Digitale Kartenwelten

Von Laf Überland |
Mit Google Maps kann man nicht nur in jeden Winkel der Erde zoomen, sondern sich mithilfe virtueller Folien auch die Klimaveränderung oder den Zustand mittelalterlicher Straßen anzeigen lassen. Wem das nicht genügt, der kann sich mit ein paar Klicks seine eigene Vorlage basteln.
Eine Milliarde Nutzer haben angeblich Google Earth auf ihrem Rechner installiert – das ist das Download-Programm zur Welterforschung. Die Browseranwendung, die man als Karte nutzen kann, heißt Google Maps. Beiden liegt zugrunde, dass sie die gewaltige Informationsmenge aus dem Internet nicht nur zur Darstellung von Landschaften, sondern auch zur Beantwortung vieler beliebiger Fragestellungen nutzen.

Das wirklich Neue an diesen Karten ist, dass sie sich mit jeder Anfrage verändern: dass sie von einem statischen, stilisierten Porträt der Erde zu einem interaktiven Konversationsinstrument geworden sind. Und zwar für jeden anders.

Dieser neue Typ der Landkarten lässt sich personalisieren, mit dem Nutzer als Zentrum der Welt. Denn immer mehr soziale Netzwerke haben Kartenapps einbezogen. Und hier tragen Mitglieder der Communities ein, wo sie gerade Kaffee trinken und wie der schmeckt. Oder welchen versteckten Wanderweg sie gerade entdeckt haben – samt Wegbeschreibung. Oder welches neue voll geile Graffito. So entstehen die persönlichen Landkarten der Welt.

Layer in Google Maps und Google Earth importieren
Natürlich haben die meisten Landkarten einen echten Servicecharakter, doch auch der explodiert geradezu in einem verwirrenden Jahrmarkt von Realitätsschichten, die im Internet herumschwirren. Diese Schichten heißen hier Layer, und der Nutzer kann sie – wie virtuelle Folien – in Google Maps und Google Earth importieren, wo sie sich über die Originalkarten legen. Und so sprießen zwischen den stilisierten Straßen und Orten in der Kartenansicht – oder den Wäldern und Seen in der Satellitenansicht – plötzlich Wolken und Sonnensymbole, die man anklicken kann, damit sie einem die Rodel-Wetteraussichten für diesen Ort anzeigen, kleine Ovale (für Basketballturniere, mit Spielständen nach Klick). Via Greenpeace kann man sich Klimaveränderungen anzeigen lassen, aber es gibt auch auch frühe gotische Architektur und Espresso-Bars samt detaillierten Infos, Volksmusik in Estland. Und natürlich komplette Reiseführer.

Aber auch, wer sich ernsthaft für Geschichte interessiert, der kann bequem eine der 5.300 historischen Karten als Layer auf Google Earth ziehen, die Google-Fans allein für Deutschland nutzbar gemacht haben: Da schwebt man dann mit dem Mauszeiger gerade noch über dem heutigen Holland, zieht etwas nach rechts und befindet sich plötzlich über dem Königreich Hannover, bevor Preussen es sich einverleibte 1866, und über dem deutschen Wald liegen die alten Beschriftungen und Grenzen.

Historiker lassen das antike Rom auferstehen
Aber neben den, nennen wir sie: Landkarten-Angeboten, entstehen im netzgestützten Kartenwesen auch virtuelle 3D-Objekte aus den Daten der realen Welt. Dass Teile von Stuttgart oder Berlin als 3D-Modelle zu betrachten sind, ist längst ein alter Hut. Ein Knaller hingegen ist zum Beispiel das Projekt ORBIS von Historikern, Geografen und Technikern der Stanford University: Rom 320 v. Chr., über 6.000 Häuser, viele mit detaillerter Inneneinrichtung. In dieses Projekt sind historische Karten und zahllose Quellen über Straßenverhältnisse und Wetterbedingungen eingeflossen und die Reisegeschwindigkeit von Pferdestaffeln und Ochsenkarren, und man kann eben nicht nur Rom in 3D begehen, sondern auf der interaktiven Karte herausfinden, wie lange eine Reise von Rom nach Londinium dauerte: sechs Wochen. Von Rom nach Alexandria dauerte es nur zwei Wochen – mit dem Schiff. Mit ein paar Klicks lässt sich zum Beispiel allgemein herausfinden, wie schnell sich Informationen 300 v. Chr. verbreiteten: Das interessiert Wissenschaftler und Lehrer; aber ORBIS erfreut auch den staunenden Laien.

Die geradezu revolutionärste Neuerung der digitalen Kartenwelt liegt allerdings in der leichten Erstellbarkeit. Früher mussten Karten von Fachleuten gezeichnet werden – das dauerte und kostete. Heute kann jedermann mit ein paar Klicks seine eigene Karte basteln: Im Netz gibt es genügend Programme, die einem dabei helfen.

Mit denen greift man auf Karten-Vorlagen, sogenannten Templates, zu und verbindet die mit Daten: nämlich solchen, die offizielle Einrichtungen zur Verfügung stellen oder Urlaubsfotos aus dem eigenen Bestand, mit denen man den Diavortrag von einst jetzt als interaktive Karte gestaltet.

Aber es gibt auch die interaktive Weltkarte zum Ausverkauf von Ackerland – welche Investoren Ackerland aufkaufen oder pachten – oder die Karte zu regionalen Unterschieden der Kaiserschnittraten in 2010 in Deutschland: Rhein-Hunsrück-Kreis mit 43,58 Prozent, Dresden nur 16,94 Prozent.

Und jeder Liebhaber von sonst was kann seine interaktive Google Map fürs Internet erstellen: zum Beispiel als akustische Landkarte – mit O-Ton-Aufnahmen von irgendwelchen Punkten der Erde, von der Eisenbahn in Burma bis zum Ostergeläut in Oberbergen am Kaiserstuhl auf der wirklich umwerfenden Weltkarte von Aporee.org.


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