„Die Zeit der großen Euphorie ist vorbei“

Christopher Pleister im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Nach Einschätzung des IKB-Aufsichtsrats Christopher Pleister muss sich die deutsche Wirtschaft infolge der internationalen Finanzkrise auf härtere Zeiten einstellen. Auch die Staatseinnahmen würden zurückgehen, sagte Pleister. Allerdings gebe es keinen Grund, ein „total düsteres Zukunftsszenario“ zu malen. Das deutsche Bankensystem sei sehr stabil und werde die Finanzkrise gut überstehen, meint Pleister.
Birgit Kolkmann: „Casino Wall Street“. Ist die New Yorker Finanzwelt in Teilen eine Spielbank, in der fieberhaft versucht wird, Geld, viel Geld zu machen, schlimmer noch als am Roulette-Tisch? Die Sucht nach Gewinn hat die internationale Finanzkrise nach Meinung vieler Insider des Spekulationsgeschäfts mit verursacht und die Frage ist nun, wie das durch mehr Regeln, mehr Kontrollen und mehr Transparenz in Zukunft verhindert werden kann.

Christopher Pleister war viele Jahre Chef der Genossenschaftsbanken in Deutschland und sitzt im Aufsichtsrat der ins Trudeln geratenen IKB-Bank, die jetzt vom US-Investor Lone Star gekauft wird. Schönen guten Morgen, Herr Pleister.

Christopher Pleister: Guten Morgen, Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Pleister, Frankreichs Präsident Sarkozy will, dass die Verantwortlichen der Krise zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden. Geht das so einfach, wie es sich anhört?

Pleister: Ich glaube nicht, aber Sie haben ja schon berichtet, dass es durchaus Untersuchungen gibt, wer eben hier tatsächlich auch betrügerisch gehandelt hat. Und es gibt natürlich viele Ansatzpunkte dafür, angefangen eben bei der Kreditvergabe, dann bei der geschäftlichen Konstruktion der dann in Wertpapierpaketen zusammengeführten Kreditforderungen, so dass man hier sicherlich Ansatzpunkte finden wird. Das, glaube ich, wird auch ein Nachspiel haben, vornehmlich natürlich in den USA, wo diese Krise entstanden ist.

Kolkmann: Das Casino-Verhalten, wie verbreitet ist das in Bänkerkreisen?

Pleister: Ich glaube, „Casino-Verhalten“ ist ein sehr pauschaler Begriff. Man hat sich bemüht, in seriösen Banken Konstruktionen zu finden, die so risikoimmun sind, dass man damit auch die Grundlage des Geschäftes nicht mehr so ernst zu nehmen braucht, die eben darin bestand, dass viel zu viele Teile der amerikanischen Bevölkerung, die dafür von ihrer Einkommens- und Vermögenssituation gar nicht in Frage kamen, Häuser gekauft haben. Diese Konstruktionen wurden dann so überladen, dass man letztlich sich selber ausgetrickst hat, und dann kam es eben dazu, dass das weiter gehandelt wurde, also an andere verkauft wurde, die dann den gesamten Zusammenhang nicht mehr durchschaut haben.

Kolkmann: Sie haben vor einem Jahr bei Ausbruch der Finanzkrise gesagt – damit standen Sie übrigens auch nicht alleine da –, die Angst, dass das jetzt bei uns auch ganz furchtbare Auswirkungen haben wird, die sei überzogen. Haben Sie sich geirrt? Sind Sie selbst überrascht von diesen Auswirkungen?

Pleister: Nein. Ich halte das deutsche Banksystem weiterhin für sehr stabil. Es zeigt sich, wie wichtig Eigentümerstrukturen und Geschäftsmodelle sind. Die beiden großen Verbundgruppen, die genossenschaftliche Bankengruppe und die Sparkassen-Organisation, haben sehr stabile Eigentümerstrukturen. Dort, wo das Geschäftsmodell angepasst werden muss, da wird die Eigentümerstruktur auch dafür sorgen, dass dieser Anpassungsprozess gelingen kann. Beide Gruppen decken den überwiegenden Teil des deutschen Marktes ab und von daher bin ich sehr, sehr zuversichtlich, dass wir diese Krise aus der Bankenperspektive her gut überstehen.

Kolkmann: Aus der Bankenperspektive, aber aus der Wirtschaftskrise, zum Beispiel auf die konjunkturellen Folgen gesehen, möglicherweise nicht?

Pleister: Na ja, die konjunkturelle Entwicklung ist von vielen Faktoren abhängig. Ich glaube nicht, aufgrund der Aufgabenstellung und auch der Positionierung der Genossenschaftsbanken und der Sparkassen, dass es zu einer Kreditklemme gegenüber dem Mittelstand kommen wird. Dafür sorgt im Übrigen auch der harte Wettbewerb, der in Deutschland da ist, und auch die sonstigen Banken haben sich ja wieder dem Mittelstand als Kundengruppe zugewandt.

Aber wie gesagt: die Finanzkrise hat dazu geführt, dass wertvolle Arbeitsplätze in der Finanzdienstleistungsindustrie – und zwar in großem Umfang – insbesondere in London und New York weggefallen sind. Staatseinnahmen werden zurückgehen, vermutlich auch in Deutschland als Folge der Finanzkrise aufgrund sinkender Bankengewinne.

Die Stimmung hat sich insgesamt verschlechtert. Die Sparquote in Deutschland ist wieder auf 11,3 Prozent gestiegen, was langfristig sicherlich eine sehr gesunde Zahl ist, aber kurzfristig eben zu Zurückhaltung und Kaufzurückhaltung führen wird. Ich meine, die Zeit großer Euphorie, wenn sie denn jemals gerechtfertigt war, ist nicht nur in der Finanzdienstleistungsindustrie, sondern in der Gesamtwirtschaft vorbei.

Kolkmann: Müsste man vielleicht jetzt unterm Strich noch mal sagen, die fetten Jahre sind überhaupt vorbei, für Banker und Verbraucher und für alle?

Pleister: Das glaube ich nicht. Ich glaube schon, dass die Substanz gerade in der Wirtschaft und gerade auch in der deutschen Wirtschaft stark genug ist, dass wir nun nicht ein total düsteres Zukunftsszenario malen müssen. Aber euphorische Stimmung, wie sie denn möglicherweise noch vor mehr als 12 Monaten sich abzuzeichnen schien, die ist nicht mehr gegeben.

Kolkmann: Würden Sie denn sagen, dass diese Finanzkrise die schwerste Krise seit der Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren ist?

Pleister: Die Kreditwirtschaft wird erheblich durcheinandergewirbelt. Die Weltwirtschaft verhält sich ja noch relativ stabil, so dass ich hier Vergleiche, die ja immer hinken, auch in diesem Punkt, nicht unbedingt für angemessen halte.