Die Zukunft liegt jenseits der Grenzen

Von Stefan Keim |
"Wer im Off-Theater professionell arbeiten will, muss sich international vernetzen." Also sprach Tom Stromberg, Theaterproduzent und Leiter des Festivals "Impulse", des Bestentreffens der deutschsprachigen freien Bühnen. Hintergrund: Die Fördermittel werden immer knapper, reichen oft nur noch für eine Produktion pro Spielzeit. In der Zwischenzeit überleben viele – auch viele gute – Schauspieler durch Jobs in Call-Centern.
Doch nicht alle Off-Theater finden diese Perspektive erbaulich. Je wortzentrierter sie arbeiten, umso mehr haben sie Probleme beim Übergang in einen anderen Sprachkreis. Die literarischen freien Bühnen – wie zum Beispiel das prinz regent theater in Bochum oder das Wolfgang-Borchert-Theater in Münster – geraten aus dem Fokus. Die Tanztheater haben es am leichtesten und kooperieren längst über die Grenzen hinweg. Auch bei den Kindertheatern gibt es überraschend häufig eine Zusammenarbeit. Viele ästhetische Anstöße kamen in den letzten Jahren aus den Niederlanden und Frankreich, zum Beispiel der – in Deutschland – neueste Trend, schon für Kinder ab zwei Jahren Theateraufführungen anzubieten. Und in Bedburg/Hau entwickelt seit vielen Jahren ein holländisch-deutsches Duo eine ganz eigene Form eines ruhigen, poetischen Kindertheaters. "Mini-Art" nennen sich die beiden und treten ganz selbstverständlich auf beiden Seiten der Grenze auf.

Festivals sind die Foren, die solche Vernetzungen ermöglichen. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Die Ruhrtriennale lädt seit ihrer Gründung Ensembles aus den Niederlanden ein, in den Industriedenkmalen der Region ihre Projekte zu erarbeiten. Johan Simons und das NT Gent sind schon Routiniers darin, Inszenierungen in der Fremdsprache Deutsch zu spielen. Auch sein Kollege Ivo van Hove und die Toneelgroep Amsterdam haben im vergangenen Sommer erstmals ein Stück auf Deutsch zur Premiere gebracht, die Filmadaption "Rocco und seine Brüder". Es geht aber auch etwas verloren. So bewundernswert die holländischen Schauspieler die Fremdsprache gebimst haben, sie verfallen doch oft in eine gewisse Künstlichkeit, die psychologische Tiefe erschwert oder zumindest zeitweise vom intensiven, körperlichen Spiel ablenkt.

Englisch ist an den deutschen Off-Bühnen auf dem Vormarsch. Ivana Müllers Performance "While we were holding it together" – Sieger der letzten "Impulse" und viel beachtet als Gastspiel beim Theatertreffen 08 – ist ein Beispiel, eine Gratwanderung zwischen bildender Kunst und Sprechperformance. Am Forum Freies Theater in Düsseldorf hatte gerade das irische Pan Pan Theatre aus Dublin Premiere mit seinem neuen Stück "The Crumb Trail", ein Zappen durch die Fantasien menschlicher Hirne und das Internet, immerhin mit deutschen Untertiteln.

Auch die städtischen Theater suchen vermehrt die Zusammenarbeit mit ausländischen Ensembles. Dass Roberto Ciulli mit seinem Theater an der Ruhr auf Internationalität angelegt ist, war bei ihm schon immer Programm. Doch nun hat auch das Theater Essen eine mehrjährige Kooperation mit der Toneelgroep Amsterdam begonnen. Hintergrund sind hier auch die Finanzen, denn holländische Gruppen bringen Geld mit. Für Kooperationen mit dem Ausland erhalten sie Unterstützung vom Staat, weil sie sich so neue Märkte erschließen.

Auch die Bundeskunststiftung hat einen Fond geschaffen, der solche Koproduktionen unterstützt. Er trägt den schönen Namen "Wanderlust" und hat in der freien Szene heftige Kritik ausgelöst, weil die Off-Theater keine Zuwendungen beantragen dürfen. Sie können nur Mittel bekommen, wenn sie wiederum mit dem städtischen Bühnen kooperieren. Da die Freien Vorreiter sind und waren, was die Internationalität angeht, fühlen sie sich in einem ureigenen Betätigungsfeld an die Seite gedrängt.

Johan Simons übernimmt im nächsten Sommer die Münchner Kammerspiele und wird bestimmt einige seiner langjährigen Gefährten mitbringen, Luk Perceval – bald Oberspielleiter des Hamburger Thalia-Theaters - und viele andere Regisseure haben längst mehr in Deutschland zu tun als in ihren Heimatländern. Für die Oper ist es übrigens längst Routine, nicht nur mit internationalen Ensembles zu arbeiten, sondern viele Aufführungen über die Grenzen hinweg zu schicken. Eine Inszenierung von Christof Loy, dem "Regisseur des Jahres" laut Fachzeitschrift Opernwelt, ist meistens an mindestens vier verschiedenen Häusern zu sehen.

Manchmal gelingt es dem Theater, neue Formen zu schaffen, die aus den besonderen Anforderungen der Internationalität erwachsen. "Othello c’est qui" von Monika Gintersdorfer und Knut Klassen zeigt, wie sich eine deutsche Schauspielerin und ein afrikanischer Tänzer dem großen Shakespeare-Stoff nähern. Erst über Geplauder und Parodien von Neumeiers Ballett und Puchers Hamburger Inszenierung, dann immer intensiver in einem Dialog über Eifersucht und moralische Werte. Dabei läuft der Abend konsequent zweisprachig, was nicht nur ein Kompromiss ist, sondern eigenen Wert bekommt. Wenn sie die Rolle der Desdemona übernimmt und immer noch seine Worte übersetzt, während er sie gerade erwürgt, ist das einfach grandios.

Andererseits liegt in der Internationalisierung eine Gefahr, die der Globalisierung. Denn der Reiz vieler Theateraufführungen liegt darin, dass sie lokal entstehen, konkret eine Region und die Menschen darin meinen. Diese immer bedeutendere Form ist in internationalen Koproduktionen kaum zu realisieren. Insofern ist die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg ein interessanter Trend, der viele Möglichkeiten bietet. Aber sie darf nicht zum Dogma werden, sonst würde sie für das Theater am Ende keine Erweiterung, sondern eine Beschränkung sein.