Die Wende in der Kunst
Die Ausstellung "Bewegte Welt - Erzählte Zeit” in der Berliner Akademie der Künste erzählt von politischen und persönlichen Veränderungen: Künstler aus Georgien, Kasachstan, Russland und anderen meist osteuropäischen Ländern blicken auf das Wendejahr 1989.
Eine Fotoserie von Christian Borchert hat dieses Ausstellungsprojekt mit angeregt: Der DDR-Fotograf holte Familien, die er 1983 und 1984 aufgenommen hatte, rund zehn Jahre später noch einmal vor seine Kamera. Das häusliche Ambiente hat sich inzwischen verändert, und der eine oder andere dieser Bürger wirkt nach der Wende auch ein wenig ernüchtert. Aber man bemüht sich, im Kreise der Angehörigen, freundlich dreinzuschauen. Wo sich vorher vereinzelt noch eine unbürgerliche DDR-Nischenexistenz angedeutet hatte, haben sich diese Menschen mittlerweile in ihrem Erscheinungsbild den neuen Zeiten angepasst.
Mit diesem Vorher-Nachher-Prinzip operiert auch Erbossyn Meldibekov aus Kasachstan: Nach dem Kollaps der Sowjetunion stellten sich dieselben Paare und Familien, wie schon Jahre zuvor, noch einmal für ein Foto auf. Meist stehen sie vor einem Denkmal. Doch wo auf den alten Aufnahmen im Hintergrund noch Lenin und seine Mitkämpfer den Weg wiesen, nisten nun ganz andere, uns weniger bekannte Größen auf den Sockeln: Die politische Vergangenheit ist aus dem Stadtbild entfernt worden.
Diese Erfahrungen von gewechselter Identität hat Alevtina Kakhidze in ihrer Videoinstallation eindrucksvoll verdichtet. Wir sehen, wie die Künstlerin, deren Augenfarbe eigentlich braun ist, vor ihre Pupillen blaue Kontaktlinsen schiebt. Ein Symbol für den grundlegenden Perspektivwechsel nach 1989:
"Man kann mein Werk so interpretieren, aber auch auf eine eher allgemeine Art: Menschen möchten anders sein, wollen ihre Identität wechseln - oder sie sind dazu gezwungen."
Von Erosionsprozessen wird in dieser Schau immer wieder erzählt: von der zerfallenden Urbanität - mit verlassenen und deshalb zugemauerten Häusern - und von der bedrohten Landschaft, für die der verschwindende Aralsee geradezu ein Menetekel ist. Immer wieder der Kampf um die Existenz: Um überhaupt über die Runden zu kommen, wird in einsturzgefährdeten Stollen privat und illegal Kohle abgebaut. Besorgniserregende Prozesse überall - Jule Reuter, die leitende Kuratorin:
"Was die Lebensräume betrifft, verweisen die Arbeiten auf Prozesse von Verarmung und Verelendung, auf die Schrumpfung von Städten, den Verlust vorhandener sozialer Strukturen. Das Thema Familie würde ich noch anders deuten: Da geht es sehr stark um Fragen nach der eigenen Identität und der Herkunft - die natürlich damit verbunden sind, dass man seit 1991 in einem neuen, souveränen Staat lebt und nicht mehr zu diesem großen Komplex Sowjetunion gehört."
Beklemmend ist, wie Igor Savchenko auf ganz alltäglichen Familienfotos Gesichter übermalt oder zerkratzt hat - Hinweis nicht nur auf gebrochene Identitäten, sondern auch eine Anspielung auf alte stalinistische Auslöschungsrituale. Beängstigend auch, wie sich eine Künstlerin in ihrer Serie den unaufgeklärten Morden im Lande zuwendet: In den fotografierten Wohnungen hängen Bilder zum Gedenken an getötete Familienmitglieder.
Düsternis und Pessimismus spiegeln sich aber nicht unbedingt in den Künstlerbiografien selber. Die Einladung in die Akademie der Künste zeigt sogar, dass diese Damen und Herren international gefragt sind. Der Sowjetunion trauert niemand nach - neue Zeiten, neue Möglichkeiten, das ist die Devise. Keinerlei Enttäuschung auch bei Alevtina Kakhidze aus der Ukraine:
"Nein, ich habe nun ganz andere Spielräume und konnte mich zum Westen hin orientieren. Das ist für mich sehr wichtig. Aber erst jetzt, nachdem ich fünf Jahre durch Westeuropa gereist bin, kann ich sagen, was ich mag und was nicht. Als ich im Westen eintraf, war ich erst einmal verwirrt und geschockt und konnte meine Gefühle nicht ausdrücken. Erst jetzt ist das möglich und ich kann bewusst über die Unterschiede zwischen damals und heute sprechen. Was meinen künstlerischen Stil angeht, der war immer schon individuell und hat sich nicht geändert. Aber ich kann hier Videoinstallationen entwickeln und präsentieren. In der Ukraine haben Studenten bis heute keine Möglichkeit, mit diesen Formaten wirklich zu arbeiten."
Eine kleine Abteilung zum Schluss ist in der Akademie direkt der Politik und ihren Ritualen gewidmet: Auf einem Video von Koka Ramishvili gehen dokumentarische Bilder mit dem tumultuösen Rücktritt von Eduard Schewardnadse im georgischen Parlament über in eine Szene aus dem Fassbinder-Film "Die Sehnsucht der Veronika Voss” - mit dem Evergreen "Memories Are Made of This”, der hier wie ein sarkastischer Kommentar wirkt.
Schräg gegenüber Videoaufnahmen von russischen Kadetten: Es sind Kinder, die unter den viel zu großen Uniformmützen fast verschwinden: bedrückende Bilder aus einer militarisierten Gesellschaft.
Ein großer Sichtungsprozess mit Einzelkuratoren vor Ort ist dieser Ausstellung vorausgegangen. Wie steht es denn allgemein mit der Bereitschaft der Künstlerinnen und Künstler, Kritik an den sozialen und politischen Zuständen zu üben? Kuratorin Olesia Ostrovska-Liuta:
"Das ist eine schwierige Frage. Erst seit ein paar Jahren hat sich zum Beispiel in der Ukraine eine neue Künstlergeneration herausgebildet, die das, was sie sieht, auch kritisiert. Die Generation davor hat sich damit zurückgehalten. Sie hatte ihre Erfahrungen noch in der Sowjetunion gesammelt und den ständigen Druck gespürt, sich sozial und politisch äußern zu müssen. Diese Künstler haben nach dem Kollaps der Sowjetunion politische Äußerungen eher vermieden. Es ist nun eine jüngere Generation mit anderen Erfahrungen, die neuen Mut fasst und soziale und politische Bedingungen kritisiert."
Was in der Akademie der Künste am Hanseatenweg überprüft werden kann. Es ist eine Schau mit hohem Informationswert, und als Blick über deutsche Grenzen die notwendige Ergänzung zum übermächtigen Jubiläum des Mauerfalls in diesem Jahr.
Mit diesem Vorher-Nachher-Prinzip operiert auch Erbossyn Meldibekov aus Kasachstan: Nach dem Kollaps der Sowjetunion stellten sich dieselben Paare und Familien, wie schon Jahre zuvor, noch einmal für ein Foto auf. Meist stehen sie vor einem Denkmal. Doch wo auf den alten Aufnahmen im Hintergrund noch Lenin und seine Mitkämpfer den Weg wiesen, nisten nun ganz andere, uns weniger bekannte Größen auf den Sockeln: Die politische Vergangenheit ist aus dem Stadtbild entfernt worden.
Diese Erfahrungen von gewechselter Identität hat Alevtina Kakhidze in ihrer Videoinstallation eindrucksvoll verdichtet. Wir sehen, wie die Künstlerin, deren Augenfarbe eigentlich braun ist, vor ihre Pupillen blaue Kontaktlinsen schiebt. Ein Symbol für den grundlegenden Perspektivwechsel nach 1989:
"Man kann mein Werk so interpretieren, aber auch auf eine eher allgemeine Art: Menschen möchten anders sein, wollen ihre Identität wechseln - oder sie sind dazu gezwungen."
Von Erosionsprozessen wird in dieser Schau immer wieder erzählt: von der zerfallenden Urbanität - mit verlassenen und deshalb zugemauerten Häusern - und von der bedrohten Landschaft, für die der verschwindende Aralsee geradezu ein Menetekel ist. Immer wieder der Kampf um die Existenz: Um überhaupt über die Runden zu kommen, wird in einsturzgefährdeten Stollen privat und illegal Kohle abgebaut. Besorgniserregende Prozesse überall - Jule Reuter, die leitende Kuratorin:
"Was die Lebensräume betrifft, verweisen die Arbeiten auf Prozesse von Verarmung und Verelendung, auf die Schrumpfung von Städten, den Verlust vorhandener sozialer Strukturen. Das Thema Familie würde ich noch anders deuten: Da geht es sehr stark um Fragen nach der eigenen Identität und der Herkunft - die natürlich damit verbunden sind, dass man seit 1991 in einem neuen, souveränen Staat lebt und nicht mehr zu diesem großen Komplex Sowjetunion gehört."
Beklemmend ist, wie Igor Savchenko auf ganz alltäglichen Familienfotos Gesichter übermalt oder zerkratzt hat - Hinweis nicht nur auf gebrochene Identitäten, sondern auch eine Anspielung auf alte stalinistische Auslöschungsrituale. Beängstigend auch, wie sich eine Künstlerin in ihrer Serie den unaufgeklärten Morden im Lande zuwendet: In den fotografierten Wohnungen hängen Bilder zum Gedenken an getötete Familienmitglieder.
Düsternis und Pessimismus spiegeln sich aber nicht unbedingt in den Künstlerbiografien selber. Die Einladung in die Akademie der Künste zeigt sogar, dass diese Damen und Herren international gefragt sind. Der Sowjetunion trauert niemand nach - neue Zeiten, neue Möglichkeiten, das ist die Devise. Keinerlei Enttäuschung auch bei Alevtina Kakhidze aus der Ukraine:
"Nein, ich habe nun ganz andere Spielräume und konnte mich zum Westen hin orientieren. Das ist für mich sehr wichtig. Aber erst jetzt, nachdem ich fünf Jahre durch Westeuropa gereist bin, kann ich sagen, was ich mag und was nicht. Als ich im Westen eintraf, war ich erst einmal verwirrt und geschockt und konnte meine Gefühle nicht ausdrücken. Erst jetzt ist das möglich und ich kann bewusst über die Unterschiede zwischen damals und heute sprechen. Was meinen künstlerischen Stil angeht, der war immer schon individuell und hat sich nicht geändert. Aber ich kann hier Videoinstallationen entwickeln und präsentieren. In der Ukraine haben Studenten bis heute keine Möglichkeit, mit diesen Formaten wirklich zu arbeiten."
Eine kleine Abteilung zum Schluss ist in der Akademie direkt der Politik und ihren Ritualen gewidmet: Auf einem Video von Koka Ramishvili gehen dokumentarische Bilder mit dem tumultuösen Rücktritt von Eduard Schewardnadse im georgischen Parlament über in eine Szene aus dem Fassbinder-Film "Die Sehnsucht der Veronika Voss” - mit dem Evergreen "Memories Are Made of This”, der hier wie ein sarkastischer Kommentar wirkt.
Schräg gegenüber Videoaufnahmen von russischen Kadetten: Es sind Kinder, die unter den viel zu großen Uniformmützen fast verschwinden: bedrückende Bilder aus einer militarisierten Gesellschaft.
Ein großer Sichtungsprozess mit Einzelkuratoren vor Ort ist dieser Ausstellung vorausgegangen. Wie steht es denn allgemein mit der Bereitschaft der Künstlerinnen und Künstler, Kritik an den sozialen und politischen Zuständen zu üben? Kuratorin Olesia Ostrovska-Liuta:
"Das ist eine schwierige Frage. Erst seit ein paar Jahren hat sich zum Beispiel in der Ukraine eine neue Künstlergeneration herausgebildet, die das, was sie sieht, auch kritisiert. Die Generation davor hat sich damit zurückgehalten. Sie hatte ihre Erfahrungen noch in der Sowjetunion gesammelt und den ständigen Druck gespürt, sich sozial und politisch äußern zu müssen. Diese Künstler haben nach dem Kollaps der Sowjetunion politische Äußerungen eher vermieden. Es ist nun eine jüngere Generation mit anderen Erfahrungen, die neuen Mut fasst und soziale und politische Bedingungen kritisiert."
Was in der Akademie der Künste am Hanseatenweg überprüft werden kann. Es ist eine Schau mit hohem Informationswert, und als Blick über deutsche Grenzen die notwendige Ergänzung zum übermächtigen Jubiläum des Mauerfalls in diesem Jahr.