Die wiedergefundene Zeit

17.02.2013
Deutschland und Frankreich – eine Beziehung, die im Jubiläumsjahr des Élysée-Vertrages vielfach gefeiert wird. Nicht ganz einfach ist das Verhältnis beider Länder in musikalischer Hinsicht. Die Stuttgarter Hugo-Wolf-Akademie begibt sich mit einer Konzertreihe auf Spurensuche.
Schwebende Klänge, gleitende Farben – kein erdenschweres Streben nach der Grundtonart, keine markanten Betonungen: Das französische Kunstlied mit seinen Höhepunkten bei Fauré, Debussy und Ravel stellt den denkbar reizvollsten Kontrast zum deutschen Lied dar – und das, obwohl das Lied sogar als "le lied" in die ansonsten um ihre Eigenständigkeit besorgte französische Sprache eingegangen ist. In Frankreich sagt man aber auch "la chanson" – und meint damit nicht nur Édith Piaf. Und wenn die Rede von "la mélodie" ist, sind keinesfalls ausschließlich schöne Melodien gemeint, sondern – nun ja – Lieder.

Das französische Kunstlied ist im wörtlichen Sinne schwer zu begreifen, da hierfür verschiedene Begriffe herangezogen werden müssen. Und diese besondere Kunstform hat es auf Podien im deutschen Sprachraum schwer, da die unbestrittenen Meisterwerke der Gattung zwischen Beethoven und Schönberg vor allem in deutscher Sprache entstanden sind. Doch gibt es wohl kein anderes Land, das eine derart ausgefeilte Liedkunst hervorgebracht hat wie Frankreich – schließlich waren erlesenste Dichter und Komponisten wie Stéphane Mallarmé und Claude Debussy Zeitgenossen.

Die Internationale Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart präsentiert in diesen Monaten einige Liederabende, die sich dem französischen Kunstlied aus deutscher Perspektive nähern. In diesem Rahmen kombiniert Werner Güra Lieder des Namenspatrons Hugo Wolf mit Werken von Henri Duparc und Reynaldo Hahn – zwei Meistern der Belle Époque. Gleich das erste Lied, Hahns "À Chloris" – in Liederabenden wird es normalerweise als Zugaben-Dessert serviert – ist ein Meisterwerk der besonderen Art. Man sollte versuchen, sich beim Hören dieser formvollendeten Rokoko-Nachahmung in die Lage von Marcel Proust zu versetzen: Der war Reynaldo Hahn leidenschaftlich zugetan – denn mit diesem Lied hatte er die "verlorene Zeit" wiedergefunden.
Hugo-Wolf-Akademie

Staatsgalerie Stuttgart, Vortragssaal
Aufzeichnung vom 14.02.2013

Reynaldo Hahn
Vier Lieder für Stimme und Klavier:
"À Chloris" (Théophile de Viau)
"Mai" (André Theuriet)
"Dans la nuit" (Jean Moréas)
"Le printemps" (Théodore de Banville)

Franz Schubert
Vier Lieder für Stimme und Klavier:
"Im Frühling" (Ernst Schulze) D 882 op. posth. 101 Nr. 1
"Alinde" (Johann Friedrich Rochlitz) D 904 op. 81 Nr. 1
"Der Fischer" (Johann Wolfgang von Goethe) D 225 op. 5 Nr. 3
"Auf der Bruck" (Ernst Schulze) D 853 op. 93 Nr. 2

Henri Duparc
Vier Lieder für Stimme und Klavier:
"Phidylé" (Charles Leconte de Lisle)
"Chanson triste" op. 2 Nr. 2 (Henry Cazalis)
"Le manoir de Rosemonde" (Robert de Bonnières)
"Extase" (Jean Lahor)

ca. 20:45 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Hugo Wolf
Zehn Lieder nach Gedichten von Eduard Mörike für Stimme und Klavier ("Fußreise", "Gebet", "Der Genesene", "Lebe wohl", "Auf einer Wanderung", "Begegnung", "Nimmersatte Liebe", "Tambour", "Storchenbotschaft", "Abschied")

Werner Güra, Tenor
Christoph Berner, Klavier