Die Zügel in der Hand

Sie war Lektorin, Verlegerin, Autorin, verwaltete ein Landgut, engagierte sich sozial und kümmerte sich nebenbei noch um 13 Kinder: Sofja Andrejewna Tolstaja, die Ehefrau von Lew Tolstoj. Trotz dieser Mammutaufgaben galt sie vielen als hysterische Frau, die ihren Mann zugrunde richtete. Ursula Keller und Sofja Natalja haben eine Biografie über sie geschrieben.
Sofja Andrejewna Tolstaja gilt bis heute als Inbegriff der schlechten Schriftstellergattin; als hysterische Frau, die ihren greisen Ehemann Lew Tolstoj durch ihre Halsstarrigkeit und Ablehnung seiner ethischen und moralischen Werte zugrunde gerichtet hat. Tolstaja hatte den 82-jährigen Mann aus dem Haus getrieben, und sich damit für viele schuldig gemacht an seinem Tod in einem kleinen Bahnwärterhäuschen in der russischen Provinz.

Das berühmt gewordene Ende dieser Ehe drängt viele andere Geschichten in den Hintergrund. Diese Biografie erzählt sie nun in aller Ausführlichkeit. Sofja Tolstaja hat - vornehmlich auf Wunsch ihres Mannes - 13 Kinder geboren, sie war sechzehn Mal schwanger. Sie hat diese Kinder selbst gestillt, erzogen, zum Großteil selbst unterrichtet und sie hat daneben noch die Kraft gefunden, ihr Leben fast völlig in den Dienst am Werk ihres Mannes zu stellen.

Den Roman "Krieg und Frieden", rund 1700 Seiten stark, soll sie - vor allem des Nachts - sieben Mal für ihn abgeschrieben und korrigiert haben. Eben solches gilt für "Anna Karenina" und spätere Werke ihres Mannes. Als die Kinder größer waren, machte sie sich einen Namen als seine Verlegerin, erstellte umfassende Werkausgaben, schrieb selbst an Erinnerungen, an eigenen literarischen Werken und betreute daneben Biografien internationaler Autoren über ihren Mann.

Sofja Tolstaja verwaltete das Landgut Jasnaja Poljana und kümmerte sich um das Domizil in Moskau. Zudem unterstützte sie das soziale Engagement ihres Mannes. Sie schrieb und zeichnete Schulbücher für die Dorfbevölkerung und sammelte durch Aufsehen erregende Spendenaufrufe große Summen gegen die Hungersnot Anfang der 1890er-Jahre.

Und doch zermürben spätestens in dieser Zeit Spannungen immer mehr das Leben der beiden Eheleute - im Buch wird dies zum zentralen und wiederkehrenden Themenkomplex: der Streit um die richtige Lebensweise, aber auch um gegenseitige Anerkennung. Lew Tolstoj gilt nicht nur als weltberühmter Schriftsteller. Er ist auch das moralische Gewissen Russlands, das Besitzlosigkeit und soziale Gerechtigkeit predigt und zum Beispiel deshalb auf seine Autorenrechte verzichtet.

Zu Hause fordert er das einfache, bäuerliche Leben von seiner Frau - ist mit seinem eigenen Verhalten aber längst nicht so prinzipienfest, wenn er zum Beispiel doch weiter gern Spargel isst und auf seinen Pferden ausreitet. Sofja Tolstaja verurteilt diese Doppelmoral und hat sich zudem längst aus seinem Schatten emanzipiert. Als selbstbewusste Mutter seiner Kinderschar, als erfolgreiche "Managerin" und nicht zuletzt als langjährige Hüterin seines Werks besteht sie darauf, den Besitzstand zugunsten der Kinder zu vermehren und die Zügel in der Hand zu behalten, statt sie anderen zu überlassen, die nur darauf warten.

Die beiden Autorinnen sind in ihrer Darstellung dieses Konflikts zurückhaltend mit Wertungen oder gar Verurteilungen. Stattdessen lassen sie die Fakten und die Quellen sprechen - und kaum eine Ehe ist so gut dokumentiert wie die der Tolstojs. Tagebücher, Notizen, Briefe und Erinnerungen beider Ehepartner füllen Bände.

Und daraus schöpfen die beiden Autorinnen mit viel Fleiß und größter Genauigkeit. In sieben großen Kapiteln zeichnen die beiden Autorinnen einfühlsam und anekdotenreich ein Bild von Sofja Tolstaja, das so lebendig und plastisch erzählt wird, als hätte man sie persönlich kennengelernt.

Rezensiert von Olga Hochweis

Keller, Ursula/Sharandak, Natalja: Sofja Andrejewna Tolstaja: Ein Leben an der Seite Tolstojs
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009
382 Seiten, 24,80 Euro