Dieses Sex-Buch ist ein Muss!

07.06.2013
Wenn eine Feministin über weibliche Sexualorgane, über Vagina und Klitoris schreibt, dann hagelt es Verrisse. Logisch! Dabei ist die These von Naomi Wolf geradezu banal: Ja, es gibt eine Verbindung zwischen der Vagina und dem Gehirn.
Über dieses neue Buch der Feministin Naomi Wolf ist schon so viel Schlechtes geschrieben worden, dass ich gleich vorwegschicken will: Dieses Buch ist ein Muss! Für jede Frau, für jeden Mann, für jedes Mädchen, für jeden Jungen ab der Pubertät.

Es ist temperamentvoll, es ist rasant geschrieben, voller Leidenschaft und missionarischem Eifer. Naomi Wolfs Euphorie der Forscherin auf den Spuren der Weiblichkeit reißt einen immer wieder mit. Auch wenn sie sich hin und wieder in ihrem Eifer, ihre Thesen wissenschaftlich wasserdicht zu begründen, in etwas zu ausufernden Schilderungen der Aktivitäten von Hormonen und Neurotransmittern ergeht. Aber diese Passagen kann man gut gelaunt durchleiden.

"Unser Wissen über die weibliche Sexualität ist heillos veraltet", schreibt Naomi Wolf. Dies ist die Grundannahme des Buches "Vagina - Eine Geschichte der Weiblichkeit" - Gott, was für ein herrlich unbescheidener Titel!

Wolf rechnet ab mit den Klassikern der Aufklärungsliteratur: Da sind zuerst einmal der Gynäkologe William Masters und die Naturwissenschaftlerin Virginia Johnson, deren bahnbrechendes Werk "Die sexuelle Reaktion" seit seiner Erstveröffentlichung 1967 immer wieder neu aufgelegt wurde. Wolf hält die zentrale Erkenntnis von Masters & Johnson, die die Ähnlichkeit der sexuellen Reaktionsweisen von Männern und Frauen hervorheben und die unter anderem behaupten, es gebe keinen Unterschied zwischen einem vaginalen und klitoralen Orgasmus, für unhaltbar. Wolf schreibt aber auch gegen die Ikone der feministischen Sexualwissenschaften an: Shere Hite. Deren These, die Vagina sei nicht so wichtig wie die Klitoris – aus Wolfs Sicht völlig falsch.

Ihr zentrale These lautet: Es gibt eine Verbindung zwischen der Vagina und dem Gehirn. Halleluja! Das allein ist eigentlich nicht die große Überraschung. So wie alle im Biologie-Unterricht gelernt haben, dass es eine Verbindung zwischen dem großen Zeh und dem Gehirn gibt, konnte man unausgesprochen davon ausgehen, dass auch eine Verbindung zwischen der Vagina und dem Gehirn besteht.

Unausgesprochen! Das ist der entscheidende Punkt. Naomi Wolf spricht es aus. Die verbale, aber nicht nur verbale, sondern auch und tatkräftige millionenfache Verachtung der Vagina in den westlichen Gesellschaften degradiert dieses zentrale weibliche Organ zu einem passiven Objekt. Belege für diese These fallen jedem mühelos ein.

Naomi Wolf konstatiert, der Feminismus sei in den vergangenen Jahren auf Abwege geraten, was die Aufklärung über die weibliche Sexualität angeht. Es greife zu kurz, das Geschlecht eindimensional als soziales Konstrukt zu betrachten. Wolf fordert, der Feminismus dürfe keine Angst vor der Konfrontation mit neuen wissenschaftlichen Ergebnissen haben. Ziel sei es, eine gerechte Welt zu schaffen, in der all unsere Unterschiede geschützt und all unsere Qualitäten akzeptiert würden.

Frauen müssten aufhören, vor ihrer Verantwortung für sich als Wesen mit einer Vagina, mit Sexualität und Lust davonzulaufen. Sobald sie dies täten – und als Matrix dient ihrer Argumentation die Emanzipationsbewegung der Schwulen und Lesben – sobald Frauen also die Verantwortung übernehmen, wird das auch die Beziehungen zu den Männern von Grund auf ändern.

Besprochen von Ruth Kinet

Naomi Wolf: Vagina - Eine Geschichte der Weiblichkeit
Übersetzt von Barbara Imgrund, Gabriele Gockel, Karola Bartsch
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
448 Seiten, 24,95 Euro