"Dieser Film wird eine nationale Ikone werden"

Moderation: Frank Meyer · 18.09.2007
In Warschau ist der Film "Katyn" von Altmeister Andrzej Wajda uraufgeführt worden. Darin behandelt er ein historisches Trauma der Polen: 1939 ermordete der sowjetische Geheimdienst tausende polnische Offiziere. Der Publizist Adam Krzeminski befürchtet, dass der Film von der konservativen Regierungspartei im Wahlkampf umgemünzt werden könnte.
Frank Meyer: Gestern wurde der Film "Katyn" von Andrzej Wajda in Warschau uraufgeführt, am 17. September, an dem Tag, an dem die Rote Armee im Jahr 1939 in Polen einmarschiert ist. Für Deutschlandradio Kultur ist jetzt der polnische Publizist Adam Krzeminski am Telefon. Herr Krezminski, wie haben Sie denn diesen Film erlebt, ähnlich bewegt wie die Zuschauer, von denen wir gerade gehört haben?

Adam Krzeminski: Guten Tag! Ja, der Film ist sehr bewegend. Und man könnte sagen schon jetzt, es wird zu einer historischen Ikone. Es ist nicht ganz wahr, dass man die Wahrheit nicht kannte, auch vor ‛89. In den wissenschaftlichen Untersuchungen, Büchern, gab es kleingeschrieben beide Versionen. Das heißt, dass die Sowjets und dass die Nazis das gemacht haben. Das heißt, der Leser konnte sich Schlussfolgerungen ziehen. Der Punkt ist hier, wir haben das noch nie gesehen. Und Wajda ist dieser Nationaldichter des 20. Jahrhunderts. Er hat fast alle nationalen Dramen und Romane verfilmt, und seine Filme gehören jetzt zum Kanon sozusagen des polnischen Selbstverständnisses. Und dieser Film ist die Krönung dieser Serie. Allerdings die Kritiken sind sehr unterschiedlich. Besonders jüngere Filmkritiker sagen, dass sie enttäuscht seien, weil sie eine eher kritische Auseinandersetzung mit sich selbst von Andrzej Wajda erwartet hätten. Das heißt, es ist eine Ikone, wir sehen die Frauen, Ehefrauen, Mütter, Schwestern der Erschossenen, wie sie mit diesem Trauma des Verlustes umgehen, während des Krieges, als die Nazis sagten, die Sowjets hätten das gemacht, und nach dem Kriege, als die Sowjets sagten, die Nazis hätten das gemacht. Diese große Lüge ist eine familiäre Lüge auch. Und das ist eigentlich der Film. Die Hinrichtungsszene selbst, diese 20 Minuten, als die Abschluss-Coda wirkt nach, aber es geht eigentlich nicht nur um die Bebilderung dieser schrecklichen, ja, des Völkermordes, denn es war ein Teil der Köpfung, der Hinrichtung der polnischen Intelligenz, der Führungsschicht.

Meyer: Das ist die historische These, Herr Krzeminski, die immer im Umlauf ist, Stalin wollte mit diesem Massenmord an polnischen Intellektuellen, die die Offiziere ja oft waren, die polnische Nation köpfen, wie Sie das auch selbst sagen.

Krzeminski: So ist es. Das war nicht nur Stalin, das waren auch die Nazis. Es gab eine Konferenz in Zakopane im November ‛39, die man durchaus mit Wannsee-Konferenz vergleichen kann, wo die Zusammenarbeit abgekartet wurde, der beiden Geheimdienste, Gestapo und NKWD, und die Hinrichtungen in Katyn liefen zeitgleich mit der Errichtung des Lagers Auschwitz, zuerst für die polnische Intelligenzschicht, und erst dann für die Endlösung der Juden Europas. Abgesehen davon, das wird in diesem Film gezeigt, werden polnische Professoren der Jagiellonen-Universität in Krakau zeitgleich nach Sachsenhausen entführt oder, ja, entführt könnte man sagen, viele überleben das nicht. Das heißt, es war eine abgekartete Hinrichtungsaktion und Köpfung eines Volkes. Insofern ist es durchaus ein Völkermord moralisch, metaphysisch, aber auch juristisch. Und dass Putin das verweigert, zeigt nur, dass diese stalinistische Lesart der russischen Geschichte durchaus weiterverfolgt wird in Russland.

Meyer: Diese Verweigerung von Wladimir Putin, die Toten von Katyn anzuerkennen als Opfer des stalinistischen Terrors, diese Weigerung, welche Rolle spielt die für die heutigen Beziehungen zwischen Polen und Russland?

Krzeminski: Es ist ein Teil vieler grundsätzlicher Auseinandersetzungen, die zwischen Russland und der polnischen Republik geführt werden. Das ist natürlich die Energiefrage, aber die Vergangenheitspolitik ist ein Teil davon. Putin sagt, okay, Jelzin habe schon so etwas wie Schuldbekenntnis abgelegt in den 90er Jahren, er war in Katyn, und damit hat sich die ganze Sache. Der Punkt ist nur, niemand in Russland weiß, was dort passiert ist. Und in den Schulbüchern, auch in diesem akademischen Universitätshandbuch der russischen Geschichte, das Putin vor einem Monat präsentiert hatte, ist die alte stalinistische Lesart, nicht dass die Deutschen das gemacht hatten, sondern dass das irgendwie berechtigt war aus der Perspektive der Macht und Realpolitik. Und das ist natürlich nicht tragbar, wenn Stalin mit Bismarck auf eine Ebene gestellt wird. Das heißt, Stalin soll der Bismarck der russischen Geschichte sein, eine unerhörte Geschichtslüge.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Adam Krzeminski über den Film "Katyn" von Andrzej Wajda. Wie wird das in Polen heute reflektiert, die noch amtierende Regierung Kaczyński, wird die Wajdas Film zu nutzen versuchen? Sie haben gesagt, das wird eine nationale Ikone werden, dieser Film. Wird das auch eine Munition für eine polnische nationalkonservative Politik?

Krzeminski: Ich glaube schon, das heißt, die Konservativen versuchen auch diese Filmpremiere – wir haben jetzt den Anfang des Wahlkampfes, die Wahlen sind für Ende Oktober ausgeschrieben – und sie versuchen auch, solche Ereignisse wie die Premiere für sich umzumünzen. Das ist verständlich, das hat auch der Rundfunkratsvorsitzende der regierenden Partei eindeutig gesagt, dass alle in Polen, die die Vergangenheit vergessen wollen, jetzt das Maul halten werden. Gemeint war natürlich die Opposition, die weiß Gott über die Geschichte nicht schweigen will. Sie will aber über sie anders reflektieren als nur im hagiografischen Sinn. Und das ist auch ein Teil dieses Wahlkampfes.

Meyer: Und wie hat sich Andrzej Wajda zu diesen Vereinnahmungsversuchen verhalten?

Krzeminski: Neutral, das heißt, man merkt, dass er sehr gerührt ist, man merkt ihm das an. Und er ist kein Parteiischer in diesem Wahlkampf, aber natürlich er ist endlich glücklich, leidend glücklich, dass er diese Episode aus seiner Familiengeschichte verfilmen konnte und damit natürlich ungewollt steht er auf der Seite derjenigen, die diese hagiografische oder selbstbemitleidende Tendenz bekräftigen wollen, die stützt er und gibt ihnen Munition. Aber der Film wirkt, und das wird ein Film, glaube ich, auch über die politischen Schützengräben dieses Herbstes wahrgenommen und reflektiert werden.

Meyer: Der Regisseur Krzysztof Maswon hat gesagt, dass er glaubt, dass alle Polen sich diesen Film ansehen werden. Eine große Hoffnung – teilen Sie die?

Krzeminski: Ach was heißt alle, alle Polen, aber auf jeden Fall sehr viele, obwohl man bei der jüngeren Generation, und das sieht man auch an diesen kritischen Rezensionen, sieht, dass sie auch einen eigenen Zugang zu der Vergangenheit, schon nicht als Enkel, sondern als Großenkel, der Erlebnisgeneration suchen und weiß Gott nicht alles ästhetisch für bare Münze nehmen wollen. Daran ist nicht zu rütteln natürlich, dass Katyn eine weiterhin klaffende Wunde ist, auch für die junge Generation, zumal sie, wie gesagt, moralisch zwischen Polen und Russland, der Republik Russland und der Republik Polen, nicht ausgeräumt ist.

Meyer: "Katyn", der neue Film des polnischen Altmeisters Andrzej Wajda wurde gestern in Warschau festlich uraufgeführt. Und darüber habe ich mit dem polnischen Publizisten Adam Krzeminski gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!