Digitale Schule in der Coronakrise

Ein Testfall für die Zukunft

07:13 Minuten
Eine Schülerin sitzt mit Lernmaterialien vor einem Computer, auf dem Lernsoftware läuft.
Was Mama und Papa können, kann auch die Tochter: eine Schülerin im Home-Office. © imago/epd-bild/Anke Bingel
Von Manuel Waltz · 23.03.2020
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Seit Jahren wird die schleppende Digitalisierung in der Schule beklagt. In der Coronavirus-Epidemie zeigt sich im Schnelltest, was schon funktioniert und was nicht. Die momentane Krise ist eine dynamische Fortbildung für alle Beteiligten.
"Wir arbeiten über die Lernplattform Moodle Übungssequenzen für Schüler auf, die im Übrigen in Corona-Zeiten sehr gut wären", erklärt Thomas Dahnke, drei Tage bevor klar wurde, dass alle Schulen in Sachsen-Anhalt schließen.
Er hat gerade eine Krankheitsvertretung übernommen. Eigentlich hat Dahnke anderes zu tun. Er ist stellvertretender Schulleiter in der Landesschule Pforta, einem Begabten-Internat in Trägerschaft des Landes. Statt also selbst im Klassenraum zu stehen, führt er den Unterricht von seinem Büro aus, online, über die Lernplattform Moodle, ein Lern-Management-System. Und über die hauseigene Schulcloud, entwickelt vom HPI, vom Hasso-Plattner-Institut. Aus Sicht von Thomas Dahnke ist das anspruchsvoller Unterricht.
"Die müssen diese Leistung bringen, weil ich diese Leistung abfordern kann. Ich kann ihnen Hilfe geben, ich kann ihnen dort Anleitung geben. Ich kann was von ihnen abfordern, ja. Und das kann ich von jedem beliebigen Ort machen. Und das ist dann das richtige, was ich unter Bildung 4.0 verstehe. Nicht dort ein PDF hochzuladen oder dem dort per WhatsApp etwas zu schicken."
In der Landesschule Pforta, in den alten Gemäuern einer Zisterzienserabtei, direkt an der Saale, fühlt man sich ein wenig wie bei Harry Potter. Zaubern kann hier allerdings niemand - auch nicht Thomas Dahnke beim digitalen Unterricht.

Technisch hoher Komfort

Online-Lernen ist komplex. Das Angebot an Möglichkeiten ist vielfältig, aber oft noch nicht ausreichend entwickelt - und vor allem noch nicht gut miteinander verzahnt. Da ist zum einem die Schulcloud – sie verbindet alle Beteiligten miteinander: Schulleitung, Lehrkräfte, Schüler und Eltern. Die Cloud bietet eine ansprechende, einheitliche Oberfläche und eine gute Bedienbarkeit. Sie kann Online-Lern-Methoden einbinden und bietet Zugriff auf Materialsammlungen.
"Cloud-Arbeit ist richtig, richtig komfortabel und Komfortabilität bedeutet natürlich auch eine Nutzer-Annahme dort. Sie wird von den Schülern mehr angenommen und von den Lehrern auch."

Unterschiede zwischen virtuellem und realem Lernen

Technisch komfortabel, inhaltlich aber begrenzt. Parallel zur Cloud nutzt Thomas Dahnke deshalb auch noch das Lernmanagement-System Moodle.
"Learning-Management-Systeme sind erheblich weiter, die sind aufs Lernen bezogen ganz anders strukturiert. Und jetzt kommt es darauf an, dort die Clouds im Prinzip so anzupassen und zu entwickeln, dass sie den Unterricht, wie er im virtuellen Raum sein müsste, tatsächlich genau widerspiegeln können. Virtuelles Lernen und reales Lernen sind unterschiedlich."
Soweit ist es aber noch nicht. Deshalb nutzt er die besseren pädagogischen Möglichkeiten von Moodle und die Cloud parallel.

Vom Büro aus in den Unterricht eingreifen

Thomas Dahnke verlässt sein Büro, geht ein Stockwerk nach oben, in die Klasse, die er virtuell betreut:
"So, das hier sind meine Schüler. Die arbeiten jetzt. Und die haben jetzt für die fünfte, sechste Stunde einen Recherche- und Arbeitsauftrag via Netz. Eigentlich wäre ich gar nicht hier."
Die Klasse sitzt an den Tischen im Klassenraum, jeder hat einen Laptop vor sich und arbeitet. Alle sind konzentriert bei der Sache.
"Geht mal bitte in den Chat rein, im Learning-Management. Ich gehe jetzt runter und dann werde ich in den Chat mit reingehen, ja? Okay, wir sehen uns dann im Netz."

Vieles klappt schon, manches noch nicht

Die Internatsschule in Pforta arbeitet mit der HPI Cloud, vieles klappt schon, vieles aber noch nicht. Ein Mathematik-Lernprogramm ist beispielsweise bereits eingebunden, auf Moodle aber kann Dahnke nicht von der Cloud aus zugreifen.
"Da sind wir ja noch am Entwickeln. Wenn ich sage, okay, das wäre sehr schön, wenn ich die in der Schul-Cloud hätte, dann setze ich mich mit dem HPI in Verbindung, und sage, ich brauche das und das, dann wird das denen vorgeführt und dann machen die das entsprechend. So soll es auch eigentlich sein."
Zurück im Büro zeigt der stellvertretende Schulleiter auf seinen PC: "So, und dann sieht man jetzt schon den Chat für den Networking Day."

Mehrere Logins bringen Stress

Bei Thomas Dahnke müssen sich die Schüler einzeln bei Moodle und für die Schul-Cloud anmelden. Eine solche Lösung wäre für Steffen Jost nicht praktikabel. Er ist Schulleiter im Wilhelm-Ostwald-Gymnasium in Leipzig.
"Generell ist die Verwaltung von vielen Systemen schwierig und - wenn ich speziell an Schüler denke - auch eigentlich gar nicht machbar, nicht durchführbar. Für verschiedenste Clouds die ganzen Logins vorhalten und dann hat wieder jemand seins für dieses vergessen und morgen für jenes. Funktioniert nicht. Das muss ein einheitliches System sein."

Vor der Schulschließung schnell noch eine Schulung

Als sich abzeichnete, dass auch in Sachsen die Schulen geschlossen werden, hat er veranlasst, dass alle Schülerinnen und Schüler noch einmal ihren Login überprüfen, um sich in die Schulcloud LernSax einloggen zu können. Auch die Lehrkräfte wurden noch einmal kurz geschult. Jetzt, nachdem die Schule geschlossen ist, wird versucht, den Unterricht soweit es geht aufrecht zu erhalten, schreibt Steffen Jost auf Nachfrage:
"Analog zum Stundenplan, der zuvor galt, stellen die Lehrer Aufgaben für ihre Klassen und übermitteln diese per LernSax. Diese Aufgabenstellung wird auch registriert und überprüft. Auf diese Weise entsteht gerade eine hoch dynamische Fortbildung in digitalem Unterrichten."
Allerdings zeigt sich inzwischen, dass die Cloud völlig überlastet ist und nur noch abends funktioniert.*)

Der Lehrer im Chat und in der Videokonferenz

Auch das Internat und die Landesschule Pforta sind geschlossen, der Unterricht läuft so gut es geht online weiter. Dazu wird vor allem die Lernplattform Moodle genutzt.
Jeder Lehrer kann seinen Online-Unterricht aber organisieren, wie er will. Die Arbeit wird per Chat von den Lehrkräften begleitet. Auch Video-Konferenzen wurden abgehalten, berichtet Thomas Dahnke.

Die Nutzung treibt die Entwicklung der Cloud voran

Manches, was bisher nur zögerlich oder im Notfall genutzt wurde, wird jetzt zur Alltagsanwendung. Die Zukunft wird im Schnelldurchlauf getestet. Für den stellvertretenden Schulleiter in Pforta, wo besonders begabte Schüler in Sprachen, Musik und Naturwissenschaft gefördert werden, ist das eine vielversprechende Zukunft:
"Da soll die Cloud wirklich zur Cloud werden, deshalb habe ich etwas gegen Clouds, die nur in die Schule hineinreichen. Oder nur über ein Land gezogen sind. Ich möchte, dass die Schüler, die Interesse haben, dort richtig kommunizieren und kollaborieren können, unabhängig von den Grenzen. Und in Schulpforte haben wir das eben sehr gut, die sind im Internat zusammen dort. Wenn ich die irgendwo hinbringe, dann finden die sich danach mit ihren Interessen und dann arbeiten die weiter an diesen Projekten dort und dann wird das viel, viel besser, als ich das jemals bringen könnte."

Hören Sie außerdem von unserem Autor einen Beitrag über das "Wolkenwirrwarr" in der Vernetzung der Schul-Clouds:

*) Eine Aktualisierung: Die Nutzerzahlen von LernSax haben sich innerhalb einer Woche mehr als verdreifacht, von rund 100.000 auf 308.000. Die Cloud war zeitweise nicht erreichbar. Am Wochenende wurden die Kapazitäten erhöht und inzwischen ist LernSax wieder für Pädagogen, Eltern, Schüler und Schülerinnen nutzbar.

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