"Dieser Geist ist weg"

Moderation: Klaus Pokatzky · 01.03.2013
Vor knapp fünf Jahren starb Jörg Haider bei einem Autounfall, in Kärnten ringen seine politischen Erben nun um die Macht. Ein Gespräch mit dem Klagenfurter Verleger Lojze Wieser über die Landtagswahlen am Sonntag, politischen Populismus - und mysteriöse Totenverehrung.
Klaus Pokatzky: Kärnten ist ein Bundesland im Kulturkampf. Offener Hass schwelt, Drohungen gegen politische Feinde werden ausgestoßen – das hat die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben. Alte Seilschaften sind aufgebrochen, neue Allianzen werden geschmiedet. Durch die Kärntner Landschaft führt uns jetzt der Klagenfurter Verleger Lojze Wieser. Herr Wieser, Kulturkampf in Kärnten?

Lojze Wieser: Durch dieses Land zieht sich seit Jahrhunderten oder wenn nicht schon länger ein kultureller Riss, der eigentlich Europa vom deutschsprachigen und dem slawischen Raum und dem romanischen Raum trennt. Hier wurde an dieser Grenze sozusagen immer wieder versucht, den Menschen in eine Position zu kriegen, der den Mächtigen immer unterworfen oder gedient hat. Daraus …

Pokatzky: Den Mächtigen, muss man dazu sagen, den Mächtigen in der alten K.-u.-k.-Monarchie, also Habsburger-Land haben Sie da.

Wieser: Habsburger, aber auch in der weiteren Folge dann nach dem Ersten Weltkrieg, wo es darum gegangen ist, Nationalstaaten zu festigen, da hat man ein Menschenmaterial gebraucht, das sich sprachlich dann einer bestimmten Nation zugehörig gefühlt hat, und da waren natürlich an diesen Grenzen immer wieder Menschen, die in verschiedenen Sprachen gesprochen haben und dann umgemodelt werden mussten.

Pokatzky: Das ist bei Ihnen die slowenische Minderheit, wenn ich das sagen darf. Es gibt ja einige Regionen, da ist Slowenisch nach Deutsch die zweite Amtssprache, sie haben gelegentlich etwas, das bei uns dann in Deutschland in den Medien als Ortsschilderstreit auftaucht. Was verbirgt sich hinter solchen Auseinandersetzungen?

Wieser: Hinter solchen Auseinandersetzungen verbirgt sich, dass zum Beispiel jeder Dritte in Kärnten vor 100 Jahren noch Slowenisch gesprochen hat, heute ist es jeder 44. Oder es verbirgt sich dahinter, dass (…) Ortschaften in Kärnten eine slowenische Wurzel haben und daher einen slowenischen Namen, aber nur 164 angeschrieben werden dürfen in der öffentlichen Wahrnehmung.

Pokatzky: Heißt das, dass die Slowenen im Laufe der Jahre, Jahrzehnte dann sozusagen germanisiert wurden?

Wieser: Im Prinzip kann man das so auf diesen Punkt bringen. Die Entwicklung hat es dazu gebracht, dass die Menschen ihre Sprache verschwiegen haben, sich geduckt haben und sich angepasst haben – etwas, was wir heute in Europa in allen Städten natürlich erleben, nur nicht in dieser Exklusivität oder in dieser Brutalität.

Pokatzky: Die Tageszeitung "Die Welt" hat geschrieben: "Über Jahrzehnte konnte in Kärnten verhetzende, anti-slowenische Minderheitenpolitik gemacht werden, mit der erst seit Kurzem Schluss ist." Ist damit jetzt wirklich Schluss und taucht das auch im Wahlkampf nicht auf?

Wieser: Ich würde so sagen: Es ist natürlich diese Frage vom Tisch, das ist wahr. Aber aus einem Grund würde ich meinen, dass wirklich die Menschen weiter sind, als die Politik bislang war. Die europäische Entwicklung und die Europäische Union haben zumindest eines zutage gefördert: dass es ein größerer Raum ist, in dem verschiedene Kulturen sich treffen und daher ein Nationalitätenstreit in der alten Tradition – Nationalstaat hier, Nationalstaat da – nicht mehr notwendig ist. Und den Menschen ist es überdrüssig geworden, diesen Streit zu führen. Auch objektiv damit zusammenhängend, dass es natürlich immer weniger Slowenisch sprechende Menschen gegeben hat.

Pokatzky: Was macht Kärnten denn heute so aus, wie ist der Kärntner, wie ist seine Alltagskultur?

Wieser: Eine schwierige Frage. Eigentlich wie der Bayer oder eigentlich wie der Oberösterreicher oder vielleicht ein um den alten Stock herum lebender Mensch, der mehr oder weniger immer um sein Leben hart arbeiten hat müssen und gerade deswegen sich auch natürlich oft lieber angepasst hat als sich dem Widerstand ausgesetzt hat. Aber trotzdem, in schwierigen Zeiten, so wie zum Beispiel während des Zweiten Weltkrieges, sind gerade hier in diesen Bergen und in diesen Tälern Menschen in den Widerstand gegangen und haben als Einzige innerhalb des Tausendjährigen Reiches den Widerstand organisiert.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur der Klagenfurter Verleger Lojze Wieser zu den Landtagswahlen am Sonntag in Kärnten und zum Kärntner an sich. Herr Wieser, jetzt sollten wir aber doch dann bitte zu der Politik kommen, zu den Politikern, die angetreten sind und bei diesen ja vorgezogenen und zwar wegen heftiger Korruptionssümpfe vorgezogenen Landtagswahlen, jetzt sollten wir auf die Politiker und die Politik zu sprechen kommen. Welche Seilschaften gibt es bei Ihnen, welche neuen Allianzen werden jetzt möglicherweise geschmiedet, nach den Wahlen am Sonntag?

Wieser: Ich würde meinen, es war ja ein Betriebsunfall, dass der grüne Rolf Holub so etwas von hartnäckig war, dass er über Jahre jedem korrupten Sumpf nachgegangen ist und es so weit gebracht hat, dass dann ein Verband mit der Antikorruptionsbehörde in Österreich eingerichtet worden ist, diese Erfolge erzielt hat, dass er den Menschen vorgeführt hat, dass so viele Gelder in Korruptionsaffären verschwunden sind.

Pokatzky: Sie haben eine ganz starke Partei, das ist eine Abspaltung der alten Freiheitlichen, die Jörg Haider einige Jahre vor seinem Tod bei einem Verkehrsunfall ins Leben gerufen hat. Diese Partei ist die BZÖ, und die haben bei den letzten Wahlen 45 Prozent bekommen. Was glauben Sie, wie viel diese rechtspopulistische Partei jetzt am Sonntag bekommen wird?

Wieser: Die BZÖ als solche muss darum zittern, überhaupt in den Landtag zu kommen. In der Zwischenzeit hat es ja zwischen 2009 und heute noch eine weitere Spaltung gegeben, und die BZÖ ist als orange Ausrichtung mehr oder weniger auf der Abschiedstour. Die größere Menge von Menschen, die damals die BZÖ dargestellt hat, versammelt sich in der FPK, eine Strache-Scheuch-Dörfler-Kombination, die versucht, im Sog des verblichenen und sich davongeschlichenen Haider in Wirklichkeit noch die Kärntner, ihre Stimmen zu erkaufen, indem sie Heizungshunderter verteilen, die Jugend draußen da verteilen oder der Pensionsauf… in Hundert-Euro-Scheinen vor der Landesregierung verteilen.

Pokatzky: Zu Ihrem speziellen politischen System gehört, dass alle Parteien, die etwas mehr als zehn Prozent der Stimmen bekommen, Vertreter in die Landesregierung entsenden dürfen. Wie dient das dem politischen Streit?

Wieser: Es war der Proporz im Grunde genommen in den letzten Jahrzehnten, der die antinationalen oder antislowenischen politischen Verhältnisse aufrechterhalten hat. Das war eine Bedingung des ehemaligen Landeshauptmanns Wagner von den Sozialdemokraten, dass es eine Proporzregierung gibt, damit er alle in Wirklichkeit im Deutsch-Nationalen instrumentalisieren kann. Das hat natürlich zu einer unwahrscheinlichen Lähmung geführt, weil immer, wenn nationale oder soziale Fragen nationalisiert und ethnisiert worden sind, ist die Keule des deutsch-nationalen Heimatbewusstseins gekommen und der Kärntner Anzug über alles gestülpt worden. Die derzeitigen Aussagen von den Sozialdemokraten und auch von der ÖVP und von den Grünen gehen dahin, dass sie sagen, sie würden bei einer Zweidrittelmehrheit sofort dieses Proporzsystem abschaffen.

Pokatzky: Und wie sind die Chancen, dass sie die dafür nötige Zweidrittelmehrheit bekommen?

Wieser: Wenn die Vorhersagen und das Gefühl, das man derzeit auf den Straßen und in den Gesprächen mit den Menschen bekommt, stehen die Chancen eigentlich recht gut, dass es dazu kommt. Wir müssen aber unbedingt bedenken, dass in etwa 40 bis 50 Prozent sich nicht äußern, in welche Richtung sie gehen werden. Und in der Regel war das so, dass solche Umfragen dann genau den Blauen der FPK und den anderen die Stimmen gegeben haben.

Pokatzky: Jörg Haider, der Mann, der vor fast fünf Jahren bei einem Autounfall unter Alkoholeinfluss ums Leben gekommen ist, der frühere Kärntner Landeshauptmann, der alte Chef der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs, der dann von dieser FPÖ seine Partei Bündnis Zukunft Österreich, BZÖ, abgespalten hat, die nirgendwo solche Erfolge feiert wie in Kärnten, spielt der heute noch eine Rolle, schwebt sein Geist über allem?

Wieser: Der ist aus der Flasche. Dieser Geist ist weg.

Pokatzky: Der ist in der Flasche oder aus der Flasche?

Wieser: Aus der Flasche. Der hat sich wie Kampfer in Wirklichkeit verflüchtigt.

Pokatzky: Also keine Gefahr mehr?

Wieser: Keine Gefahr.

Pokatzky: Haiders Nachfolger als Landeshauptmann, Gerhard Dörfler, hat ja nach dem Unfall gesagt, unsere Sonne, unser Jörg ist vom Himmel gefallen, und es werden ja immer noch Kerzen an dem Unfallort niedergestellt. Also er muss doch noch immer eine Anhängerschaft haben.

Wieser: Ja, es ist halt so wie bei jedem katholischen Marterl, wie wir das sagen, wenn in irgendeinem Jahrhundert irgendwo ein Blitz eingeschlagen hat, wurde ein Marterl aufgestellt.

Pokatzky: Was ist das?

Wieser: Ein Marterl ist ein Wegzeichen, katholisches Wegzeichen …

Pokatzky: Also ein Marterl, was an Martyrium erinnert?

Wieser: Ja, ja, richtig. Ein Marterl ist ein Martyrium. Und solche Marterln gibt es für verbrannte sogenannte Hexen und diese Marterln gibt’s für alle möglichen Leute. Und die Menschen sind wohlwollend und deswegen zünden sie Kerzen an.

Pokatzky: Also sonst kein Einfluss mehr von Jörg Haider?

Wieser: Eigentlich ist das ein Mysterium, wo die einen oder anderen hingehen. Wobei hier wird ja auch gemunkelt und offen gesprochen, der Josef Winkler, der Büchner-Preisträger, hat ja gesagt und auch geschrieben, dass das Land jeden Tag um halb sechs in der Früh diese Kerzen auswechseln lässt auf Kosten unserer Steuern.

Pokatzky: In diesem Jahr gibt es insgesamt vier Landtagswahlen in Österreich und im Herbst Nationalratswahlen. Wie wichtig sind die Wahlen in Kärnten vom Sonntag in diesem Zusammenhang für das ganze Land?

Wieser: Ich denke, es wird an dem schon entschieden werden, ob es einen Ruck in die richtige Richtung des neueren und bewussteren Denkens gibt oder ob wir Verhältnisse prolongieren, wie wir sie in Italien derzeit vorgeführt bekommen.

Pokatzky: Sie haben geschrieben: Es ist Zeit, das Land und den Körper zu heilen. Und sie haben empfohlen, bis zu den Wahlen am 3. März vor und nach dem Essen ein Frackerl, nach den Wahlen an jedem dritten Tag ein Frackerl auf nüchternen Magen, bis die Gesundung eintritt. Was ist das für eine Droge bitte?

Wieser: Das ist ein Kräuterbitter, der aus verschiedenen heilenden Gewürzen zusammengestellt ist, der den Körper entgiftet, und wenn man davon fleißig trinkt, dann entgiftet man den Körper, kriegt die Augen klarer, das Hirn arbeitet besser, und dann kann man Demagogen nicht so auf den Leim gehen.

Pokatzky: Schicken Sie mir was davon?

Wieser: Jederzeit gerne.

Pokatzky: Danke, Lojze Wieser, Verleger in Klagenfurt, und viel Spaß am Sonntag bei den Wahlen!

Wieser: Ich danke Ihnen!

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