Die Wiederkehr des längst Gesagten

19.04.2007
Der Autor, 1921 geboren, machte in der frühen DDR eine Funktionärskarriere, bevor er in den Westen flüchtete. Dort galt Wolfgang Leonhard als Ost-Experte. 1955 erschien sein Klassiker "Die Revolution entläßt ihre Kinder". Auf der Suche nach seinem heutigen Traum vom Sozialismus ist ihm "Meine Geschichte der DDR" als ein Geplauder voller Klischees gründlich misslungen.
An Hitlers Todestag, es war der 30. April 1945, stieg Wolfgang Leonhard in eine DC 3, die ihn von Moskau nach Deutschland bringen sollte. Mit Leonhard, eben 24 Jahre alt, reiste eine Handvoll Leute, deutsche Kommunisten wie er, die "Gruppe Ulbricht". Die Maschine landete irgendwo östlich der Oder, von sowjetischen Offizieren feierlich empfangen. "Wir wurden zu einer üppig gedeckten Tafel geführt", erinnert sich Leonhard. Der Kommandant ergriff das Wort: "'Wir freuen uns außerordentlich, Sie begrüßen zu dürfen, da wir gehört haben, daß Sie die Mitglieder der neuen deutschen Regierung sind.’ Um Gottes willen! Wen meinte er? Uns? Die ‚Gruppe Ulbricht’ als neue Regierung? Mir stockte der Atem."

Wolfgang Leonhard, als "Wladimir" 1921 in Wien geboren, ist im kommunistischen Milieu Berlins aufgewachsen. 1935 flohen Mutter und Sohn in die Sowjetunion. Nach einer "Säuberung" verschwand die Mutter für zehn Jahre in einem Lager; der Sohn machte derweil eine Funktionärskarriere. Wieder in Berlin, nach Kriegsende, arbeitete er tatsächlich regierungsnah – im Zentralkomitee der KPD/SED, Abteilung Agitation und Propaganda, dann als Dozent an der Parteihochschule.

1949 müssen die Zweifel an der "historischen Mission der Arbeiterklasse" überhand genommen haben: Leonhard flüchtete über Prag nach Jugoslawien und 1950 weiter in die Bundesrepublik. Fortan lebte er im Westen, ein gefeierter "Ost-Experte".

Die Kindheits- und Jugendgeschichte Wolfgang Leonhards ist bekannt, er selbst hat sie ein paarmal ausgebreitet, besonders nachhaltig in seinem Klassiker von 1955 "Die Revolution entläßt ihre Kinder". Nun wollte der Publizist die Geschichte der DDR, genauer: seine Geschichte der DDR erzählen ("ein Staat, an dessen Vorgeschichte ich aktiv beteiligt war"), es ist ihm gründlich misslungen.

Leonhard kennt diesen Staat nur am Rande aus eigenem Erleben. Er ging, von den Politbürokraten als Verräter geschmäht, bevor die DDR gegründet wurde, und kam wieder nach der Wende, da wand sie sich schon im Todeskrampf. Er beschreibt das verblichene Land aus der Ferne, mit Standardfloskeln aus Zeiten des Kalten Krieges:

"Seit meiner Flucht hatte sich an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen im Osten Deutschlands kaum etwas geändert. Die Sowjetzone war schon damals ein bürokratisches und diktatorisches System. Und 1989 war die DDR es noch immer. Ein System, das ich damals als Kasernen-Sozialismus bezeichnete."

Wandlungen im Lauf der Jahrzehnte, die Aufweichung des Systems? Sind dem Ost-Experten nicht aufgefallen. Und dem Fall der Mauer habe er "keine besondere Beachtung geschenkt".

In seinem jüngsten Buch spiegelt Wolfgang Leonhard nicht das Land, sondern sich selbst in diesem Land: Wie der Bestseller aus dem Jahr '55 einst illegal Verbreitung fand, wie die Führung tobte, sobald nur sein Name fiel, wie die Stasi ihn entführen wollte, wie ungerecht Ex-Spionagechef Markus Wolf ihn noch kürzlich in einem Memoirenband beschrieb, wie schön er, Leonhard, den Menschen in Oxford oder Yale ehedem das Wesen der Menschen im Osten erklärte ...

Sein Lieblingsbuch, das bekannte der Verfasser in einem Interview für die Wochenzeitung "Die Zeit", sei Thomas Morus’ "Utopia". Auch alle anderen Werke des utopischen Sozialismus habe er verschlungen: "In ihnen konnte ich, wenn überhaupt, den Traum von einem Sozialismus träumen, der besser war als der reale."

Auf der Suche nach seinem Traum vom Sozialismus sprach der Autor 1990 mit Bürgerrechtlern im Osten und mit Leuten auf der Straße. Er besuchte auch die gestürzte Nomenklatura: Egon Krenz, Günter Schabowski, Markus Wolf, Werner Eberlein, Hermann Axen, Peter Florin ... Er examinierte die Genossen, die früheren Weggefährten, wie sie’s nun hielten mit Stalin und der DDR. Aber der Besucher wollte nicht verstehen; er wollte späte Absolution für Flucht samt "Verrat". Und immer wieder fühlte er sich, seltsam für einen Forscher, "enttäuscht" – von der mangelnden Reue der Führenden und dem allgemeinen Drang der Masse Richtung Wohlstand und Westen. Wie schön hätten die Ossis seinen "freien Sozialismus" nun errichten können; sie haben es nicht getan.

Was Wolfgang Leonhard an Fakten und Analysen über die DDR mitzuteilen hat, kann man anderswo präziser, auch eindrücklicher und eleganter lesen, bei Hermann Weber (*1928) etwa, der zur selben Zeit wie Leonhard auf der SED-Parteihochschule war. Bleibt eine Fülle an Anekdoten, Geplauder voller Klischees ("Ich wußte nicht, wie mir geschah..."), die Wiederkehr des längst Gesagten. Als "zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges" preist der Verlag das Buch. Nun, das ist es gewiss nicht.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Wolfgang Leonhard: Meine Geschichte der DDR.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007. 268 Seiten, 19,90 Euro.
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