Dieckmann: Bildungspolitischer Rückschritt in die 50er Jahre

Moderation: Birgit Kolkmann · 06.06.2006
Der Landesvorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, Jochen Dieckmann, hat die Novellierung des Schulgesetzes in NRW scharf kritisiert. Das geplante Gesetz sei ein "Rückschritt", sagte Dieckmann im Deutschlandradio Kultur. Die neuen Richtlinien seien keine Revolution, sondern gingen "zurück in die 50er Jahre", betonte er.
Birgit Kolkmann: Herr Dieckmann, was kommt da auf die Kinder zu aus Ihrer Sicht?

Jochen Dieckmann: Da kommt etwas zu, das verheißen wird als modernstes Schulgesetz weit und breit, das sich aber darstellt nicht als Revolution, sondern als Restauration. Das geht zurück in die 50er Jahre, da wird das Gymnasium abgekoppelt, die Schulbezirke aufgelöst, da wird das Thema Schulleitung verselbständigt in einer Form, die mehr als problematisch ist. Das ist ein Rückschritt.

Kolkmann: Sie sagen, die Schulleitung wird auch rückschrittlich reformiert, wenn man das überhaupt so sagen kann. Die Schulleiter sollen gewählt werden immer so auf vier, fünf Jahre. Ist das nicht eigentlich ein demokratisches Element?

Dieckmann: Das klingt sehr modern, ist aber überhaupt nicht demokratisch. Demokratisch ist es, wenn die nötige Legitimation zurückgeht auf einen parlamentarischen Entscheid. Hier wird die Wahl von der Schulkonferenz vorgesehen und damit fehlt es nach dem Urteil eines ersten verfassungsrichtlichen Gutachtens an dieser Legitimationskette. Das ist eine Situation, in der derjenige, diejenige die besten Chancen hat, der schulintern einen echten Wahlkampf geführt hat, und das ist nicht die Voraussetzung für eine gute Amtsführung als Schulleitung.

Kolkmann: Besonders umstritten ist ja die Entscheidung, dass die Eltern nicht mehr das alleinige Recht haben zu bestimmen, welche Schule ihr Kind nach der vierten Klasse besuchen wird. Die Lehrer haben ein entscheidendes Mitspracherecht. Die Eltern können nur noch ein bisschen nachbessern, aber die Schüler müssen dann einen dreitägigen Prognoseunterricht machen, und wenn sie den nicht bestehen, bestimmt dann eben der Lehrer. Ist das etwas Schlechtes aus Ihrer Sicht?

Dieckmann: Das ist ein Rückschritt - vor allem deshalb, weil mindestens 40 Prozent dieser Grundschulempfehlungen nicht zutreffend sind. Das ist heute, wenn man so sagen darf, Stand der Technik. Bei allen wissenschaftlichen Untersuchungen auch im Bauchgefühl der Lehrer und Lehrerinnen ist klar, dieses ist keine zuverlässige Grundlage. Das ist weder in der Lage, das Potential des Kindes zu erkennen, noch ein einigermaßen tragfähige Prognose zu formulieren für die Zukunftschancen des Kindes auf der weiterführenden Schule, und das, was man an Aufwand für Probeunterricht investiert, wäre besser investiert für die individuelle Förderung der Kinder vor der Grundschule.

Kolkmann: Das soll ja ohnehin gemacht werden auch mit dem neuen Schulgesetz, mindestens 1000 Lehrer sollen eingestellt werden. Reicht das aus?

Dieckmann: Das reicht nicht aus. Wir sind ja weit davon entfernt, dass die Unterrichtsgarantie, die der Ministerpräsident, als er noch Oppositionsführer war, uns verheißen hat, realisiert wird. Das ist im Moment ein zusätzliches Stellenpotential, was nur dadurch erforderlich ist, dass es mehr Kinder gibt auf den Schulen.

Kolkmann: Besonders umstritten - und wir hatten eben einen Bericht aus Köln-Kalk bei uns hier im Programm -, die Bezirksgrenzen für die Grundschulen sollen fallen, das heißt, die Eltern sind nicht mehr so ganz eng gebunden an die Schule in ihrer direkten Nähe. Das könnte zur Gettoisierung führen, und, angesichts des im Moment aktuellen Themas Integration und Migration, auch ein Rückschritt?

Dieckmann: Ja. Das wird dem sozial integrativen Auftrag, den Schule hat, überhaupt nicht gerecht. Es ist ja schon bezeichnend, dass noch im November 2001 die CDU gegen einen entsprechenden Antrag der FDP bei uns im Landtagsausschuss gestimmt hat. Da ist die CDU fest in der Hand der nordhrein-westfälischen FDP, die hier ein falsches Marktverständnis reinbringt. Es geht darum, dass wir, wie wir gerne bildlich sagen, kurze Beine, kurze Wege brauchen, vor allem aber - Sie haben es angesprochen - geht es hier um Integration. Ich bin gegen eine solche Grundschule à la carte, weil sie dazu führen wird, dass Kinder aus Migrantenfamilien in Schulen zusammenkommen, und diejenigen bildungsnahen Elternhäuser, die sich das leisten können, werden ihre Kinder in Schulen ihrer Wahl bringen. Das ist auch für Kommunen ein Desaster, weil ihnen die Grundlage für eine einigermaßen zuverlässige und aussagekräftige Schulentwicklungsplanung fehlt, und deshalb ist es kein Wunder, alle Welt ist dagegen, die Anhörungen, die dazu stattgefunden haben, waren ein Desaster für die Landesregierung, aber sie bleibt auf ihrem Weg.

Kolkmann: Die Landesregierung will auch deswegen auf ihrem Weg bleiben, weil sie eigentlich das Gute will, nämlich die verheerenden Ergebnisse der Pisastudie gerade für Nordhrein-Westfalen korrigieren. Auch die gymnasiale Oberstufe wird vollkommen reformiert, es wird demnächst dann keine Leistungskurse mehr geben. Das ist aber doch ein Versuch, nach vorne, und zwar positiv, zu kommen.

Dieckmann: Das ist richtig. Das muss uns alle auch der Maßstab sein, aber es ist falsch, an der Grundschule anzufangen. Wenn wir einigermaßen gut aussehen, dann gerade in der Grundschule, und deshalb ist das so verheerend, hier gerade unter den Anforderungen einer modernen Integrationspolitik auf Austeilung und nicht auf Integration zu setzen.

Kolkmann: Kann denn die Opposition, Sie und auch die Grünen, im nordrhein-westfälischen Landtag noch irgendetwas gegen dieses Gesetz tun?

Dieckmann: Also wir haben, denke ich, ziemlich alles getan. Ich sagte es schon, die Öffentlichkeit, die Lehrerverbände, gerade auch konservative Organisation sind einmütig dagegen. CDU-Kommunalpolitiker beteiligen sich an Resolutionen der kommunalen Vertretungskörperschaften. Es ist ziemlich alles getan. Ich habe trotzdem die Hoffnung nicht aufgegeben.

Kolkmann: Das war Jochen Dieckmann, der SPD-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch.