Digel räumt Betrug in der Leichtathletik ein
Helmut Digel, Vizepräsident des Internationalen Leichtathletikverbandes, hat Lücken bei Dopingkontrollen eingeräumt. Vor Beginn der Leichtathletik-Europameisterschaft in Göteborg sagte Digel, man dürfe nicht erwarten, dass alle Athleten ungedopt an den Start gehen. "Es gibt eben die Möglichkeit, Kontrollsysteme zu unterlaufen", betonte er.
Birgit Kolkmann: Carolina Klüft, die Siebenkämpferin, Dreispringer Christian Olsson und Hochspringer Stefan Holm, das sind Schwedens Stars für die Leichtathletik-Europameisterschaften ab Montag in Göteborg. Schweden ist im Leichtathletikfieber, und dank der überall sehr erfolgreichen Stars hat der Sport enormen Zulauf. Anders in Deutschland: Die bundesdeutschen Leichtathleten sind wenig erfolgreich, trotz eines sehr viel größeren und differenzierteren Systems an Vereinen, Verbänden und Förderungen. Kein Vergleich zu Schweden, die sagen, unser System ist es, kein System zu haben. Und die Dopingdiskussion begleitet auch hier den Spitzensport. Im Interview in Deutschlandradio Kultur begrüße ich den Tübinger Sportwissenschaftler Helmut Digel, Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes. Schönen guten Morgen, Herr Digel!
Helmut Digel: Guten Morgen!
Kolkmann: Herr Digel, warum stehen die deutschen Athleten international so schlecht da?
Digel: Ja, so schlecht stehen sie ja nicht da. Sie sind schlechter geworden, und man hat eigentlich andere Erwartungen an eine Leichtathletik-Nation wie Deutschland auf Grund der großen Erfolge in der Vergangenheit. Schweden hat es natürlich sehr viel einfacher hier international Anschluss zu halten. Das liegt zum einen daran, dass in Schweden die Dominanz des Fußballs weit geringer ist und auch die Unterstützung durch Staat, Wirtschaft, aber auch durch andere kulturelle Sektoren in Schweden sehr viel umfassender ist gegenüber der Leichtathletik, als dies in Deutschland der Fall ist. Aber es gibt natürlich auch hausgemachte Ursachen.
Kolkmann: Könnte man da von den Schweden lernen, wenn bei uns die Stars fehlen? Muss man über eine neue Art der Förderung nachdenken, zum Beispiel mehr in kleinen Teams, Minigruppen?
Digel: Ich denke, diesen Weg beschreitet der DLV, wenn er sagt, er möchte keine zentrale Steuerung haben, sondern er möchte, dort wo die Leichtathletik lebendig ist, sie unterstützen. Aber es ist dennoch in Schweden so, dass man, wenn man die Ursachen nach dem Erfolg wirklich aufdecken möchte, dann wird man erkennen, das es ganz wesentlich in Schweden gelungen ist, gute Trainer an talentierte Athleten zu binden. Und gerade wenn man sieht, woher Carolina Klüft kommt, woher Olsson kommt, dann wird man sehen, es hat die Ursache in zwei, drei Heimtrainern, die den ganzen Erfolg bedingt haben, die über Jahre mit diesen Athleten zusammengearbeitet haben, die auch den langen Atem hatten, sie an die Weltspitze zu führen. Und man kann auf diese Weise schon sehen, dass es wirklich auf ein optimales Förderungskonzept ankommt, in dem der Verband Dienstleister ist. Er selbst muss gleichsam Diener dieses erfolgreichen Duos in diesem Leichtathletikzentrum sein.
Und hier hat Schweden in der Tat uns etwas mit auf den Weg zu geben. In Schweden steht der Heimtrainer im Mittelpunkt mit seinem Athlet oder seiner Athletin, und der hat auch die öffentliche Aufmerksamkeit. Die Bundestrainer oder die Steuerungsinstanzen stehen dabei im Hintergrund und sind reine Dienstleister. Und ich denke, davon können wir einiges lernen.
Kolkmann: Dieses alles bezeichnet ja eine Aufgabe, die mehrere Jahre, wenn nicht mindestens ein ganzes Jahrzehnt dauern wird. Im Augenblick ist es ja so, dass der Leichtathletik die Fernsehzuschauer weglaufen. Hat das auch damit zu tun, dass wir in Deutschland nicht die ganz großen Stars haben?
Digel: Die ganz großen Stars sind auch in Deutschland. Denken Sie an Lars Riedel, er ist sicher einer der größten Leichtathletikstars aller Zeiten. Wenn er in Göteborg gewinnt, dann hat er wahrscheinlich eine Leistung vollbracht, die nie zuvor ein Athlet vollbracht hat. Denn er hat, wenn Sie jetzt nur einmal seine Weltmeistertitel betrachten, einen Erfolg aufzuweisen, den es in der Leichtathletik ganz, ganz selten gibt. Franka Dietsch ist eine der besten Diskuswerferinnen aller Zeiten, und auch sie ist eigentlich ein Star. Nur, Stars in den Wurfdisziplinen sind nicht vergleichbar mit den Stars in den Laufdisziplinen. Sie erweisen sich weniger anschlussfähig für die Massenmedien, und darin liegt die Schwäche der deutschen Leichtathletik.
Seit wir keine Laufstars mehr haben, haben wir ein Problem, wenn wir von der Idolbildung in unserem Sport sprechen. Gerade für die jüngeren Generationen ist es ganz offensichtlich wichtig, dass sie Stars haben, die an ihre Lebenswelt sich anbinden lassen. Und da fehlt uns ein Frank Busemann, da fehlt uns ein Florian Schwarthoff, da fehlen uns eine ganze Reihe von Athleten, die dies in der Vergangenheit noch leisten konnten. Und da kann man nur hoffen, dass nun die jüngeren Talente, die es ohne Zweifel in Deutschland gibt, auch mal über einen längeren Zeitraum hinweg Erfolge aufweisen können. Das geht nur dann, wenn sie nicht verletzt sind, das heißt, wir brauchen hier auch eine sehr viel verantwortungsvollere Führung dieser jungen Karrieren. Wir verlieren viele Athleten im relativ jungen Leistungsalter, und sie beenden dann ihre Karriere. Und da, denke ich, da ist einiges zu tun. Denn nur wenn jemand über einen längeren Zeitraum mehrfach gewinnt, dann wird er zum Star, dann ist er anschlussfähig. Und dann ist das Fernsehen auch wieder dabei, dann möchte man ihn sehen, dann wird Leichtathletik übertragen.
Kolkmann: Kommen wir noch zur Dopingdiskussion: Gibt es keine sauberen Spitzenwettkämpfe mehr? Welche Erwartungen haben Sie an die Europameisterschaft in Schweden?
Digel: Also grundsätzlich glaube ich, dass wir heute sehr viel sauberere Wettkämpfe haben, als dies jemals zuvor der Fall war. Denn gerade in den 60er und 70er Jahren, da gab es wohl Wettkämpfe, die von den Zuschauern als saubere Wettkämpfe wahrgenommen wurden. Dies war aber nur deshalb der Fall, weil zu diesem Zeitpunkt keine Kontrollen stattgefunden haben. Heute wird kontrolliert, und gerade in Schweden wird sehr sorgfältig kontrolliert. Schweden verfügt über die besten Labors, sie haben ein sehr durchdachtes Antidoping-Programm seit Jahren umgesetzt, und deshalb denke ich, dass bei dieser Europameisterschaft über die Kontrollen es gar keine Klagen geben wird.
Nur darf man nicht annehmen, dass dann, wenn eine Meisterschaft bestens kontrolliert ist, am Ende nur saubere Athleten bei dieser Meisterschaft an den Start gegangen sind. Es gibt eben die Möglichkeit, Kontrollsysteme zu unterlaufen. Es gibt ja auch die Möglichkeit, sich auf den Wettkampf so vorzubereiten, dass man dann beim Wettkampf selbst nicht positiv ist. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass in unserer Sportart betrogen wird, deshalb geht es darum, dass wir konsequent die Betrüger aufdecken und sie harten Strafen zuführen. Wichtiger wäre allerdings, dass wir, denn das tun wir bereits, dass wir auch die Handlanger, die Dealer, ja diese Pharmakologen, die man eigentlich so nicht mehr bezeichnen darf, die sind ja eigentlich Pharmagangster, die diese Athleten verführen. Denn ohne dieses Umfeld, das den Athlet beeinflusst, derartige Betrügereien und einen derartig umfassenden Betrug gegenüber seinen Konkurrenten zu wagen, wäre der Dopingbetrug nicht denkbar.
Kolkmann: Vielen Dank, Helmut Digel. Der Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes und Tübinger Sportwissenschaftler im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Helmut Digel: Guten Morgen!
Kolkmann: Herr Digel, warum stehen die deutschen Athleten international so schlecht da?
Digel: Ja, so schlecht stehen sie ja nicht da. Sie sind schlechter geworden, und man hat eigentlich andere Erwartungen an eine Leichtathletik-Nation wie Deutschland auf Grund der großen Erfolge in der Vergangenheit. Schweden hat es natürlich sehr viel einfacher hier international Anschluss zu halten. Das liegt zum einen daran, dass in Schweden die Dominanz des Fußballs weit geringer ist und auch die Unterstützung durch Staat, Wirtschaft, aber auch durch andere kulturelle Sektoren in Schweden sehr viel umfassender ist gegenüber der Leichtathletik, als dies in Deutschland der Fall ist. Aber es gibt natürlich auch hausgemachte Ursachen.
Kolkmann: Könnte man da von den Schweden lernen, wenn bei uns die Stars fehlen? Muss man über eine neue Art der Förderung nachdenken, zum Beispiel mehr in kleinen Teams, Minigruppen?
Digel: Ich denke, diesen Weg beschreitet der DLV, wenn er sagt, er möchte keine zentrale Steuerung haben, sondern er möchte, dort wo die Leichtathletik lebendig ist, sie unterstützen. Aber es ist dennoch in Schweden so, dass man, wenn man die Ursachen nach dem Erfolg wirklich aufdecken möchte, dann wird man erkennen, das es ganz wesentlich in Schweden gelungen ist, gute Trainer an talentierte Athleten zu binden. Und gerade wenn man sieht, woher Carolina Klüft kommt, woher Olsson kommt, dann wird man sehen, es hat die Ursache in zwei, drei Heimtrainern, die den ganzen Erfolg bedingt haben, die über Jahre mit diesen Athleten zusammengearbeitet haben, die auch den langen Atem hatten, sie an die Weltspitze zu führen. Und man kann auf diese Weise schon sehen, dass es wirklich auf ein optimales Förderungskonzept ankommt, in dem der Verband Dienstleister ist. Er selbst muss gleichsam Diener dieses erfolgreichen Duos in diesem Leichtathletikzentrum sein.
Und hier hat Schweden in der Tat uns etwas mit auf den Weg zu geben. In Schweden steht der Heimtrainer im Mittelpunkt mit seinem Athlet oder seiner Athletin, und der hat auch die öffentliche Aufmerksamkeit. Die Bundestrainer oder die Steuerungsinstanzen stehen dabei im Hintergrund und sind reine Dienstleister. Und ich denke, davon können wir einiges lernen.
Kolkmann: Dieses alles bezeichnet ja eine Aufgabe, die mehrere Jahre, wenn nicht mindestens ein ganzes Jahrzehnt dauern wird. Im Augenblick ist es ja so, dass der Leichtathletik die Fernsehzuschauer weglaufen. Hat das auch damit zu tun, dass wir in Deutschland nicht die ganz großen Stars haben?
Digel: Die ganz großen Stars sind auch in Deutschland. Denken Sie an Lars Riedel, er ist sicher einer der größten Leichtathletikstars aller Zeiten. Wenn er in Göteborg gewinnt, dann hat er wahrscheinlich eine Leistung vollbracht, die nie zuvor ein Athlet vollbracht hat. Denn er hat, wenn Sie jetzt nur einmal seine Weltmeistertitel betrachten, einen Erfolg aufzuweisen, den es in der Leichtathletik ganz, ganz selten gibt. Franka Dietsch ist eine der besten Diskuswerferinnen aller Zeiten, und auch sie ist eigentlich ein Star. Nur, Stars in den Wurfdisziplinen sind nicht vergleichbar mit den Stars in den Laufdisziplinen. Sie erweisen sich weniger anschlussfähig für die Massenmedien, und darin liegt die Schwäche der deutschen Leichtathletik.
Seit wir keine Laufstars mehr haben, haben wir ein Problem, wenn wir von der Idolbildung in unserem Sport sprechen. Gerade für die jüngeren Generationen ist es ganz offensichtlich wichtig, dass sie Stars haben, die an ihre Lebenswelt sich anbinden lassen. Und da fehlt uns ein Frank Busemann, da fehlt uns ein Florian Schwarthoff, da fehlen uns eine ganze Reihe von Athleten, die dies in der Vergangenheit noch leisten konnten. Und da kann man nur hoffen, dass nun die jüngeren Talente, die es ohne Zweifel in Deutschland gibt, auch mal über einen längeren Zeitraum hinweg Erfolge aufweisen können. Das geht nur dann, wenn sie nicht verletzt sind, das heißt, wir brauchen hier auch eine sehr viel verantwortungsvollere Führung dieser jungen Karrieren. Wir verlieren viele Athleten im relativ jungen Leistungsalter, und sie beenden dann ihre Karriere. Und da, denke ich, da ist einiges zu tun. Denn nur wenn jemand über einen längeren Zeitraum mehrfach gewinnt, dann wird er zum Star, dann ist er anschlussfähig. Und dann ist das Fernsehen auch wieder dabei, dann möchte man ihn sehen, dann wird Leichtathletik übertragen.
Kolkmann: Kommen wir noch zur Dopingdiskussion: Gibt es keine sauberen Spitzenwettkämpfe mehr? Welche Erwartungen haben Sie an die Europameisterschaft in Schweden?
Digel: Also grundsätzlich glaube ich, dass wir heute sehr viel sauberere Wettkämpfe haben, als dies jemals zuvor der Fall war. Denn gerade in den 60er und 70er Jahren, da gab es wohl Wettkämpfe, die von den Zuschauern als saubere Wettkämpfe wahrgenommen wurden. Dies war aber nur deshalb der Fall, weil zu diesem Zeitpunkt keine Kontrollen stattgefunden haben. Heute wird kontrolliert, und gerade in Schweden wird sehr sorgfältig kontrolliert. Schweden verfügt über die besten Labors, sie haben ein sehr durchdachtes Antidoping-Programm seit Jahren umgesetzt, und deshalb denke ich, dass bei dieser Europameisterschaft über die Kontrollen es gar keine Klagen geben wird.
Nur darf man nicht annehmen, dass dann, wenn eine Meisterschaft bestens kontrolliert ist, am Ende nur saubere Athleten bei dieser Meisterschaft an den Start gegangen sind. Es gibt eben die Möglichkeit, Kontrollsysteme zu unterlaufen. Es gibt ja auch die Möglichkeit, sich auf den Wettkampf so vorzubereiten, dass man dann beim Wettkampf selbst nicht positiv ist. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass in unserer Sportart betrogen wird, deshalb geht es darum, dass wir konsequent die Betrüger aufdecken und sie harten Strafen zuführen. Wichtiger wäre allerdings, dass wir, denn das tun wir bereits, dass wir auch die Handlanger, die Dealer, ja diese Pharmakologen, die man eigentlich so nicht mehr bezeichnen darf, die sind ja eigentlich Pharmagangster, die diese Athleten verführen. Denn ohne dieses Umfeld, das den Athlet beeinflusst, derartige Betrügereien und einen derartig umfassenden Betrug gegenüber seinen Konkurrenten zu wagen, wäre der Dopingbetrug nicht denkbar.
Kolkmann: Vielen Dank, Helmut Digel. Der Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes und Tübinger Sportwissenschaftler im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.