„Die Wilde Zeit“

Gesehen von Jörg Taszman |
Nach seinem fünf Stunden langen, ursprünglich für den französischen Fernsehsender Canal Plus gedrehten Politthriller <em>Carlos</em> bleibt Olivier Assayas auch in seinem neuen Film politisch, wird dabei jedoch persönlicher und sanfter.
Der stark autobiografisch gefärbte Film setzt zu Beginn der 1970er-Jahre ein, als Frankreich jahrzehntelang von der politischen Rechten regiert wird, sich vor allem aber die Jugend sehr links und sehr radikal definiert. Straßenschlachten in Paris mit den verhassten Sicherheitskräften sind an der Tagesordnung und jeder, der etwas auf sich hält, ist in einer trotzkistischen oder anderen linksradikalen marxistischen Gruppe aktiv. Der junge Gilles, ein talentierter Maler, sucht noch nach seiner Bestimmung, möchte seinem Leben aber einen Sinn geben und lernt die radikalere Christine kennen.

Die reist im Sommer nach Italien mit einigen „Genossen“, um die Landbevölkerung zu agitieren und Gilles bleibt zurück. Es ist die Zeit nach dem Mai 1968, die Zeit der Illusionen, der Hippies, der Rockmusik und dem Wunsch, die Welt politisch zu verändern.

Olivier Assayas lässt eine Ära wieder aufleben, die heute, über 40 Jahre später, fast völlig vergessen und überholt erscheint. Jung sein definierte sich damals vor allem durch Revolte, oft auch durch bürgerlichen Salonkommunismus. Assayas nimmt seine jugendlichen Protagonisten jedoch ernst und zeigt ihre Ideale ebenso wie ihre Illusionen.

Am Ende siegt dann doch der Individualismus über den kurzen kollektiven Traum nach einer besseren Gesellschaft. Das ist nie bitter, sondern eher liebevoll erzählt. Ein Film voller Stimmungen, etwas zu lang, der langsam ausklingt und gegen Ende an Kraft verliert. Das schmälert jedoch nicht das sinnliche und intellektuelle Vergnügen dieser ganz anderen Zeitreise „Back in the Seventies“.

Frankreich 2012 . Regie: Olivier Assayas. Mit: Clement Metayer, Lola Créton, Felix Armand u.a. Länge: 122 Minuten

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