Digitale Verschreibungen

Wo es beim E-Rezept noch hakt

06:28 Minuten
Draufsicht über einen hellblauen Tisch, auf dem Stethoskop, Handschuhe, eine Tastatur, ein Klemmbrett, Masken und weitere Dinge liegen. Zwei Hände in weißem Kittel halten ein Smartphone.
Damit das System funktioniert, müssen alle Ärzte, Kliniken und Apotheken an die Telematikinfrastruktur angebunden sein. (Symbolbild) © picture alliance / Zoonar / Khakimullin Aleksandr
Von Vivien Leue · 20.04.2021
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Von Januar an sollen Ärzte Rezepte nur noch digital ausgeben. Bereits im Juli soll eine Testphase mit einigen Arztpraxen und Apotheken starten. Doch es gibt nach wie vor technische Probleme - und grundsätzliche Skepsis, vor allem bei Apotheken.
Stellen Sie sich vor, Sie waren beim Arzt und haben ein Rezept bekommen, sagen wir, für ein besonderes Antibiotikum. Mit dem Rezept gehen Sie dann in eine Apotheke – nur: Dort gibt es das Medikament nicht, es müsste bestellt werden oder Sie müssten in einer anderen Apotheke fragen.
Mit einem elektronischen Rezept, kurz E-Rezept, ginge das alles schneller. Sie könnten zum Beispiel das Antibiotikum direkt aus der Arztpraxis heraus per App in verschiedenen Apotheken anfragen. Außerdem könnten der Apotheker oder die Apothekerin vor Ort digital möglicherweise auch in ihre anderen Verschreibungen schauen und entsprechend Wechselwirkungen berücksichtigen.

17 europäische Länder haben das E-Rezept schon

"Das E-Rezept wird einfach viele Prozesse langfristig deutlich einfacher machen", sagt die Vizepräsidentin der Apothekerkammer Nordrhein, Kathrin Luboldt.
17 europäische Länder haben das E-Rezept schon, und auch bei uns in Deutschland laufen die Vorbereitungen hierfür bereits seit Jahren. Denn gesetzlich musste einiges geändert und technisch vieles neu aufgebaut werden, damit bald alles reibungslos ineinandergreift.
"Es ist natürlich auch der Konsens da, dass die Einführung des E-Rezepts eine große Aufgabe darstellt. Wir sprechen immerhin von fast 1,3 Millionen Rezepten pro Tag, die wir derzeit analog verarbeiten und die wir dann als neues Medium praktisch elektronisch bearbeiten werden. Aber wir sehen das E-Rezept als Chance, und wir freuen uns eigentlich auch darauf, dass es dann jetzt ab dem 1. Juli losgeht."
In gut zwei Monaten also sollen alle Ärzte, Kliniken und Apotheken an die notwendige Technik, die Telematikinfrastruktur, angebunden sein, damit sie das E-Rezept anbieten können. Ab 1. Januar 2022 wird es dann für Ärzte und Apotheken verpflichtend. Lediglich die Patienten dürfen sich noch entscheiden, ob sie das neue Rezept ausgedruckt oder per App bekommen wollen.
Einige Akteure stellen den Zeitplan aber jetzt schon in Frage. Vor allem an einem Punkt könnte es haken, dem elektronischen Heilberufeausweis, warnt Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
"Der Heilberufeausweis wird in Zukunft die Unterschrift mit dem Füllhalter ersetzen, also praktisch die handschriftliche Unterschrift. Die elektronische Signatur ist nur mit dem elektronischen Heilberufeausweis, Stand der Technik heute, möglich. Deshalb braucht jeder Arzt, jeder Psychotherapeut, der rechtsverbindlich eine Bescheinigung oder ein Rezept ausstellen will, einen elektronischen Heilberufeausweis."

Warten auf den Heilberufeausweis

Der Kartenhersteller habe aktuell aber Produktionsprobleme, sei mit der Vielzahl an Bestellungen offenbar überfordert, sagt Kriedel. Es gebe Wartezeiten von zwei bis drei Monaten.
"Wir haben deshalb Zweifel, ob es möglich sein wird, rechtzeitig zum 1.7. oder auch zum 1.10. alle Praxen damit ausgestattet zu haben."
Ein paar ausgewählte Praxen haben schon Erfahrung mit dem E-Rezept gesammelt, in einem von der Techniker-Krankenkasse gestarteten Modellprojekt. Auch hier zeigte sich: Es hakt am Einsatz des elektronischen Heilberufeausweises. Da er die Unterschrift des Arztes ersetzt, müsste er nach aktuellem Stand bei jeder Rezeptausstellung neu eingelesen werden.
"Wir brauchen hier eine vernünftige Umsetzung des E-Rezeptes, vergleichbar mit dem Papierrezept. Das darf nicht komplizierter sein. Deshalb braucht man auch eine einfache Form der Signaturen. Es kann nicht sein, dass man den Heilberufeausweis dann jedes Mal mit PIN-Eingabe nutzen muss, um ein einzelnes Rezept auszustellen", sagt Klaus Rupp, Leiter des Fachbereichs Versorgungsmanagement der Techniker-Krankenkasse.

Viele Vorteile, gerade in der Pandemie

Die TK hatte 2019 in Hamburg-Wandsbek ein kleines Modellprojekt zum E-Rezept gestartet. Im vergangenen Jahr weitete sie es aus, und mittlerweile sind alle großen Ersatzkassen an Bord. So haben sich gerade in Zeiten der Corona-Pandemie und zunehmender Videosprechstunden die vielen Vorteile des E-Rezeptes gezeigt, sagt Rupp:
"Das E-Rezept muss nicht mehr zugeschickt werden, man muss hier keinen Termin mehr vereinbaren dafür, es muss nicht nochmals ausgedruckt werden, wenn es dann mal verloren gegangen ist."
Stattdessen könne es ganz kontaktlos an die Wunsch-Apotheke übermittelt und von dort sogar geliefert werden.

Mehr Konkurrenz durch ausländische Versandapotheken?

Diese Vereinfachung könne für die Vor-Ort-Apotheke aber auch mehr Wettbewerb und dadurch Nachteile bedeuten, denn so seien auch ausländische Versandapotheken stärker mit im Spiel, sorgt sich der Apotheker Marcus Büschges aus Dülken am Niederrhein.
"Wir haben ja noch nicht einmal einheitliche Mehrwertsteuersätze in ganz Europa, da fängt es ja schon an. In den Niederlanden haben wir sechs Prozent Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, und wir haben 19."
Das führe zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten der deutschen Apotheken:
"Wir sehen eine Riesengefahr, dass da womöglich auch Verträge geschaltet werden können, wo Versender aus dem Ausland bevorzugt werden, weil die Kassen so einfach Geld sparen können."

Nur ein paar Klicks vom Kunden entfernt

Die Sorge vor zu großer ausländischer Konkurrenz sei unbegründet, sagt dagegen Klaus Rupp von der Techniker-Krankenkasse.
"Ich sehe es eigentlich umgekehrt, weil jetzt besteht die Möglichkeit für die Vor-Ort-Apotheken, dass sie auf einer gleichen Stufe präsent sind wie die Versandapotheken."
Denn auch sie sind durch die E-Rezept-App nur noch ein paar Klicks vom Kunden entfernt, während der Kunde vorher extra zu ihnen kommen musste.
Apothekerin Luboldt will die neuen Chancen nutzen, indem sie zum Beispiel im Viertel noch mehr Botendienste, also Lieferservice anbietet: "Gerade in der Pandemie haben wir eigentlich gesehen, wie wertvoll die flächendeckende Versorgung und Vernetzung mit Vor-Ort-Apotheken ist. Und ich bin mir sicher, dass die Menschen auch in Zukunft auf diese Versorgungsform vertrauen wollen."
Unterm Strich erwartet sie durch das E-Rezept mehr Vorteile, vor allem wenn erst einmal alle digitalen Angebote miteinander vernetzt sind, also auch die elektronische Patientenakte und die E-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Beispiel. Allerdings: Auch hier hakt es noch an den nötigen technischen Verbindungen und Voraussetzungen.
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