Digitale Börsenmakler

Von Michael Engel · 17.09.2012
An den internationalen Börsen haben die Computer längst die Kontrolle übernommen. Experten schätzen, dass bis zu 75 Prozent des Aktiengeschäftes automatisiert abgewickelt wird. Sogenannte Algo-Trader entscheiden zum Beispiel, wann Aktienpakete abgestoßen werden.
"Wir sind die 99 Prozent," riefen Demonstranten der Occupy-Bewegung vor den Börsen dieser Welt, wohl nicht ahnend, dass man drinnen - auf dem "Parkett" – kaum noch Börsenmakler trifft. Computer haben die Regie übernommen.

Die Rechner analysieren nicht nur die Kursentwicklung. Sie handeln auch: mit Devisen, Rohstoffen, Wertpapieren und schneller, als ein Börsenmakler die Hand heben könnte. Mit dem algorithmischen Handel – kurz "Algo Trading" – können dreistellige Millionenbeträge im Bruchteil einer Sekunde bewegt werden, erläutert Wolf-Tilo Balke, Leiter des Instituts für Informationssysteme der TU Braunschweig.

"Wir sind im Millisekundenbereich. Das ist so schnell, dass Sie als Mensch nicht mehr interagieren können. Und in dem Moment, wo sich ein Mensch tatsächlich Unternehmenszahlen anschaut, und sagt, ja so schlimm ist das doch gar nicht, das Unternehmen ist gar nicht überbewertet, wir sollten nicht verkaufen, sondern wir sollten das Aktienpaket, das wir von der Firma haben, halten, hat der Computer schon lange verkauft."

"Algo Trader" analysieren den zickzackförmigen Kursverlauf zum Beispiel einer Aktie und berechnen die zukünftige Entwicklung so, als wäre es die Bahn eines Planeten, sagt der Mathematiker Wolf-Tilo Balke aus Braunschweig. Oftmals verstreichen zwischen Kauf und Verkauf eines Papiers nicht mal zwei Sekunden. Die geringen Kursunterschiede in dieser kurzen Zeit werden durch extrem hohe Einsätze im mehrstelligen Millionenbereich wett gemacht.

"Wenn eine Aktie im Moment steigt, dann kann man natürlich davon ausgehen, dass sie jetzt nicht plötzlich fallen wird, sondern dass sie sich noch eine Zeit lang so weiter entwickelt. Und das ist natürlich insbesondere interessant für solche Short-Term-Transactions, für Daytrading, für Microsecond Trading, dass sie einfach sagen, na ja, die Aktie ist gerade am Steigen. Kaufen wir sie und verkaufen sie zu einem relativ kurzfristigen Zeitpunkt und nehmen den Gewinn, den sie da gemacht hat, mit."

Kritisch beurteilt Michael Breitner, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Uni Hannover die Programme. Jedenfalls dann, wenn sie den Kursverlauf nicht nur passiv beobachten, sondern auch aktiv und gezielt beeinflussen: Zum Beispiel durch inszenierte, massenhafte Ankäufe, die den Kurswert plötzlich steigen lassen, um dann sofort wieder – mit Gewinn - zu verkaufen:

"Es kann hier einfach zu sehr starken Marktreaktionen kommen, die eigentlich mit einer fundamentalen Bewertung nichts zu tun haben. Das heißt, das Schwanken der Märkte wird künstlich erzeugt, um Geld zu verdienen, im Sekundenhandel oder im Minutenhandel, wo normalerweise eigentlich ein relativ ruhiger Verlauf eigentlich zu erwarten wäre. Das heißt, das dient natürlich keinem wirklichen Zweck. Das dient nur dem Zweck, dass mit dem Computerhandel eben Geld verdient wird."

Das Problem dabei: Es gibt nicht nur einen "Algo Trader", sondern Tausende. Banken, Fonds, Versicherungen, Spekulanten, Zocker – alle verwenden eigens entwickelte Programme, die ganz unterschiedlich "gestrickt" wurden. Welche Daten die Computer in welcher Weise reagieren lassen, das zählt zu den streng gehüteten Geheimnissen der Handelsunternehmen. Erst auf dem Markt – an der Börse – treffen alle diese Programme aufeinander und lösen mitunter gefährliche Entwicklungen aus – zur Überraschung der menschlichen Börsianer, so Michael Breitner von der Uni Hannover.

"Weil man muss sich ja vorstellen, wenn man ein sehr starkes Muster erzeugt, beobachten weltweit Hunderte, vielleicht Tausende von Handelscomputern diesen Kursverlauf, und wenn die zum Beispiel alle an dieser Stelle einspringen, wenn das Signal nach oben gesetzt ist, dann würde der Kurs extrem durch die Decke gehen. Aber das verhindern die Börsen inzwischen, indem sie Schranken eingebaut haben, wo der Handel blockiert wird, kurzfristig."
Manchmal sind es nur fünf Sekunden, dass der Computerhandel abgeschaltet wird. Manchmal mehrere Minuten. Anders weiß sich die Börse nicht mehr zu helfen. Dabei wird der Handel mit Hilfe von Computern nach Ansicht des Experten noch zunehmen.

Heute werden rund 75 Prozent der Börsengeschäfte mit Hilfe von Algo-Tradern abgewickelt. Eines Tages können es 100 Prozent sein, so die Prognose der Wirtschaftsinformatiker. Eine wie auch immer geartete Bremse – etwa eine Transfersteuer – ist chancenlos. Sie würde nur Sinn machen, wenn alle Staaten kooperierten. Und das sei eher unwahrscheinlich, meint Prof. Michael Breitner, denn Geld, Geld und noch mehr Geld ist einfach zu verlockend.

"Es sind im Prinzip Investmentfonds und große Banken, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die wiederum als Vermögensverwalter auftreten für Lebensversicherungen, für Rentenkassen. Und wenn man es auf den Punkt bringt: Letztlich sind es auch Sie und ich!"