Die Zwillinge Yentl und Laurens

Eineiig, aber nicht mehr identisch

08:11 Minuten
Eine Kombination zweier Bilder der Laurens und Yentl zeigt Laurens und Yentl heute und früher.
Laurens und Yentl Zevenberg auf einem Foto aus der Reihe "Identically Different" von der Fotografin Judith Helmer und auf einem Privatfoto der beiden © links: Judith Helmer, rechts: Privatfoto
Yentl und Laurens Zevenbergen im Gespräch mit Mandy Schielke · 16.01.2021
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Yentl und Laura sind eineiige Zwillinge. Aber sie sind sich nie richtig ähnlich: Laura mag Jungssachen und hat mit zwölf eine feste Freundin. Als Teenager entscheidet sie, Laurens zu werden. Was bedeutet das für die Geschwisterbeziehung?
Yentl und Laura Zevenbergen wachsen als eineiige Zwillinge in den Niederlanden auf. Sie sind sich genetisch so ähnlich wie es zwei Menschen nur sein können. Sie entstammen derselben Eizelle, teilten sich im Mutterleib eine Plazenta und wuchsen in derselben Fruchtblase auf. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich, teilen sich ein lila gestrichenes Zimmer und bekommen zum Geburtstag die gleichen Geschenke.
Aber Laura fühlt sich als Kind oft nicht richtig wahrgenommen. Sie will keine Kleider anziehen und wünscht sich weder Puppen noch Nagellack, sie mag lieber Jungssachen und ärgert sich, dass das keiner versteht. Später, als Teenager, entscheidet sich Laura Laurens zu werden. Sie unterzieht sich einer Hormontherapie und mehreren Operationen.
Was hat diese Entscheidung mit den Zwillingen, ihrem Verhältnis zueinander und sich selbst gemacht?

Sehr mädchenhaft, sehr jungenhaft

Mandy Schielke: Die Gesellschaft erwartet ja oft, dass eineiige Zwillinge sich nicht nur verdammt ähnlich sehen, sondern auch in ihrer Art sehr ähnlich sind und eng miteinander verbunden sind – wie war das bei Euch als ihr aufgewachsen seid?
Laurens: Als kleine Kinder waren wir uns nicht besonders nah, wir waren sehr unterschiedlich, ich mochte nie die Geburtstagsgeschenke, die wir bekamen, Yentl schon. Ich hatte einfach eine ganz andere Persönlichkeit als sie. Yentl war immer sehr mädchenhaft, ich sehr jungenhaft. Das passte einfach nicht zusammen, wir haben oft gestritten, mit der Zeit wurde es besser, aber es brauchte eine Weile.
Schielke: Wie viel Raum war da für eine eigene Identität neben der Zwillingsidentität?
Yentl: Nicht besonders viel, würde ich sagen, als wir aufwuchsen, haben uns die Leute immer als die Zwillinge angesehen. Obwohl wir zwei unterschiedliche Personen sind, erwarteten sie, dass wir gleich sind.

Ärger unter den Geschwistern

Schielke: Habt ihr darüber gesprochen, dass Du, Laurens, damals noch als Laura, Dich nicht wohl in Deiner Haut gefühlt hast? War das ein Thema zwischen Euch?
Laurens: Nicht wirklich, wir haben einfach beide versucht herauszufinden, wer wir sind und nicht, warum wir als Geschwister nicht miteinander zurechtkamen. Das hatte sicherlich auch damit zu tun, dass ich transgender bin.

Yentl: Rückblickend haben wir festgestellt, dass das ein großer Teil des Problems war. Aber das größte Problem war, dass die Leute nicht verstanden haben, dass wir unterschiedlich sind. Das hat uns geärgert und wir haben uns auch übereinander geärgert, weil ich nicht verstanden habe, warum Laurens sauer wurde über Dinge, die mir gefielen und andersherum.
Schielke: Laurens, als Du Dich als Teenager für eine Geschlechtsumwandlung entschieden hast, wie sehr hast Du Deine Schwester da involviert?
Laurens: Das ist irgendwie eine lustige Geschichte. Ich habe ihr nie wirklich gesagt, was vor sich ging, und dass ich versuchte herauszufinden, wer ich bin. Mein Spitzname war immer geschlechtsneutral gewesen – Lau. Und irgendwann nannten meine Freunde mich Laurens. Das war auch erst mal nur ein Spitzname. Und das bekam Yentl dann mit.

"Ich dachte immer Lau ist Lau"

Schielke: Yentl, wie war Deine Reaktion?
Yentl: Ich dachte immer Lau ist Lau und macht einfach Dinge, die er mag. Es fing damit an, dass er seine Haare abschnitt, dann schnitt er sie noch kürzer, dann fing er an Jungsklamotten anzuziehen und dann hat er seine Brust mit einer Bandage abgebunden, das passierte alles Schritt für Schritt. Und ich dachte einfach, er macht, was ihm gefällt.
Als er sich plötzlich meinen Freunden als Laurens vorstellte, verstand ich, was da wirklich vor sich geht. Ich hatte den Namen nie zuvor gehört und schaute ihn so nach dem Motto an - 'Du machst Witze! Du bist jetzt also Laurens? Ok'.
Schielke: Hattest Du das Gefühl, dass Laurens sich von Dir distanziert hat?
Yentl: Ich glaube, damals hat Laurens erst mal herausfinden müssen, was ihm gefällt, was seine Präferenzen sind. Er hat seine eigene Identität finden müssen – unabhängig von mir. Wir waren damals nicht so eng und distanzierten uns eher voneinander. Wie gesagt, wir sind uns ja als Kinder schon nicht besonders nah gewesen, erst als wir beide mehr wir selbst geworden sind, näherten wir uns einander an.

Medizinische Behandlung mit 17 Jahren

Schielke: Laurens, Du hast dann Testosteron genommen, Deine Stimme wurde immer tiefer, Dein Körperbau immer maskuliner... Das war sicherlich für Euch beide eine große Veränderung. Würdest Du sagen, dass das auch eine Loslösung, ein abgrenzen von Yentl war?
Laurens: Das war keine Absicht, es ist einfach passiert. Als ich mit 17 mit der medizinischen Behandlung begonnen habe, wohnten wir beide an unterschiedlichen Orten und wir hatten jeder unser eigenes Leben und unsere eigenen Freunde. Ich habe damals versucht herauszufinden, was ich mag und womit ich zurechtkomme. Die Veränderungen durch das Testosteron taten mir gut. Ich wurde ich selbst.

Yentl: Es war ein Jahr, in dem wir uns beide auf uns konzentriert haben und nicht viel miteinander sprachen. Nicht, weil wir sauer aufeinander waren, wir machten beide unser Ding. Nach dem Jahr haben wir uns einander angenähert und sprachen darüber, wie unser Leben jetzt aussieht. Laurens hat sich ja als Mensch nicht verändert, er ist immer noch die selbe Person wie die, mit der ich aufgewachsen bin. Ich musste ihn also nicht neu kennenlernen. Nur ihn Laurens zu nennen, war gewöhnungsbedürftig. Ich habe ihn immer automatisch Lau genannt.

Abstand gesucht

Schielke: Yentl, wie war diese Veränderung für Dich? Du mochtest ja Dein bisheriges Leben und Deine Identität als eineiiger Zwilling, plötzlich war alles anders.

Yentl: Auch ich habe mich ja nicht immer wohl gefühlt, weil Laurens vieles, was mir gefiel, nicht mochte. Mich machten Blumen, Glitzer, Kleider und die Farbe Rosa einfach glücklich. Immer wenn ich etwas mochte, war da Laurens, den die gleichen Sachen wütend machten. Das dämpfte auch meine Freude. Als wir dann getrennte Wege gingen, gab es mehr Raum für die Dinge, die mir gefielen.
Schielke: Ihr habt damals erstmal eine ganze Zeit lang Abstand zu dem jeweils anderen gesucht, wie ist Euer Verhältnis heute?
Yentl: Unser Verhältnis ist toll! Es war nie besser.

Laurens: Ja, ich stimme voll und ganz zu. Wir begannen uns öfter zu sehen, als die Fotografin Judith Helmer ein Projekt mit uns plante. Sie wollte unsere Verbindung als Zwillinge dokumentieren. Wir mussten uns damals also treffen – und irgendwann sahen wir uns sogar fast jedes Wochenende. Da sind wir uns sehr nah gekommen.
Judith fragte uns, wer wir sind und was wir fühlen. Und wir merkten, dass wir nicht wirklich miteinander über diesen ganzen Prozess gesprochen hatten. Wir lernten also mehr übereinander, in dem wir anderen von unserer Geschichte erzählten. Das war also eher durch Zufall, aber es ist passiert.
Yentl und Laurens leben heute wieder in einer Stadt und sehen sich auch heute noch sehr ähnlich, wie sehr, das zeigen auch die Fotos der niederländischen Fotografin Judith Helmer.
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