Digitale Technologie

Magische Zukunft ohne Hardware

Junge Frau mit VR-Brille zeigt mit dem Finger in die Luft.
Eine junge Frau mit VR-Brille. © imago/blickwinkel
Von Peter Glaser · 02.03.2018
Wer früher ein Telefon mit Tasten besessen hat, wird sich noch an den Moment erinnern, zum ersten Mal ein Smartphone zu bedienen. Das war aber nichts im Vergleich zu jener technischen Magie, die uns künftig umgeben wird, meint der Digital-Blogger und Bachmann-Preisträger Peter Glaser.
Anlässlich des gerade zu Ende gegangenen Mobile World Congress in Barcelona gab das Marktforschungsunternehmen Garter bekannt, dass der Verkauf von Smartphones erstmals nicht nur langsamer gewachsen, sondern tatsächlich weltweit zurückgegangen ist. Der Markt ist satt, und neugierig blicken wir nach der Zukunft hin: Wie könnte eine Welt nach dem Smartphone aussehen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass uns bald atemberaubend realistische Datenräume selbstverständlich sein werden, wenn wir nur bereit sind, uns das Gesicht mit VR-Brillen zubauen zu lassen, halte ich für eher gering. Auch werden intelligente Lautsprecher der Sprachsteuerung nicht zum Sieg verhelfen – man braucht sich nur einen Eisenbahnwaggon voll sprachsteuernder Nutzer vorzustellen.

Unsere Finger sind zu dick, um Technik weiter zu miniaturisieren

Trotzdem weist die Sprachsteuerung in die entscheidende Richtung: Sie ist einer der Versuche, die biologische Grenze zu überwinden, an die die Miniaturisierung der Technik gestoßen ist. Wenn sich der Finger nicht mehr treffsicher auf einen Knopf oder Button setzen lässt, wird die Gerätschaft unbrauchbar. Versuche, das Smartphone im Dienste des Fortschritts auszuhungern, etwa in Gestalt von Fitnessarmbändern oder Smartwatches, führen zu nichts. Der schrittweise erfolgten Miniaturisierung muss deshalb ein radikaler Schritt folgen: Die Hardware muss komplett verschwinden, und nur noch die Funktionen bleiben.
Die Hardware tritt, genauer gesagt, in den Hintergrund und ist künftig überall verfügbar, wo man sie braucht. Digitale Technologie wird zu einer neuen Umweltbedingung, um das vielzitierte Internet der Dinge in einen anschaulichen Begriff zu übersetzen. Dieser Hintergrund, der um ein Vielfaches mächtiger sein wird als ein heutiges drahtloses Internet, wird gerade aufgebaut: die Infrastruktur, mit der autonome Fahrzeuge über unsere Straßen gesteuert werden sollen.

Die ganze Welt wird zur Nutzeroberfläche

Dieses Netz muss zuverlässig und in Echtzeit funktionieren. Es duldet keine Verzögerungen, die zu Unfällen führen könnten. Und wenn dann quasi in jedem Laternenpfahl ein Highspeed-Hotspot sitzt, braucht niemand mehr Hardware mehr mit sich herumzuschleppen. Schon seit längerem wird eine solche Hintergrundtechnologie zunehmend praxistauglich: beispielsweise in Form interaktiver Projektionssysteme. Sie verwandeln jede beliebige Oberfläche in einen Touchscreen oder lassen eine Tastatur aus Licht, die ganz wie gewohnt benutzbar ist, auf der Tischplatte erscheinen. Statt mit einer Maus herumzustochern, teilt man sich in Gesten mit.
So wie heute die Versorgung mit WLAN und Breitband-Internet zunehmend lückenlos wird, könnte das Netz bald nicht mehr nur über begrenzte Bildschirme erreichbar sein, sondern ebenso gut über Handflächen, Kneipentische oder Wartezimmerteppiche. So könnte die Zeit nach dem Smartphone aussehen: Die Oberfläche der ganzen Welt wird zur Nutzeroberfläche. Die Welt wird magisch, so, wie man Zauberei aus Kinderbüchern kennt. Man hebt den Finger und sofort geht ein Wunsch in Erfüllung. Das Internet wird zur Jetzt-Sofort-Alles-Maschine.

Der Preis der technischen Wunscherfüllung

Diese fantastische Fähigkeit hat allerdings ihren Preis, nämlich die immer detailliertere Preisgabe persönlicher Daten und ihre Verknüpfung zu einem Profil – einer digitalen Version unserer Persönlichkeit, die sich aber in fremden Händen formt. Hochgeschwindigkeitswunscherfüllung, also jene genussvolle moderne Form von Faulheit, die im Marketing vornehm Convenience heißt, funktioniert umso besser, je genauer die Algorithmen und die Logistik der Unternehmen im Hintergrund über uns bescheid wissen.
Wenn die Dinge sich nun immer mehr ins stofflos Virtuelle hinein auflösen – was bleibt uns dann noch? Werden wir durch die Digitalisierung alle zu Philosophen, die in leeren Räumen die Welt klarer sehen? Eines könnte die Hardware im Hintergrund uns auf jeden Fall zurückgeben: das Glück der freien Hände.

Peter Glaser ist Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Bachmann-Preisträger und begleitet seit drei Jahrzehnten die Entwicklung der digitalen Welt. Er selbst schreibt über sich: "1957 als Bleistift in Graz geboren. Lebt als Schreibprogramm in Berlin." Er twittert als @peterglaser und bloggt in der "Glaserei" für die Neue Zürcher Zeitung.

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