Bilal Tanweer: "Die Welt hört nicht auf"
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Hanser Verlag, München 2016
192 Seiten, 19,90 Euro
Liebeserklärung an eine gebeutelte Stadt
Bilal Tanweer widmet den Roman "Die Welt hört nicht auf" seiner pakistanischen Heimatstadt Karachi. Er erzählt in Episoden von den geplatzten Träumen einer idealistischen Generation von Dichtern und Denkern und von der alltäglichen Gewalt in der Metropole.
Die pakistanische Millionenstadt Karachi gilt als Hauptstadt des Verbrechens und der Gewalt – und mit einem Akt der Gewalt beginnt auch alles in Bilal Tanweers Episodenroman "Die Welt hört nicht auf": Eine Bombe explodiert an einer zentralen Busstation – und führt die Schicksale und Lebensfäden mehrerer Menschen zusammen, die sich in jenem Moment am Ort der Detonation befinden: Da ist unter anderem Sadeq, ein zwielichtiger Kleinkrimineller, der sich unter seiner rauen Schale heimlich nach Liebe sehnt.
Träume zerbrechen in tausend Splitter
Da ist Sadeqs Freund, dessen Vater vergeblich um seine Liebe buhlt – und dessen Großvater, ein Dichter, den eigenen Sohn und seine Familie um seines politischen Engagements willen im Stich gelassen hat. Da ist eine junge Frau, die sich auf ein heimliches Liebesverhältnis einlässt. Und: Da ist der Autor – ein Journalist, der sehnlich wünscht, ein Schriftsteller zu sein – der all diese Geschichten am Ende bündeln wird. Erst einmal muss man sich im Gewirr der Geschichten aber zurechtfinden. Denn Bilal Tanweer – 1973 kam er in Karachi zur Welt, inzwischen lebt er in Lahore – erzählt nicht allein von einer Stadt, in der die Träume und Hoffnungen der Bewohner von der allgegenwärtigen Gewalt in tausend Splitter zerbrechen: Raubüberfälle, Polizeiwillkür, die Islamisierung des Landes, die repressive Geschlechterpolitik und das ausgeprägte Klassenbewusstsein des Landes bilden das schwelende Hintergrundgeräusch des Romans.
Der Autor hat seinem Roman vielmehr selbst die Form eines in sich zersplitterten Gebildes verliehen: Bruchstück an Bruchstück reiht sich aneinander, die zeitliche Chronologie ist aufgehoben, alle Stimmen sprechen aus der Ich-Perspektive zu uns, manche der Episoden verzichten bewusst auf einen klassischen Handlungsbogen, die einzelnen Episoden sind mal in einem knallharten Realismus, mal in einem magischen Ton gehalten. Doch nach und nach fügen sich die einzelnen Teile zu einem Ganzen – und eröffnen den Blick auf die tieferliegenden Schichten der Stadt: die Wunden, die der Stadt und ihren Menschen geschlagen wurden, die Trauer über diese Wunden, das Gefühl eines umfassenden Verlusts, von dem alle Figuren heimgesucht sind.
Vielgesichtiges Porträt des urbanen Pakistan
Und doch entpuppt sich "Die Welt hört nicht auf" unter der Hand als eine Liebeserklärung an Karachi. Zwar hält der Autor der rauen Gegenwart, die er mit plastischen Details einzufangen versteht, das Bild einer untergegangenen Welt entgegen, in der die Stadt Karachi einst Heimat einer idealistischen Generation von Dichtern und Denkern war. Doch versinkt der Roman an keiner Stelle in ein Lamento – im Gegenteil. Aus den zersplitterten Träumen, sprich: aus der Zerstörung, weiß Bilal Tanweer literarisch Kapital zu schlagen. Bilal Tanweers alter ego behauptet am Ende des Romans zwar, allein Fragmente erzählen die Wahrheit, alles andere sei eine Lüge. Sein eigener Roman – der seine Fragmente zu einem so überraschenden wie vielgesichtigen Porträt des urbanen Pakistan gekonnt zusammenfügt – beweist allerdings auf erfrischende Weise das Gegenteil.