Die Zukunft der SPD

Keine Männerzirkel und Machtspielchen mehr!

04:15 Minuten
21.08.2019, Berlin: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister, und Klara Geywitz, Brandenburger Landtagsabgeordnete, sitzen in der Bundespressekonferenz, um anschließend ihre Kandidatur für den Vorsitz der SPD anzukündigen. Foto: Kay Nietfeld/dpa | Verwendung weltweit
Mann mit Erfahrung sucht... Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat nun eine Kandidatin gefunden, mit der er sich um den SPD-Vorsitz bewirbt. © dpa
Ein Kommentar von Nicol Ljubic · 23.08.2019
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Vor 16 Jahren trat der Journalist und Autor Nicol Ljubic in die SPD ein. Seitdem hat er acht Parteivorsitzende und dutzendweise Wahlniederlagen erlebt. Die SPD muss sich endlich an junge Wähler richten und radikale Entscheidungen treffen, fordert er.
Die SPD steht vor einem Neuanfang – mal wieder. Dieses Mal geht es um einen, im besten Fall zwei, neue Parteivorsitzende. Vor allem aber geht es darum, wie ernst es der SPD mit dem Neuanfang ist. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit und die Frage, ob die SPD die Zeichen der Zeit erkannt hat.
Die Partei braucht ein neues Selbstverständnis. Sie muss wegkommen von der Idee, dass es eines politischen Schwergewichts bedarf, eines Alphatiers, eines Schmidts, Lafontaines oder Schröders, um die Partei wiederzubeleben. Es ist nicht mehr die Zeit der 60-jährigen Männer mit großem Ego und klaren Ansagen. Wenn die SPD eine Zukunft haben will, dann braucht sie endlich den Mut für große Ideen, sie muss weg vom Spiegelstrich-Denken, und sie braucht neue Gesichter an der Spitze.

Männerzirkel und verschlossene Türen

Dann können die Hoffnungsträger nicht Stephan Weil oder Olaf Scholz heißen – nur weil sie Erfahrung mit dem Regieren haben und bekannt sind. Bekanntheit ist in Zeiten des Internets keine Voraussetzung, Kevin Kühnert kannte auch niemand, bevor er als Gro-Ko-Gegner von sich reden machte. Und Regierungserfahrung hatten sie alle – die 60-jährigen Männer an der Spitze der SPD, von Schröder, über Müntefering bis hin zu Scholz.
Trotzdem haben sie ihren Teil dazu beigetragen, dass die SPD in Umfragen derzeit bei 13 Prozent steht. Es ist gut, dass Olaf Scholz bei der Wahl zum Parteivorsitz antritt, um das programmatische Spektrum innerhalb der SPD abzubilden, aber ein Parteivorsitzender Scholz wäre kein Mann, mit dem die SPD in eine blühende Zukunft schreiten könnte.
Allein die Art und Weise, wie er und die Männer aus der sogenannten ersten Reihe über ihre Kandidatur entschieden, steht für eine politische Kultur, die all das verkörpert, was Parteien vor allem für junge Menschen so unattraktiv macht: Männer, die taktieren, ihre persönlichen Erfolgsaussichten abwägen und sich erst trauen, wenn die internen Machtspielchen entschieden sind und sich dann erst nach einer geeigneten Frau umsehen.
Andrea Nahles, die einzige weibliche Vorsitzende in der Geschichte der SPD, hat vor zwei Monaten das Handtuch geworfen, auch, wie sie kürzlich erklärte, wegen der Männerzirkel, die sich hinter verschlossenen Türen träfen und sie als Frau außen vor ließen. In der Politik habe sie es zu keinem Zeitpunkt erlebt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien.

Junge Menschen mutiger ansprechen

Es ist vielleicht keine repräsentative Aussage, aber ich kenne keine einzige jüngere Frau, die Olaf Scholz wählen würde. Was soll es, könnte man sagen, mit denen gewinnt man eh keine Wahl, weil sie rein demografisch eine Minderheit sind. Es gibt schließlich mehr Wähler über 60 als Wähler unter 45.
Auch der Altersdurchschnitt der SPD-Mitglieder liegt bei 60 Jahren. Und das ist das eigentliche Problem der SPD. Eine Politik zu machen, die junge Menschen anspricht, erfordert Mut, weil sie gerade in Bezug auf Klima- und Umweltschutz auch radikale Entscheidungen erfordert. Entscheidungen, die die SPD bislang vermieden hat – auch ihrer älteren Wähler wegen. Es geht aber nicht beides: bewahren und verändern. Die Partei muss sich entscheiden.
So banal es klingt: Will die SPD eine Zukunft haben, muss sie sich den jungen Menschen und ihrer Lebenswelt zuwenden. Muss sie verstehen, ernst nehmen und auch konsequent auf sie setzen. Warum nicht auch über eine Quote für sämtliche Führungspositionen nachdenken? Nicht nur für Frauen, sondern auch für Junge? Der Mut, auf die Jungen zu setzen, wird sich vielleicht nicht bei den nächsten Wahlen auszahlen, aber langfristig mit Sicherheit.
Dafür braucht es aber Vorsitzende, die Hoffnung wecken, eben weil sie bislang in der zweiten Reihe standen und hoffentlich einen neuen Blick auf Partei und Politik haben. Sie zu wählen, wäre der erste mutige Schritt in die Zukunft.

Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren, ist Journalist und Schriftsteller. Für seine journalistische Arbeit wurde er unter anderem mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Über seine Erfahrungen nach dem Eintritt in die SPD schrieb er das Buch "Genosse Nachwuchs. Wie ich die Welt verändern wollte".


Der Journalist und Schriftsteller Nicol Ljubic.
© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
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