Die Welt in Ekstase

12.01.2009
Die Ich-Erzählerin der "Hundenovelle" erscheint als mystische Naturbeobachterin. Ein Hund, eine Promenadenmischung, läuft ihr zu, und dieses Tiererlebnis wird zu einem Kabinettstück an Situationskomik. Der 1969 in Essen geborenen Autorin Marion Poschmann gelingt ein ausbalancierter Kontrastreichtum zwischen beiläufig Komischen und dem starken Pathos von Naturskizzen.
Früher war das schlechthin Andere des Menschen das Tier. Fehlte ihm doch das, was den Menschen zum Menschen machte - die Seele. Der Blick ins Tierauge sollte den Wert dessen, der mit einer Seele in die Welt hinaus schaut, vor dem Seelenlosen bewahren.

Heute blickt man ins Tierreich, um sich wiederzuerkennen. Alles Menschliche, Allzumenschliche projiziert man nun ins Tierreich, um das Menschliche besser zu verstehen - niemand kann sich mehr retten vor Tierbetrachtungen, es scheint, als sei das Tierische gegenüber dem Menschlichen etwas Verlässlicheres, irgendwie Solideres.

Die 1969 in Essen geborene Autorin Marion Poschmann, die mit dem faszinierenden "Schwarzweißroman" 2005 begeisterte Kritiken und eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis einheimste, legt sich in Sachen Tierbeobachtung zunächst nicht fest.

Ihre "Hundenovelle" von knapp 130 Seiten hat eine Ich-Erzählerin, die mit allen Wassern der Naturbeobachtung gewaschen ist. Die Heilige Katharina wird einmal aufgerufen, jene Jungfrau, die sich nur von Spülwasser ernährte, und so erscheint die Erzählerin als moderne Heilige, als mystische Naturbeobachterin. Die Welt in Ekstase - so gut expressionistisch klingt das bei Poschmann:

"Die Luft zählflüssig und funkelnd wie Likör mit Beimengung von Blattgold. Die Straßen, die sonst stumpf dalagen und das Licht schluckten, reflektierten es jetzt. Sie spiegelten eine Sonne, die am Himmel schwarz war und auf der Straße weißlich waberte."

Ein Hund, eine Promenadenmischung, läuft der Erzählerin zu, und dieses Tiererlebnis wird zu einem Kabinettstück an Situationskomik. Du Kunst Poschmanns ist der ausbalancierte Kontrastreichtum zwischen beiläufig Komischen und dem starken Pathos von Naturskizzen und frei assoziierenden Passagen.

Die Erzählerin wird zu einer Spezialistin in allen Hundefragen - dennoch verliert sie den Hund, der sie erst wieder zum Sterben aufsucht, eine Szene die jeden noch nicht ganz abgestumpften Leser Zähren vergießen lässt.

Außer hochexpressiven Landschaftsschilderungen und der Andeutung des Einzelgängerschicksals der Heldin passiert eigentlich kaum etwas. In diesem trotz scheinbarer Nichtigkeiten immer spannenden und sprachlich bewundernswert entwickelten Text wird die Möglichkeit einer Existenz außerhalb der Gesellschaft in Betracht gezogen, die im mystischen Blick ins Hundeauge den "anderen Zustand" erlebt.

Dass solche Ekstasen ihren Grund in subjektiven Bedingungen haben, die immer schon kulturell geprägt sind - das weiß die Autorin möglicherweise besser als ihre Erzählerin.

Rezensiert von Marius Meller

Marion Poschmann: Hundenovelle
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M. 2008,
126 Seiten, 17,80 Euro