Die Welt nach Donald Trump

Alles wird bleiben, wie es ist

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Nahaufnahme von Donald Trump, der mit dem Finger in die Kamera zeigt.
Trump ist wie ein Verkehrsunfall am Straßenrand, findet der Politikwissenschaftler Torben Lütjen. Alle wissen, dass es falsch ist hinzuschauen, aber keiner kann es lassen. © Getty Images / Win McNamee
Ein Standpunkt von Torben Lütjen · 27.10.2020
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Sollte US-Präsident Donald Trump nach der Wahl die politische Bühne verlassen, wird die Welt aufatmen. Aber wird danach automatisch alles besser? Nein, meint der Politologe Torben Lütjen. Denn Trump sei Symptom, nicht Ursache vieler Probleme.
In den letzten vier Jahren hat Trump unser Bewusstsein okkupiert wie vielleicht kein Politiker vor ihm. Wir sind mit ihm aufgewacht, um zu erfahren, was er nun wieder in die Welt getwittert hat? Und wenn wir ins Bett gingen, fragten wir uns, was er mit dem erst halb verstrichenen Tag am anderen Ende der Welt wohl noch anstellen würde? Trump ist der Verkehrsunfall am Straßenrand – alle wissen, dass es falsch ist, hinzuschauen, aber kaum einer kann es lassen.
So hat er uns zu den Voyeuren seiner täglichen Twitter-Tiraden gemacht und ein wenig auch zu den Komplizen seines politischen Dadaismus. Wie die meisten Monster haben wir auch dieses selbst erschaffen. Trump ernährt sich wie alle Internet-Trolle von unserer Aufmerksamkeit. Zeit also sich einzugestehen, dass er im Grunde der kongeniale Repräsentant unserer Zeit ist. Schließlich wären seine Tweets ganz unwesentlich, wenn wir sie nicht lesen würden. Sie passen aber eben zu gut zu unseren bereits arg geschrumpften Aufmerksamkeitsspannen, zu unserer Neigung zur reflexhaften Aufregung.

Trumps Aufmerksamkeitssucht mit Wilhelm II. vergleichbar

Seitdem Trump die Bühne der Politik betreten hat, wurden eine Unzahl historischer Analogien benutzt, um ihm gerecht zu werden. Das meiste davon geht allerdings ins Leere. Trump ist kein Hitler, kein Mussolini, auch kein Cäsar oder Kaiser Nero. Wenn überhaupt, dann handelt es sich bei ihm um den Wiedergänger Wilhelm II. Auch in diesem deutschen Kaiser, im Volksmund "Seine Plötzlichkeit" genannt, spiegelte sich die Unruhe einer Epoche, die den Zeitgenossen als lauter, schneller, unsicherer als frühere Zeiten erschien. So wie heute über die Überforderung durch die sozialen Medien geklagt wird, so wurde damals die "Neurasthenie" zur Volkskrankheit: Ein diffuses Nervenleiden, ausgelöst durch ein Gefühl der Überforderung. Es schickte Hunderttausende Europäer auf der Suche nach Linderung in Nervenheilanstalten.
Der Kaiser selbst galt als der Oberneurastheniker des Reiches. Auch er war – wie Trump – mediensüchtig, besessen von seinem Bild in der Öffentlichkeit. Und wie der 45. Präsident der USA las auch er lieber die Zeitung, als sich von seinem Stab briefen zu lassen. So waren beide Männer mit ihrem Weltbild aus der Zeit gefallen und zugleich Ausdruck des Wandels ihrer Epoche. Der New Yorker Geschäftsmann wie der deutsche Kaiser stillten ihre Eitelkeit über die Medien, und man mag sich kaum vorstellen, wie viel Unheil Wilhelm II., ansonsten sorgsam abgeschottet von seinen Beratern, wohl mit einem eigenen Twitter-Acount hätte anrichten können. Süchtig nach Beifall und Anerkennung waren gewiss beide, und der böse Satz Bismarcks über seinen Kaiser träfe auch bei Trump ins Schwarze: "Er wollte jeden Tag Geburtstag feiern."

Trump ist nicht die Ursache der US-Probleme

Nur haben wir alle fast vier Jahre mitgefeiert, an erste Stelle die amerikanischen Medien, die ihn im Sommer 2015, als Trump seinen scheinbar aussichtslosen Anlauf ins Weiße Haus nahm, erst durch ihre Berichterstattung groß gemacht haben.
Und werden wir jetzt vielleicht Entzugserscheinungen bekommen, sollte Trump nicht mehr den Nachrichtenzyklus steuern? Das wohl eher nicht. Doch wahr ist auch, dass Trump für uns alle auch eine bequeme Ablenkung und ein "guilty pleasure" war. Denn indem wir uns so ungeheuer auf ihn fokussiert haben, haben wir bisweilen übersehen, dass er nur das Symptom, nicht die Ursache vieler Probleme ist.
Alles wird bleiben, wenn er geht: die tiefe Spaltung der USA sowieso, aber auch bei uns das abgrundtiefe Misstrauen in die Institutionen, der Verschwörungsglaube, der Rassismus und vieles andere mehr. Und unsere fragmentierte Aufmerksamkeit wird sich neue Ziele der Zerstreuung suchen. Dass wir statt Trumps Tweets dann wieder alle mehr Hegel lesen, steht jedenfalls nicht zu erwarten.

Torben Lütjen, geboren 1964 in Bremen, seit 2020 Politikwissenschaftler an der Universität Kiel. Von 2017 bis 2020 unterrichtete er an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. 2015 bis 2016 arbeitete er als Direktor in Vertretung des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Von ihm 2020 erschienen: "Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert."

© Steve Green
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