Gerät in der Hand, im Zentrum des Wirbels. Noch nie waren wir Einzelne so überwältigt, so überfordert, aber eben auch: so ermächtigt. Wie Bob Dylan damals sagte: Ihr fangt besser an zu schwimmen oder ihr sinkt wie ein Stein. Oder wir bauen uns Häuser wie die „Waterwoningen“ in Amsterdam, deren Betonfundamente schwimmen, wenn der Meeresspiegel steigt.
Martin Lindner berät Unternehmen und Organisationen, wie sie ihre Wissens- und Lernprozesse neu gestalten können, mit den Mitteln des Web. Im vergangenen Jahrhundert, in einem früheren Leben Literatur- und Medienwissenschaftler (Dr. phil. habil.). Mehr Texte und Gedanken auf http://bit.ly/martinlindner

Martin Lindner, Literaturwissenschaftler und Berater© picture alliance / dpa Foto: privat