"Dieser Film ist eine Liebeserklärung an die Stadt Berlin"
Der Film "Boxhagener Platz" zeigt auf humorvolle Weise das Leben in Ostberlin im Jahr 1968. Regisseur Matti Geschonneck nennt den Film einen "Berliner Heimatfilm", durchsetzt mit "Berliner Humor, der mit Überlebenskampf, Überlebenswillen, mit Lebensbejahung zu tun hat und jeglicher Diktatur, jeglicher Obrigkeit trotzt".
Holger Hettinger: Herr Geschonneck - 1968 - das ist ja eine Zahl wie eine Chiffre für die 68er im Westen Deutschlands: Studentenunruhen, freie Liebe, der radikale Bruch mit dem vermufften Nachkriegsdeutschland. Was waren für Sie die bestimmenden Momente der 68er in Ostberlin?
Matti Geschonneck: Na ja, in erster Linie ist das ja eine Romanverfilmung, eine Romanadaption und eine Erinnerung an eine Kindheit am Boxhagener Platz. Und dieser Roman von Torsten Schulz, als ich den gelesen hatte, hat er mir sofort gefallen, weil es gibt wenig Stoffe, wo es um Berlin geht, die in Berlin spielen zwar, aber wo das Thema Berlin so im Vordergrund ist. Und ich habe mich sofort in diese Figuren, in dieses Figurenensemble verliebt und hatte dann auch das Glück, das Angebot zu bekommen, diesen Film zu machen.
Hettinger: Hat dieser Stoff von Torsten Schulz auch bei Ihnen so das ein oder andere biografische Glöckchen zum Klingen gebracht? Sie sind ja groß geworden am Boxhagener Platz.
Geschonneck: Ja, ich bin, etwas früher habe ich da gelebt, Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre. Ich bin dort eingeschult worden, habe meine Kindheit in und um den Bahnhof Ostkreuz am Boxhagener Platz verlebt und kenne die Ecke eigentlich sehr gut aus meiner Kindheit. Aber Boxhagener Platz steht für Berlin, dieser Film ist auch eine Liebeserklärung an die Stadt Berlin. Es ist ein Liebesfilm, es ist eine tragikomische Erinnerung an das ja auch in Berlin ziemlich turbulente Jahr '68, was ja auch in dem Film vorkommt. Prag ...
Hettinger: Prager Frühling.
Geschonneck: Also der Film beginnt am 7. Oktober, am Tag der Republik, aber im August war der Einmarsch der Armeen in die Tschechoslowakei und auch im Film wird das behandelt kurz nebenbei. Es gibt Flugblattaktionen am Boxhagener Platz, was tatsächlich stattgefunden hat. Und so ist dieser Film nicht nur ein, wie ich ihn nannte, ein Berliner Heimatfilm, denn auf die Frage hin, was ist es denn nun, ist es nun ein Drama, ist es nun eine Tragikomödie, ist es eine Komödie – in der DDR hätte man vielleicht noch gesagt, ein Gegenwartsfilm – ich habe gesagt, es ist ein Berliner Heimatfilm, was auch ausdrücken soll, dass eben Heimat auch über dem Gesellschaftssystem obsiegt, was auch sehr stark mit diesen sehr kräftigen, finde ich, Berliner Figuren zu tun hat.
Hettinger: Sie erzählen diesen Film "Boxhagener Platz" – jetzt betone ich es auch mal richtig – aus zwei Perspektiven – also die Oma Otti ist die eine und der Enkel Holger die andere. Was war die Idee hinter dieser geteilten Perspektive?
Geschonneck: Ja, es ist ja immer die Frage, wer ist denn nun die Hauptfigur. Natürlich der Junge, der sich erinnert. Es ist aus der Sicht des Autoren natürlich sein Alter Ego, aber es gibt eigentlich nicht die Hauptfigur, sondern es gibt, sagen wir mal, dieses Dreigestirn, also Oma Otti, den Enkel, der zu Hause eben Schwierigkeiten hat, weil der Haussegen permanent schief hängt. Seine Mutter, Meret Becker spielt dieses wunderbar, die Friseuse Renate, die also einen unbändigen Freiheitswillen hat, in den Westen will und nun auch noch verheiratet ist mit einem sehr beflissenen, hilflosen Abschnittsbevollmächtigten, Polizisten, den der Jürgen Vogel verkörpert.
Der Junge flieht, wie es so ist, wenn zu Hause Krach ist, zu seiner Großmutter und findet in der neuen Flamme, seiner Oma, eben in diesem Altspartakisten Karl einen neuen Freund, einen Ersatzvater, und das ist dieser alte Haudegen Michael Gwisdek. Und da ändern sich schon im Film ab und an die Perspektiven, die Sichtweisen, auch die Stimmungslage des Films am Anfang, ja auch, sagen wir mal mit dem uns Berlinern besonders eigenen Humor durchsetzt, ändert sich dann doch die Stimmung, weil das liegt natürlich an dieser Figur des Karl, des Altspartakisten, dessen Leben einen tragischen Verlauf nimmt und der dem Film auch eine durchaus bewusste Melancholie verleiht, da meiner Meinung nach auch diese Figur des Karl für den Fall der DDR steht. Und das machen diese Schauspieler, also Hermann Beyer, der den sechsten Mann spielt ...
Hettinger: … den letzten …
Geschonneck: , der Horst Krause, der das Opfer, den Fisch-Winkler, ein Altnazi, womit also auch Tabus gebrochen werden, dass in der DDR also auch Nazis lebten. Eigentlich hatten die ja in Westdeutschland ihre Heimat und nicht bei uns, dann gibt es die eben auch in der DDR. Wir haben ein sehr vielfältiges, reichhaltiges, sehr originelles, finde ich, Ensemble, und ich mag diese Figuren und diese Schauspieler, die wir da hatten.
Hettinger: Das spürt man so ein bisschen in der Regiehandschrift, weil es so sprühend verkörpert und so wunderbar facettenreich – Gwisdek, unfassbares Feuerwerk, was der da abbrennt, aber auch Jürgen Vogel als Polizist, ausgesprochen beeindruckend. Jetzt, wenn man das so ein bisschen auf die Herkunft zurückblendet, sind ja doch Ostschauspieler und Westschauspieler, spürt man 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch so etwas wie einen anderen, unterschiedlichen Stil?
Geschonneck: Ach, den Stil, glaube ich, gar nicht. Aber natürlich gibt es immer noch Ost und West klar in Erinnerung, jeder hat seine eigenen Erinnerungen, die habe ich auch, aber letztendlich vermengt sich das alles. Und bei der Arbeit merke ich persönlich das überhaupt nicht, bis auf die Tatsache, dass viele natürlich gerade bei so einem historischen Film – und das ist ja ein historischer Stoff – jeder aus seiner Zeit, die eben 40 Jahre zurückliegt, etwas berichtet, einbringt. Aber die Lust am Spiel, da sind sich, da sind das auch alles wirklich, Gott sei Dank, auch alte Hasen und großartige Handwerker, das darf man nicht vergessen, die ich da zusammenbekommen habe, die sich auch gegenseitig befruchten. Und natürlich muss man die auch zum großen Teil oft bremsen, dass die ...
Hettinger: Tatsächlich?
Geschonneck: Ja, es ist natürlich auch ein Film, der also auch eine Komödie sein soll, will, aber auch eine tragische Komponente hat. Da ist es auch manchmal gar nicht so einfach, die Komödianten auf eine Linie zu bringen.
Hettinger: Ich finde, der hat ein ganz schönes Parfüm, dieser Film, einen ganz wunderbaren Ton, dieses sehr Augenzwinkernde, Ironische, oft ins leicht Absurde Kippende, das wird ja auch bedient durch diese sehr komödiantische Herangehensweise Ihrer Schauspielstars. Ich habe mich gefragt, ob dieser absurde, schräge Blick auf diese Geschehnisse letztlich auch die Tragik jener Jahre – Sie haben es ja erwähnt, der Prager Frühling nippt ja da mit rein – ob er die Tragik dieser Jahre nicht auch noch größer macht.
Geschonneck: Na ja, ich sage, das ist auch während des Drehs auch entstanden. Wie gesagt, für mich war darum diese Figur des Karl, des alten Spartakuskämpfers, so wichtig für den Film, dass es eben nicht zu einem nur heiteren Erinnerungsstück [wird] oder zu einem Kiezfilm, sondern dass dieser Humor eben auch dieser Diktatur trotzt. Und das ist ja auch für Berlin gerade typisch gewesen, nicht nur in der DDR, sondern generell eigentlich, seitdem es also Berliner gibt, dieser berühmte Berliner Humor, der mit Überlebenskampf, Überlebenswillen, mit Lebensbejahung zu tun hat und jeglicher Diktatur, jeglicher Obrigkeit trotzt. Und dafür stehen eben auch diese Figuren. Und da sind wir gar nicht programmatisch rangegangen, das hat sich einfach im sehr vertrauensvollen Zusammenspiel zwischen Schauspielern und Regie hergestellt.
Matti Geschonneck: Na ja, in erster Linie ist das ja eine Romanverfilmung, eine Romanadaption und eine Erinnerung an eine Kindheit am Boxhagener Platz. Und dieser Roman von Torsten Schulz, als ich den gelesen hatte, hat er mir sofort gefallen, weil es gibt wenig Stoffe, wo es um Berlin geht, die in Berlin spielen zwar, aber wo das Thema Berlin so im Vordergrund ist. Und ich habe mich sofort in diese Figuren, in dieses Figurenensemble verliebt und hatte dann auch das Glück, das Angebot zu bekommen, diesen Film zu machen.
Hettinger: Hat dieser Stoff von Torsten Schulz auch bei Ihnen so das ein oder andere biografische Glöckchen zum Klingen gebracht? Sie sind ja groß geworden am Boxhagener Platz.
Geschonneck: Ja, ich bin, etwas früher habe ich da gelebt, Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre. Ich bin dort eingeschult worden, habe meine Kindheit in und um den Bahnhof Ostkreuz am Boxhagener Platz verlebt und kenne die Ecke eigentlich sehr gut aus meiner Kindheit. Aber Boxhagener Platz steht für Berlin, dieser Film ist auch eine Liebeserklärung an die Stadt Berlin. Es ist ein Liebesfilm, es ist eine tragikomische Erinnerung an das ja auch in Berlin ziemlich turbulente Jahr '68, was ja auch in dem Film vorkommt. Prag ...
Hettinger: Prager Frühling.
Geschonneck: Also der Film beginnt am 7. Oktober, am Tag der Republik, aber im August war der Einmarsch der Armeen in die Tschechoslowakei und auch im Film wird das behandelt kurz nebenbei. Es gibt Flugblattaktionen am Boxhagener Platz, was tatsächlich stattgefunden hat. Und so ist dieser Film nicht nur ein, wie ich ihn nannte, ein Berliner Heimatfilm, denn auf die Frage hin, was ist es denn nun, ist es nun ein Drama, ist es nun eine Tragikomödie, ist es eine Komödie – in der DDR hätte man vielleicht noch gesagt, ein Gegenwartsfilm – ich habe gesagt, es ist ein Berliner Heimatfilm, was auch ausdrücken soll, dass eben Heimat auch über dem Gesellschaftssystem obsiegt, was auch sehr stark mit diesen sehr kräftigen, finde ich, Berliner Figuren zu tun hat.
Hettinger: Sie erzählen diesen Film "Boxhagener Platz" – jetzt betone ich es auch mal richtig – aus zwei Perspektiven – also die Oma Otti ist die eine und der Enkel Holger die andere. Was war die Idee hinter dieser geteilten Perspektive?
Geschonneck: Ja, es ist ja immer die Frage, wer ist denn nun die Hauptfigur. Natürlich der Junge, der sich erinnert. Es ist aus der Sicht des Autoren natürlich sein Alter Ego, aber es gibt eigentlich nicht die Hauptfigur, sondern es gibt, sagen wir mal, dieses Dreigestirn, also Oma Otti, den Enkel, der zu Hause eben Schwierigkeiten hat, weil der Haussegen permanent schief hängt. Seine Mutter, Meret Becker spielt dieses wunderbar, die Friseuse Renate, die also einen unbändigen Freiheitswillen hat, in den Westen will und nun auch noch verheiratet ist mit einem sehr beflissenen, hilflosen Abschnittsbevollmächtigten, Polizisten, den der Jürgen Vogel verkörpert.
Der Junge flieht, wie es so ist, wenn zu Hause Krach ist, zu seiner Großmutter und findet in der neuen Flamme, seiner Oma, eben in diesem Altspartakisten Karl einen neuen Freund, einen Ersatzvater, und das ist dieser alte Haudegen Michael Gwisdek. Und da ändern sich schon im Film ab und an die Perspektiven, die Sichtweisen, auch die Stimmungslage des Films am Anfang, ja auch, sagen wir mal mit dem uns Berlinern besonders eigenen Humor durchsetzt, ändert sich dann doch die Stimmung, weil das liegt natürlich an dieser Figur des Karl, des Altspartakisten, dessen Leben einen tragischen Verlauf nimmt und der dem Film auch eine durchaus bewusste Melancholie verleiht, da meiner Meinung nach auch diese Figur des Karl für den Fall der DDR steht. Und das machen diese Schauspieler, also Hermann Beyer, der den sechsten Mann spielt ...
Hettinger: … den letzten …
Geschonneck: , der Horst Krause, der das Opfer, den Fisch-Winkler, ein Altnazi, womit also auch Tabus gebrochen werden, dass in der DDR also auch Nazis lebten. Eigentlich hatten die ja in Westdeutschland ihre Heimat und nicht bei uns, dann gibt es die eben auch in der DDR. Wir haben ein sehr vielfältiges, reichhaltiges, sehr originelles, finde ich, Ensemble, und ich mag diese Figuren und diese Schauspieler, die wir da hatten.
Hettinger: Das spürt man so ein bisschen in der Regiehandschrift, weil es so sprühend verkörpert und so wunderbar facettenreich – Gwisdek, unfassbares Feuerwerk, was der da abbrennt, aber auch Jürgen Vogel als Polizist, ausgesprochen beeindruckend. Jetzt, wenn man das so ein bisschen auf die Herkunft zurückblendet, sind ja doch Ostschauspieler und Westschauspieler, spürt man 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch so etwas wie einen anderen, unterschiedlichen Stil?
Geschonneck: Ach, den Stil, glaube ich, gar nicht. Aber natürlich gibt es immer noch Ost und West klar in Erinnerung, jeder hat seine eigenen Erinnerungen, die habe ich auch, aber letztendlich vermengt sich das alles. Und bei der Arbeit merke ich persönlich das überhaupt nicht, bis auf die Tatsache, dass viele natürlich gerade bei so einem historischen Film – und das ist ja ein historischer Stoff – jeder aus seiner Zeit, die eben 40 Jahre zurückliegt, etwas berichtet, einbringt. Aber die Lust am Spiel, da sind sich, da sind das auch alles wirklich, Gott sei Dank, auch alte Hasen und großartige Handwerker, das darf man nicht vergessen, die ich da zusammenbekommen habe, die sich auch gegenseitig befruchten. Und natürlich muss man die auch zum großen Teil oft bremsen, dass die ...
Hettinger: Tatsächlich?
Geschonneck: Ja, es ist natürlich auch ein Film, der also auch eine Komödie sein soll, will, aber auch eine tragische Komponente hat. Da ist es auch manchmal gar nicht so einfach, die Komödianten auf eine Linie zu bringen.
Hettinger: Ich finde, der hat ein ganz schönes Parfüm, dieser Film, einen ganz wunderbaren Ton, dieses sehr Augenzwinkernde, Ironische, oft ins leicht Absurde Kippende, das wird ja auch bedient durch diese sehr komödiantische Herangehensweise Ihrer Schauspielstars. Ich habe mich gefragt, ob dieser absurde, schräge Blick auf diese Geschehnisse letztlich auch die Tragik jener Jahre – Sie haben es ja erwähnt, der Prager Frühling nippt ja da mit rein – ob er die Tragik dieser Jahre nicht auch noch größer macht.
Geschonneck: Na ja, ich sage, das ist auch während des Drehs auch entstanden. Wie gesagt, für mich war darum diese Figur des Karl, des alten Spartakuskämpfers, so wichtig für den Film, dass es eben nicht zu einem nur heiteren Erinnerungsstück [wird] oder zu einem Kiezfilm, sondern dass dieser Humor eben auch dieser Diktatur trotzt. Und das ist ja auch für Berlin gerade typisch gewesen, nicht nur in der DDR, sondern generell eigentlich, seitdem es also Berliner gibt, dieser berühmte Berliner Humor, der mit Überlebenskampf, Überlebenswillen, mit Lebensbejahung zu tun hat und jeglicher Diktatur, jeglicher Obrigkeit trotzt. Und dafür stehen eben auch diese Figuren. Und da sind wir gar nicht programmatisch rangegangen, das hat sich einfach im sehr vertrauensvollen Zusammenspiel zwischen Schauspielern und Regie hergestellt.