"Die Wiederentdeckung der Granteloper" am Berliner HAU

Wir kommen uns zu benehmen

"Die Wiederentdeckung der Granteloper" am HAU in Berlin
Die Wiederentdeckung der Granteloper von FUX © Hebbel am Ufer Berlin/Foto: Dorothea Tuch
Von Tobi Müller · 10.01.2018
Die freie Theatergruppe Fux hat im Berliner Theater Hebbel am Ufer einen Abend über die Kultur der Beschwerde entwickelt: „Die Wiederentdeckung der Granteloper“. Hübsch gespielt, charmant schlecht gesungen und etwas brav gedacht, gemessen am Thema Wut.
Drei Schauspieler behaupten, sie hießen Nele, Falk und Stephan. Sie seien die Gruppe Fux, vor sechs Jahren gegründet. Man arbeite enthierarchisiert, und die Performances würden sich immer, wie sich herausgestellt habe, mit Theaterformaten befassen. Das ist zur Mehrheit nicht nur nett gelogen, sondern gehört auch bereits zum lustigsten des Abends. Denn die drei Schauspielenden Hannah Müller, Léonard Bertholet und Tino Kühn parodieren damit viele Klischees der Performancekunst und sprechen auch darüber, wie sie das machen. Die Gruppe und das Thema vorstellen mit Klarnamen, möglichst unterspannt in den Abend einführen, die Mittel offenlegen: wirklich komisch, wie sie das machen, gerade weil sie das mit wahnsinnig gespannten Körpern und gepressten Stimmen tun, wie es die Performance ja gerade vermeiden will. Im HAU3, der kleinsten Spielstätte des Berliner Theaters Hebbel am Ufer, spielen Schauspieler Performance.

Granteln steht für Motzen

Man erinnert sich gerne an diese gut gelaunte Eröffnung des gut 90-minütigen Abends, weil danach eine gute Idee trotz viel Bewegung auf der Bühne unübersehbar auf der Stelle tritt. Und der "Die Wiederentdeckung der Granteloper" im HAU3 liegt eine super Idee zu Grunde: Sie erzählt erst eine fiktive Geschichte über ihre Entstehung im Frankreich des 18. Jahrhunderts bis vor den Ersten Weltkrieg, als emanzipatorische Bewegung gegen die adelige Form der Oper, und beansprucht für sich dann deren zeitgenössische Form des sich Beschwerens. Für alle nördlich des Rheins: Granteln heißt soviel wie motzen. Das passt doch wunderbar zu unserer digitalen Gegenwart, die vor rasch verbundenen Wutbürgern auf der Straße bebt und deren Netze von Online-Shitstorms verwüstet werden. Man versteht sofort, warum die Gruppe Fux dafür Projektgelder gekriegt hat beim Berliner Senat und auch beim viel größeren Hauptstadtkulturfonds und Produktionspartner fand wie den Mousonturm in Frankfurt am Main, die Kaserne Basel und die Münchner Kammerspiele.

"Die Wiederentdeckung der Granteloper" am HAU in Berlin
Szene aus "Die Wiederentdeckung der Granteloper" von der Theatergruppe Fux. © Hebbel am Ufer Berlin/Foto: Dorothea Tuch
Im Verlauf des Abends türmen sich die halbgut gesungenen Beschwerden kilometerhoch. Die CDU wird angeschrieben, warum das Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt sei, die Partei antwortet darauf und auch auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden (wobei die gesungenen, standardisierten Antworten, die ja stets an Bots erinnern, meistens lustiger sind, weil unübertrefflich absurd). Später geht es um die zu geringe Anzahl an Nudeln in der Nudelsuppe oder um labberige Corn Flakes. Die Ironie ist meterdick, die Relevanz meistens dünn. Musikalisch klingt es mal nach Moritat, mal nach Barock, am Ende mal kurz nach Pop oder doch eher nach Schlager.

Kein Gegenwartsbezug

Die Köpfe der Gruppe Fux sitzen stumm als Musikkappelle im sogenannten Grantelturm, einer geköpften riesigen Flüstertüte. Viele kleine Lautsprecher stehen später herum, auf Rädern. Sowohl die Bühne von Annatina Huwiler wie auch die Kostüme von Katharina Sendfeld spielen schön mit der historischen Fakefabel. Aber der Abend hat bei aller Kunstfertigkeit und trotz munteren Spiels der drei Schauspieler vergessen, bei der Gegenwart anzuklopfen. Der Beschwerden gibt es viele an diesem Abend, der Gründe für dieses Phänomen aber keine.
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