Digitale Analyse im Amateurfußball

High-Tech in der Landesliga

23:46 Minuten
v.li.: Andreas Hohlenburger (Freising, 11) Jürgen Knödlseder (Hauzenberg, 8) im Zweikampf während eines Spiels der Landesliga Südost.
Ein Schuss, ein Tor: Wer die Nase vorn hat gewinnt, dabei helfen in Zukunft auch High-Tech-Analysen in der Landesliga. © foto2press/ Sven Leifer
Von Stefan Osterhaus · 31.05.2020
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Trainer mit Tablet: Was im Profifußball längst Standard ist, findet auch im Amateurbereich immer mehr Verbreitung. Mit Kamera und GPS-Tracker werden die Spieler analysiert und ihre Leistungen verbessert. Doch die Daten verraten nicht alles.
Fußball in der Landesliga in Nordrhein-Westfalen an einem Sonntagnachmittag. In der fünften Spielklasse empfängt der SV Brilon seinen Gegner. Ein ganz gewöhnliches Spiel in der Landesliga also? Auf den ersten Blick: ja. Denn es scheint alles wie immer.
Aber so ist es nicht. Ein Detail ist anders als sonst. Dieses Detail wird die Art und Weise, wie die Briloner Fußball spielen, verändern. Denn nahezu unbemerkt hat Trainer Stefan Fröhlich vor dem Spiel eine Kamera installiert – am Flutlichtmasten an der Mittellinie.

Das Spiel aus der Vogelperspektive

Für den jungen Trainer ist dies in Brilon eine Premiere: Erstmals ist das System in einem Heimspiel im Einsatz. Nach Spielende holt Fröhlich die Kamera per Seilzug vom Masten herunter:
Stefan Föhlich, Trainer beim SV Brilon mit der Vorrichtung COaching-Eye.
Das Training beobachten Trainer und Technologie gemeinsam für die spätere Analyse.© Deutschlandradio/ Stefan Osterhaus
"Das ist ne GoPro in Zusammenarbeit mit Coaching Eye, so nennt sich das. Das zeichnet das Spiel aus der Vogelperspektive auf, was uns als Trainer im Nachhinein eine bessere Bewertung zum Spiel gibt. Weil man hat immer eine eindimensionale Meinung zum Spiel von außen. Der Spieler hat auch eine Meinung, ich glaube, in der Nachbetrachtung ist es wichtig, es ohne Emotionen zu sehen. Dann kann man den einen oder anderen Spielaufbaufehler ein bisschen besser erkennen. Dafür nutzt es was."
Die Kamera ist wasserdicht und stoßfest - sehr strapazierfähig also. Einsetzbar nahezu bei jeder Witterung. Ausgestattet ist sie mit einem Superweitwinkelobjektiv, das das gesamte Spielfeld erfasst. Im digitalen Speicher wird das gesamte Spiel aufgezeichnet – und Fröhlich kann es dann nachträglich anschauen und analysieren.

Günstige Technik findet Verbreitung

Die Vogelperspektive ermöglicht dem Trainer ganz andere Ansichten. Das bringe taktisch eine Menge, sagt Fröhlich. Wie haben sich die Spieler auf dem Feld bewegt? Stimmten die Abstände von Defensive und Mittelfeld? Wie waren die Laufwege der Stürmer?
"Eine Sicht des Trainers ist immer reduziert auf die Seitenansicht, auf das, was passiert gerade. Vor allem als mannschaftstaktisches Mittel, wo stehen wir, wie eng sind wir zusammen, das ist in der heutigen Zeit sehr wichtig, weil viele Vereine auch professionell arbeiten, wobei wir für diese Liga hier schon eine Vorreiterrolle haben."
Früher hatten die Profis diese Technik exklusiv. Für einen Amateurklub war sie einfach zu teuer. Mittlerweile sind die Preise niedriger: Rund 1.300 Euro kostet ein Kamerasystem.
Ein paar Klassen höher ist es schon längst Standard. Fröhlich kommt aus Lippstadt, von einem Oberligisten. Da war er der Assistent von Daniel Farke, der nun Norwich in der englischen Premier League trainiert. Neben Jürgen Klopp vom FC Liverpool einer der ganz wenigen Trainer, dessen Mannschaft Manchester City von Pep Guardiola in dieser Saison in einem Ligaspiel schlug.
Von diesen Erfahrungen unter Farke profitiert Landesligatrainer Fröhlich heute: "Damals war es Oberliga, da war es zwingend notwendig, um auch Schlüsse zu ziehen, auch der eigenen Trainerarbeit: Was erarbeiten wir unter der Woche und was wird am Spieltag noch umgesetzt. Und da war es unabdingbar. Aufgrund der Kostenreduzierung mittlerweile ist das auch für einen Landesligisten total stemmbar."

Laufwege via GPS verfolgen

Noch 2015 wurde bei Borussia Dortmund lange über die Trainingsmethoden diskutiert, die der damals neue Trainer Thomas Tuchel aus Mainz mitgebracht hatte. Spielbeobachtung aus luftiger Höhe, die war im Profifußball schon längst State of the Art.
Aber Tuchel ging noch einen Schritt weiter. Er ließ auch die Laufwege der Spieler via GPS – also Satellitendaten – kontrollieren. Die Spieler trainierten mit einem Sender, der die Daten an das Trainingsprogramm auf den Rechnern übertrug. Der gläserne Spieler wurde auf diese Weise Wirklichkeit.
Im Sauerland vertraut Stefan Fröhlich vor allem dem, was er sieht. Seine Annahme, dass der Einsatz der Kamera auch in unteren Spielklassen große Vorteile mit sich bringt, hat sich bestätigt: Das System hat die Mannschaft weitergebracht.
"Ich versuche, den Spielern zu helfen, ihren Horizont zu erweitern", so Fröhlich, "weil oft ist es so, dass die Spieler vor allem im Spielaufbau nicht die kompletten Lösungen sehen. Sie sehen meist die nächste Lösung. Was aber auch dem Gegner die Chance gibt zu pressen, weil der Ball meist nur kurz auf die nächste Station gespielt wird. Das Trainerteam will den Jungs zeigen, dass wir mit dem Spiel in die Tiefe oder Spielverlagerung mehr Chancen haben, um zum Beispiel nach vorne zu kommen."

Motivation für junge Spieler

Den Horizont erweitern: Das motiviert auch in einer Amateurliga. Die Spieler können dem Hilfsmittel viel abgewinnen. Es gebe neue Impulse, erklärt Benedikt Brühne vom SV Brilon. Die Erfahrungen seien "bis jetzt sehr positiv, weil wir nutzen das bis jetzt für Spielanalysen auch im Training, damit wir uns ständig weiterentwickeln können. Auch für einzelne Spieler, aber auch teamintern für das gesamte Team."
Brühne begrüßt das: "Deswegen sehen wir das als gute Investitionen für uns. Der Trainer schickt uns meistens schon einzelne Sachen zu. Wir gucken uns das dann selber an und besprechen das dann noch mal intern mit ihm, dann noch mal extra, dass er uns dann eins, zwei Sachen mitgibt und wir selber dann auch noch einmal drüber gucken können und vielleicht selber schon mal ein paar Sachen sehen. Deswegen läuft das ganz gut."
Es bringe den Einzelnen selbst etwas, meint Brühne. Denn man könne im Spiel nicht die gesamte Situation überblicken. "Deswegen ist das besonders für uns junge Spieler eine große Motivation in der Hinsicht, dass wir uns selber sehen – und unsere eigenen Fehler dann auch vermindern können, abstellen können."

Arbeit des Trainers wird hinterfragt

Für Fröhlich ist es nur konsequent, auf die neue Methode zurückzugreifen. Als diplomierter Trainer, der sogar über eine A-Lizenz verfügt, will er mit der Entwicklung Schritt halten: "Würde sich der Fußball oder die technischen Hilfsmittel dafür nicht weiterentwickeln, dann würde man auch genau so trainieren wie vor 30 Jahren. Dann würde man als Trainer die Leibchen in die Luft schmeißen im Amateurbereich, zwei Mannschaften wählen und kicken lassen. Hat früher auch funktioniert."
Weil sich Trainer und Trainerteam immer weiter verbessern wollten, müsse die Trainingsarbeit und Spielaufbereitung mitgehen. Zudem seien die Spieler dynamischer als früher, zumindest in diesem Bereich.
Allerdings geht es nicht nur um die permanente Verbesserung. Hilfreich sei der Einsatz von Bewegtbildern auch, weil die Spieler im Vergleich zu früher kritischer und mündiger geworden seien, erklärt Fröhlich: "Weil besonders die Generation heute, die jungen Spieler, die hinterfragen auch vieles. Wenn mir früher mein Trainer gesagt hat: ‚Ja das machst du falsch‘, dann glaube ich ihm das. Aber mittlerweile ist es so: ‚Glaube ich nicht. Ja, zeig doch mal. Sehe das anders.’ Da hat man zumindest ein weiteres Hilfsmittel, die Spieler von seiner Idee zu überzeugen, Fußball zu spielen."
Die Bilder sind also im Zweifel auch ein Mittel, mit dem der Trainer seine Autorität untermauern kann. Denn der Einsatz der Technik hat die Arbeit des Amateurtrainers verändert – und zwar gewaltig. Sie ist präziser geworden, denn die Technik ermöglicht ungeahnte Einblicke.

Auf der Suche nach Verbesserung

Aber die Arbeit ist auch aufwendiger geworden. Das erfordert Engagement. Stefan Fröhlich ist kein Profitrainer. Er hat zwar einen Trainerschein der höchsten DFB-Kategorie, aber er geht neben dem Fußball einem ganz normalen Beruf nach. Er arbeitet als Leiter mehrerer Niederlassungen im Baugewerbe. Seinen Trainerjob und die Arbeit lassen sich zwar miteinander verbinden, doch die Trainertätigkeit nimmt einige Zeit in Anspruch.
"Meist ist die Nachbetrachtung montags, wenn ich im Büro bin. Meine Mittagspause geht dann dafür flöten. Ich gucke mir das Spiel an und schneide mir einzelne Dinge auf kleine Video-Dateigrößen, die man dann auch versenden kann im Nachhinein. Dann geht die Kommunikation per WhatsApp meist los. Ich schicke das Video vielleicht mit ein zwei Kommentaren. Dann unterhalten wir uns bei der nächsten Trainingseinheit darüber."
Mitunter nerven ihn die Kollegen am Arbeitsplatz deswegen, sagt Fröhlich. Frotzeleien höre er häufiger. "Ich hatte diese Woche noch ein Gespräch mit meinem Arbeitskollegen, der sagte: ‚Du bist doch wahnsinnig, das ist doch nur Hobby für dich.‘Ja, aber wenn du deine Modelleisenbahn im Keller aufbaust, dann baust du auch Berge drumherum, dann muss alles picobello aussehen, dann gibst du dir Mühe und haust Zeit ohne Ende darein. Das ist meine Leidenschaft."
"Wenn man als Trainer noch irgendwie zwei Prozentpunkte sieht, die man dadurch vielleicht auch nur erreichen könnte – nicht bewiesen, sondern könnte – dann macht man die", erklärt Fröhlich. "Alles, was man ausprobiert, das kann Verbesserung bringen. Aber wenn man es nicht ausprobiert, dann wird es auch nicht besser."

Bestmöglich eine Mannschaft aufbauen

Taktik und Modelleisenbahn – lässt sich das wirklich vergleichen? Wenn es um die Passion geht, um die Präzision, mit der an einer Idee gearbeitet wird, dann könne man das schon gegenüberstellen, findet Fröhlich: "Ja, und er sitzt dann wieder da. Wochenende für Wochenende guckt er seine Bahn an und hat da auch Leidenschaft für. Sage ich auch nichts dazu, dass du dich das halbe Wochenende im Keller einsperrst und da Zeit verbringst. Er sagt dann: ‚Aber als Trainer ist das ja was anderes.‘ Nein. Wir versuchen das Bestmögliche. Du willst die Eisenbahn sauber haben und die Berge drumherum bauen, eine Landschaft aufbauen. Ich möchte eine Mannschaft aufbauen."
Kamerabilder als Analysewerkzeug: Das ist ein Weg, um zu Resultaten zu kommen – und es ist ein wichtiger. Aber es gibt dazu eben noch die Methode, mit der Thomas Tuchel vor bald fünf Jahren die Dortmunder Journalisten verblüffte: Die exakte Nachverfolgung der Spielerleistung mittels GPS.
Auch wenn es futuristisch klingt: Es gibt ebenso bei dieser Methode Amateurklubs, die bereits damit trainieren. Ihre Spiele bereiten sie so professionell vor, wie es früher undenkbar war.

Keine Spielerei für Technikfreaks

Türkspor in Stuttgart ist so ein Klub – jenes Team, das sich stolz die schwäbisch-türkische Nationalmannschaft nennt und das zur kommenden Saison in den VfL Stuttgart integriert werden wird.
Türkspor hat seinen Trainingsplatz gleich neben dem Zweitligisten VfB Stuttgart. Mit seinem jungen, gerade 25 Jahre alten Trainer Kerem Arslan ist die Mannschaft ein Vorreiter in der Bezirksliga. "Klar wir sind im Amateurbereich", sagt Arslan, "da gibt es genug Trainer, die da noch auf die alte Schule setzen, was ich auch okay finde. Ich denke aber auch, dass es in Ordnung ist, wenn wir da auf die Technologie zurückgreifen dürfen und können, wenn wir die Möglichkeit haben und die hatten wir jetzt in diesen sechs Monaten."
Kerem Arslan, Trainer von Türkspor in Stuttgart auf dem Trainingsplatz.
© Deutschlandradio/ Stefan Osterhaus
Arslan würde gerne weiter mit dem System arbeiten – wenn es für den Klub finanzierbar wäre. Denn vom Effekt ist er überzeugt. Datenanalyse, sagt Arslan, sei auch in der Amateurliga keine Spielerei für Technikfreaks, sondern könne auch dort den Unterschied ausmachen: "Die Technik kann definitiv 10, 15 Prozent ausmachen, weil in der heutigen Zeit hast du verschiedene Dynamiken in dem Spiel. Die Dynamik entscheidet sehr oft Spiele, und natürlich auch der Zustand der Spieler. Die Technik ist dafür da, um genau das zu verbessern. Wenn du am Ende dadurch zwei Punkte mehr hast oder fünf Punkte mehr hast, dann kann das entscheidend sein, um am Ende die Meisterschaft zu feiern – oder eben nicht zu feiern."

GPS-Sender um die Brust

Wie Sender und Empfänger miteinander kommunizieren, erklärt Arslan so: "Die Jungs kriegen einen Brustgurt, da ist dann ein GPS-Tracker dran. Die setzen Sie sich an die Brust, oder um die Hüfte, das Ding verrutscht auch nicht. Es ist sattelfest, du spürst das auch so gut wie gar nicht. Dann wird es vor dem Spiel einmal angemacht und nach dem Spiel einmal ausgemacht. Die Leistung wird sofort aufs iPad übertragen, und du hast die Analyse."
Pulsschlag, gelaufene Meter und Sprints – das lässt sich erfassen durch die Methode. Aber nicht nur das: Mit Hilfe von GPS kann der Trainer exakte Bewegungsprofile seiner Kicker auf dem Spielfeld erstellen: "Auf dem iPad hast du ein Spielfeld abgebildet. Durch den GPS-Tracker an der Brust zeigt es dir in einer roten Farbe an, wo er sich bewegt hat", erklärt Arslan.
"Das siehst du dann wirklich bildlich. Die roten Flächen auf dem Spielfeld sind die Bereiche, wo der Spieler sich am häufigsten aufgehalten hat. Die helleren Orte, da hat er sich weniger aufgehalten. Dann gibt es eben komplett weiße Bereiche, da war der Spieler gar nicht zu sehen. Das siehst du dann wirklich auf dem Tablet", begeistert sich der junge Coach. "Da ist dann ein Spielfeld abgebildet. Durch die Farben erkennst du, wo hat er sich am häufigsten bewegt. Sehr interessant. Das ist wirklich interessant, ich finde das Ding klasse."
Wie aber verhält es sich damit in der Praxis? Was heißt es, wenn der Trainer auf dem iPad nachvollziehen kann, wie viele Kilometer ein Mittelfeldspieler gelaufen ist? Und was kann er mit der Information anfangen, dass ein Abwehrspieler auf den ersten Metern extrem schnell ist?
Arslan winkt einen Innenverteidiger heran: "Es sieht dann so aus, dass im Falle von Onur, Onur ist Innenverteidiger, er richtet sein Spiel eher darauf aus, dass er versucht, das Spiel zu lesen; dass er vermeidet, in Sprintsituationen zu kommen, weil er nicht ganz sicher ist, ob er die Geschwindigkeit vom Stürmer aufnehmen kann; sich da seiner Schnelligkeit nicht ganz sicher ist. Wir haben aber bei den Werten gesehen, dass er eine Höchstgeschwindigkeit von über 30 km/h erreicht, was zeigt, dass er eine gute Schnelligkeit hat, was wirklich richtig gut ist. So kann man ihm dann auch zeigen, dass er ruhig mal mutig nach vorn verteidigen kann, dass er auch mal höher stehen kann, dass er gegebenenfalls, wenn wir es ganz spielen, er die Bälle mit seiner Schnelligkeit ablaufen kann."
Die Daten zeigen also: Der Innenverteidiger kann es ganz anders, als er es sich selbst zugetraut hat. Ein Erfolg für den Trainer. Durch die Datenanalyse hat er das Repertoire seines Verteidigers in einem solchen Maße erweitert, dass das Spiel der Mannschaft davon enorm profitiert.

Selbstbewusster Verteidiger

Der Spieler selbst hat ein vollständig anderes Bild von sich bekommen: "Nachdem ich gesehen habe, dass mein Höchsttempo bei 30 km/h liegt", sagt Onur, "bin ich auf jeden Fall auch selbstbewusster und kann die Sprintduelle mit den Stürmern annehmen. Aus diesem Grund wurde ich auf jeden Fall auch selbstbewusster. Das gibt auch eine Bestätigung, dass man für mehr bereit ist. Man sieht auch den Stand der Dinge, aber man darf nicht vor Augen verlieren, dass es nur die Daten sind, man muss auch andere Dinge vor Augen haben, an denen man trainieren muss – im taktischen Bereich. Das ist wieder eine andere Sache."
Man kann also ohne Weiteres sagen: Mithilfe der Daten hat sich hier die Identität des Spielers verändert. Andererseits hat der Trainer damit ein starkes Instrument in den Händen, wenn er mit seinen Spielern über die Leistung diskutieren muss – und das ähnelt durchaus dem von Fröhlich in Brilon.
"Wenn du einen Spieler hast, der die Meinung hat, dass er überragend gespielt hat, und nicht versteht, dass er auf der Bank sitzt, dann kannst du vielleicht auch mal schwarz auf weiß zeigen, dass er viel zu wenig gelaufen ist, dass seine Bewegung nicht gut waren, oder das er ein Spiel falsch eingeschätzt hat."
Aber was geschieht, wenn die moderne Technik in einen Breitensport wie den Amateurfußball Einzug hält? Welchen Einfluss haben diese Daten auf uns? Uwe Vormbusch ist ein Experte für solche Fragen. Er ist Professor für Soziologie an der Fernuniversität Hagen.
Dass Zahlen enorme Auswirkungen auf den Fußball haben, das ist für Vormbusch keine Frage. Doch bisher ging man meistens vom Profifußball aus. Nun aber geht es um den Amateursport.
"Ich glaube, das kommt sehr darauf an, über welche Liga wir sprechen", sagt Vormbusch. "Wenn wir über die Bundesliga und über die zweite Liga sprechen, dann sind das professionelle Akteure, professionelle Spieler, die es mittlerweile gewohnt sind, nicht nur auf dem Platz beobachtet zu werden – durch ein großes Publikum, sondern dass im Hintergrund auch Kameras mitlaufen und Schrittzähler und GPS-Tracker mitlaufen, die dann Gigabyte an Daten produzieren, mit denen sich dann nachher Trainer und die Trainerstäbe auseinander zu setzen haben."

Kritischer Blick auf die Daten

Anders aber im Amateursport. Auch da, sagt Vormbusch, wird der Einsatz von Technik die Art und Weise verändern, wie auf das Spiel geschaut wird. Doch die Voraussetzungen sind ganz andere.
"Das ist schon anders, das ist ein – ich sage mal – wissenschaftlicher Bezug, was ich da eigentlich tue. Das sind nicht mehr nur elf Freunde die auf dem Platz stehen, sondern das ist eine geballte analytische, wissenschaftliche Struktur, die da zur Anwendung kommt", so Vormbusch.
Eine geballte wissenschaftliche Struktur. Das ist mehr als nur eine Spielerei. Da wird aus dem Spiel Ernst. Außerdem, sagt Vormbusch, die Daten seien keineswegs so unschuldig, wie sie wirkten.
Es bestehe auch die Möglichkeit, die Daten zu missbrauchen. Ein Thema, sagen die Fußballer, sei dies aber bisher nicht gewesen. Zum Ende der Saison würden sämtliche Daten gelöscht, so Arslan.
Vormbusch ist aber noch ein ganz anderer Punkt wichtig: Daten mögen auf den ersten Blick neutral wirken, aber sie sind es nicht in dem Maße, wie es den Anschein hat. Und sind die Zahlen erst einmal im Spiel, dann verändert sich alles – innerhalb des Systems ist nichts mehr so, wie es vorher war:
"Die Tätigkeit des Trainers verschiebt sich zum Beispiel", sagt Vormbusch. "Es geht nicht mehr nur darum, die Leute auf dem Platz zu trainieren. Vielleicht sitzt der Trainer dann die halbe Nacht und analysiert Spieldaten, mit denen es erst einmal schwer ist, damit etwas anzufangen. Er gewinnt damit vielleicht auch einen neuen Blick auf seine Spieler. Die Frage ist: Ist das unbedingt der bessere Blick? Ist das ein richtiger Blick? Da muss man schon sagen: die Assoziation, die Verbindung von Zahlen mit Objektivität, dass das etwas Wahreres ist, was ich mir anschaue, wenn ich auf die Zahlen schaue – das ist hochproblematisch. Das gilt es, im Sport wie in allen anderen Bereichen sehr kritisch zu reflektieren."

Die Gefahr des Normspielers

Kritisch – aber warum? Hilft nicht die Technik, den Spielern Beine zu machen, sie anzuspornen? Dass Ausflüchte und Ausreden nicht mehr möglich sind? Vormbusch plädiert für einen zweiten Blick auf das Geschehen und warnt vor Effekten, die weder im Sinne der Spieler noch des Trainers sein können:
"Das wird man sich in der Zukunft sehr genau anschauen müssen. Wie die aus Handlungen zwischen dem Cheftrainer und den Trainerstäben, den analytischen Teams in den großen Mannschaften, wie die aussehen und welchen Einfluss diese analytischen Teams wirklich auf die Trainerentscheidung, auf die Aufstellung des Teams haben. Das ist eine offene Frage. Das wird ganz spannend sein, das zu beobachten."
Es wird nicht nur die Trainer betreffen. An die Spieler dürften dann ganz andere Maßstäbe als vorher angelegt werden, sagt Vormbusch:
"Sei es im Hinblick auf das Passspiel oder auf die Antrittsbeschleunigung oder auf ihre Ermüdungsfaktoren. Es müssen diese Werte erreicht werden. Dann bildet sich etwas heraus wie das Bild eines Normspielers. Das ist das Profil, das ein Spieler erreichen muss, um ein guter Spieler sein zu können, um gegebenenfalls in unsere Mannschaft passen zu können."
Normen entsprechen, Profile ausfüllen. Verträgt sich das wirklich mit einem Sport, der zum einen so unterschiedliche Anforderungen an seine Akteure stellt, zugleich aber eine Spielwiese für Individualisten ist?
"Das muss nicht unbedingt etwas mit der tatsächlichen Effektivität des Spielers zu tun haben. Der Fußball auf dem Platz lebt letztendlich auch immer davon, dass Menschen etwas Überraschendes tun, dass sie kreativ sind, dass sie sich anders verhalten, als der Gegner es unter Umständen antizipiert. Diese Orientierung an den Normen, an den Durchschnittswerten und an dem Übertreffen von Durchschnitten – das ist hochproblematisch, weil es zu etwas führen kann wie Homogenisierung", warnt Vormbusch.

Warnung vor Zahlengläubigkeit

Verliert hier der Amateurfußball durch den Einsatz von solch komplexer Trainingsunterstützung seine Unschuld? Ein wenig klingt es danach. Der Soziologe kann dem Einsatz von Daten allerdings durchaus positive Aspekte abgewinnen:
"Ich bin nicht prinzipiell gegen den Einsatz von Daten – auch im Fußball nicht. Wichtig ist die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Wenn sich Trainer und Spieler hinsetzen und sagen: ‚Hey, hör mal zu, ich habe mir das mal angesehen, wir haben noch ein paar Messwerte dazu. Schau doch mal darauf. Wir haben dreimal drüber gesprochen, du meinst, du hast nicht den besten Antritt, aber das stimmt eigentlich nicht. In bestimmten Situation hast du den nämlich. Das will ich jetzt mit dir entwickeln, dass das auch in anderen Situationen so ist."
Das setze aber voraus, dass sich alle Betroffenen hinsetzten, sich die Daten ansehen und interpretieren würden, so Vormbusch. "Da geht es nicht um Objektivität. Da geht es nicht um richtig oder falsch, sondern es geht darum, dass man sich Informationen besorgt, mittels derer man dann reflektieren kann."
Beide Amateurtrainer, die wir in sauerländischen Brilon und Stuttgart getroffen haben, dürften dem Einwand des Soziologen zustimmen. Sie sehen den Einsatz der Technik keineswegs unkritisch. Zwar ist der Stuttgarter Kerem Arslan immer noch begeistert von den Möglichkeiten, die sich ihm durch den Einsatz von GPS bei der Aufbereitung von Spielen bieten, doch auch er sieht Risiken, wenn man allzu blauäugig mit der Technik umgeht.

Große Verantwortung für Trainer

Seine Bedenken gehen genau in jene Richtung, die der Soziologe Vormbusch mit dem Begriff "Normspieler" beschrieben hat:
"Die Gefahr und die Risiken sehe ich darin, dass dem Spieler eine gewisse Freiheit weggenommen wird. Ein Fußballer entscheidet meist auch situativ. Wenn du weißt, du wirst ständig beobachtet, dann entscheidest du dich vielleicht auch mal anders, als du es eigentlich getan hättest, weil du genau weißt, der Trainer guckt auch auf dem Rechner zu. Eine gewisse Selbstständigkeit im Spiel wird dir vielleicht weggenommen. Man muss auch nicht immer alles bewerten und beobachten. Da eine gute Mitte zu finden, schafft auch nicht jeder. Da sehe ich dann auch die Gefahr."
Es liegt also an der Arbeit der Trainer, ob die neue Technik Segen oder Fluch sein wird. Stefan Fröhlich vom SV Brilon betont nicht nur seine Rolle als Motivator, sondern auch die des Pädagogen. Genauso wie Arslan aus Stuttgart plädiert auch er beim Einsatz von Analysewerkzeugen für das richtige Maß:
"Man muss es dosiert einsetzen. Man überfrachtet auch die Spieler, wenn hier ein Spieler kommt, der damit noch nie in Berührung war und dann sieht, dass er das besonders gut kann oder dass er das immer wieder falsch macht, damit kann man auch einen Spieler brechen. Da ist dann auch die pädagogische und auch soziale Verantwortung, das dosiert einzusetzen und das einfach nur als Hilfsmittel für mich in der Trainingsarbeit zu sehen."
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