Die zerwaltete Republik
Speck hat es angesetzt, das einstmals, vor vielen Jahrzehnten, hochgerühmte Modell Deutschland. Fett geworden und behäbig spreizen sich Behörden, Verwaltungen, Ämter jeglicher Art. Bräsig pochen Staatsdiener, die eher Selbstbediener sind, auf Vorschriften, die es ihnen leider unmöglich machen, ihren Verstand zu benutzen.
Das alles wissen wir längst. An jedem Stammtisch, in jeder Gesprächsrunde bei gepflegten Abendessen, auf jeder Party mit oder ohne Musik, bei Familienfesten und bei Jubiläen - überall, täglich, stündlich, minütlich stehen sie zusammen, die Jammerer, die Pessimisten, die Unkenrufer. Fast immer sind es solche, denen es schwer fällt, zuzugeben, dass es ihnen persönlich sehr gut geht, dass die Geschäften sehr gut laufen, dass sie gut im Geschäft sind: sie meckern und mäkeln an der Gesamtlage wie nie zuvor. Niedergang allenthalben, nur der Sekt ist glücklicherweise gut gekühlt und die Lachshäppchen frisch - wenigstens das. Alles andere könne man vergessen, meint man, in Deutschland sowieso.
Das alles muss doch einen Grund haben, sollte man meinen.
Hat es auch.
Speck hat die Republik angesetzt, allenthalben, in allen Strukturen, in den letzten 50 Jahren.
Wer heute eine neue Halle für die Herstellung von Kunststoffprofilen bauen will, sieht sich einer schier unendlich langen Latte von Genehmigungsverpflichtungen gegenüber. Sie gipfeln schließlich in der Vorschrift, dass zum Zwecke bei Bekämpfung eines möglichen Brandes ein Löschteich anzulegen ist, der aber abgedeckt sein muss, weil eine Autostrasse nahe vorbeiführt, und es könnte ja sein, dass ein Unfall…und dann fällt das Auto…und der Fahrer könnte ja dann ertrinken.
Solche Geschichten machen die Runde, sehr schnell. Jeder hat noch eine.
Da will eine Schulklasse im nahen Wald gemeinsam einen alten Baum betrachten - fünf Ämter sind genehmigungstechnisch zu beteiligen. Wer ein Haus bauen will, lernt erst dann, wie kompliziert das Hochziehen einer Zusatzmauer juristisch und verwaltungstechnisch sein kann. Wenn städtische Grünämter einen Garten anlegen, kostet er mindestens das Doppelte von dem, was ein Privatunternehmer nehmen würde. Schulen ersticken in Vorschriften, die Stromabrechnung versteht kaum ein Mensch, von der Steuererklärung ganz zu schweigen - trotz viel versprechender Ansätze in Nordrhein-Westfalen.
Jeder weiß das und jeder entschuldigt eigenes Nichtstun und lautes Jammern mit so genannten objektiven Tatbeständen.
Wie wäre es, wenn man sich einfach über deratige Beschwernisse hinwegsetzte, wie es beispielsweise der Landrat des Main Kinzig - Kreises getan hat. Er hat - noch als Dezernent - eine Methode ersonnen, die überbordende Sozialhilfe durch pfiffige Anreize so zu verringern, dass sein Kreis heute schwarze Zahlen schreibt. Lange vor Hartz IV. Oder wie jene jungen Leute in Berlin, die als Arbeitslose eine neue Methode der Senfherstellung und des erfolgreichen Vertriebs desselben ersonnen haben und Geschäfte machen. Oder wie jener Schulleiter, der sich einen Dreck um Vorschriften kümmert und seine Schüler zu Höchstleistungen führt oder wie jene Unternehmergruppe, die aus einer stillgelegten Flugzeughalle ein Erlebnisbad zauberte. Es gibt sie zu hunderten und zu tausenden, solche Bespiele. Es gibt auch Zeitungen, die über derartige Initiativen berichten und sich nicht in der Aufzählung von Jammerschlagzeilen gefallen.
Wenn die Verkrustungen der Republik stören, dann muss man sie aufbrechen. Durch Jammern allein geschieht jedenfalls gar nichts. Und wer die Fülle der Vorschriften beklagt, ist zu einfallslos, sie zu umgehen. Das nennt man übrigens Eigeninitiative oder mit einem Fremdwort: Zivilcourage. Sie ist angezeigt.
Geert Müller-Gerbes stammt aus Jena in Thüringen (18.9.1937 geboren) und hat Geschichte, Soziologie und Jura an der Freien Universität Berlin studiert. Seit 1958 ist er journalistisch tätig u.a. für den Berliner "Tagesspiegel", RIAS Berlin und den Sender Freies Berlin. Von 1969 bis 1974 war Müller-Gerbes Pressereferent von Bundespräsident Gustav Heinemann und anschließend Sprecher des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit. Müller-Gerbes moderierte u.a. bei RTL die erfolgreiche satirische TV-Verbrauchersendung "Wie Bitte?" und die "WDR-Talkshow". Er wurde mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem Verdienstorden des Großherzogtums Luxemburg und der Goldenen Kamera ausgezeichnet.
Das alles muss doch einen Grund haben, sollte man meinen.
Hat es auch.
Speck hat die Republik angesetzt, allenthalben, in allen Strukturen, in den letzten 50 Jahren.
Wer heute eine neue Halle für die Herstellung von Kunststoffprofilen bauen will, sieht sich einer schier unendlich langen Latte von Genehmigungsverpflichtungen gegenüber. Sie gipfeln schließlich in der Vorschrift, dass zum Zwecke bei Bekämpfung eines möglichen Brandes ein Löschteich anzulegen ist, der aber abgedeckt sein muss, weil eine Autostrasse nahe vorbeiführt, und es könnte ja sein, dass ein Unfall…und dann fällt das Auto…und der Fahrer könnte ja dann ertrinken.
Solche Geschichten machen die Runde, sehr schnell. Jeder hat noch eine.
Da will eine Schulklasse im nahen Wald gemeinsam einen alten Baum betrachten - fünf Ämter sind genehmigungstechnisch zu beteiligen. Wer ein Haus bauen will, lernt erst dann, wie kompliziert das Hochziehen einer Zusatzmauer juristisch und verwaltungstechnisch sein kann. Wenn städtische Grünämter einen Garten anlegen, kostet er mindestens das Doppelte von dem, was ein Privatunternehmer nehmen würde. Schulen ersticken in Vorschriften, die Stromabrechnung versteht kaum ein Mensch, von der Steuererklärung ganz zu schweigen - trotz viel versprechender Ansätze in Nordrhein-Westfalen.
Jeder weiß das und jeder entschuldigt eigenes Nichtstun und lautes Jammern mit so genannten objektiven Tatbeständen.
Wie wäre es, wenn man sich einfach über deratige Beschwernisse hinwegsetzte, wie es beispielsweise der Landrat des Main Kinzig - Kreises getan hat. Er hat - noch als Dezernent - eine Methode ersonnen, die überbordende Sozialhilfe durch pfiffige Anreize so zu verringern, dass sein Kreis heute schwarze Zahlen schreibt. Lange vor Hartz IV. Oder wie jene jungen Leute in Berlin, die als Arbeitslose eine neue Methode der Senfherstellung und des erfolgreichen Vertriebs desselben ersonnen haben und Geschäfte machen. Oder wie jener Schulleiter, der sich einen Dreck um Vorschriften kümmert und seine Schüler zu Höchstleistungen führt oder wie jene Unternehmergruppe, die aus einer stillgelegten Flugzeughalle ein Erlebnisbad zauberte. Es gibt sie zu hunderten und zu tausenden, solche Bespiele. Es gibt auch Zeitungen, die über derartige Initiativen berichten und sich nicht in der Aufzählung von Jammerschlagzeilen gefallen.
Wenn die Verkrustungen der Republik stören, dann muss man sie aufbrechen. Durch Jammern allein geschieht jedenfalls gar nichts. Und wer die Fülle der Vorschriften beklagt, ist zu einfallslos, sie zu umgehen. Das nennt man übrigens Eigeninitiative oder mit einem Fremdwort: Zivilcourage. Sie ist angezeigt.
Geert Müller-Gerbes stammt aus Jena in Thüringen (18.9.1937 geboren) und hat Geschichte, Soziologie und Jura an der Freien Universität Berlin studiert. Seit 1958 ist er journalistisch tätig u.a. für den Berliner "Tagesspiegel", RIAS Berlin und den Sender Freies Berlin. Von 1969 bis 1974 war Müller-Gerbes Pressereferent von Bundespräsident Gustav Heinemann und anschließend Sprecher des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit. Müller-Gerbes moderierte u.a. bei RTL die erfolgreiche satirische TV-Verbrauchersendung "Wie Bitte?" und die "WDR-Talkshow". Er wurde mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, dem Verdienstorden des Großherzogtums Luxemburg und der Goldenen Kamera ausgezeichnet.