Die Welt des Schulbuches
Ein Nachbar in Berlin, 26 Jahre alt, hat eine Internetfirma gegründet und in weniger als einem Jahr 25 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wunderbar, dachte ich, Deutschland braucht viel mehr von solchen fleißigen und risikobereiten Leuten in allen möglichen Branchen, wenn es seine Arbeitslosigkeit von viereinhalb Millionen Menschen reduzieren will.
Doch wäre dieser junge Unternehmer nicht zufällig auf einer guten Wirtschaftsuni gelandet, wäre es ganz anders gekommen. Seine Lehrer an der Schule nämlich haben ihn vor seiner jetzigen Karriere gewarnt. Er erinnert sich, wie sie ihm beim Thema Wirtschaft nicht etwa das Funktionieren des Markts erklärt hätten, sondern Werturteile über böse Manager und ungerechte Löhne lehrten. Das faszinierende Zusammenspiel von Nachfrage und Angebot, schließlich die Basis unserer Wirtschaftsordnung - Fehlanzeige, der freie Markt kam quasi nur als freie Wildnis vor. Hätte er sich an seine Lehrer gehalten, wäre er nie das Risiko einer Unternehmensgründung eingegangen, sondern hätte sich brav in den Staatsdienst oder in die Hierarchie eines Großunternehmens eingereiht. Neue Arbeitsplätze wären natürlich nicht entstanden.
Dass dies mehr als nur eine Anekdote ist, belegt eine Studie der Initiative Juniorprojekt, die die alte amerikanische Tradition von Schülerunternehmen seit einigen Jahren nun auch in Deutschland propagiert. Die Initiative wollte wissen, wie Wirtschaft und Unternehmer in nordrhein-westfälischen Schulbüchern vorkommen. Sie fanden heraus, dass Unternehmer nicht etwa im Zusammenhang mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen erscheinen, sondern im Kontext von Kinderarbeit, Müllbergen, Internetsucht und Alkoholismus.
Ein anderes Beispiel sind die in Berlin und Brandenburg eingesetzten Sozialkundetexte aus dem Cornelsen-Verlag. Im Kapitel "Was tun gegen Arbeitslosigkeit" lernen Kinder nicht etwa, dass Arbeitsplätze von Unternehmen in der Wirtschaft geschaffen werden. Nein, das Schulbuch beschreibt Montagsdemonstrationen, staatliche Ausgaben, sowie das Programm des deutschen Gewerkschaftsbunds. Weniger arbeiten, damit die Arbeit besser verteilt wird, inklusive 30-Stunden-Woche und Rente mit 60. Diese Voodoo-Ökonomie erscheint ausführlich, Wort für Wort, ohne Kommentar, und ohne marktwirtschaftliche Alternative. Dabei ist gerade diese 70er-Jahre-Ideologie des Arbeitskuchens, der fix sei und nur besser verteilt werden müsse, überall auf der Welt gescheitert und widerlegt. Andere Länder werden fit für die Globalisierung gemacht. Deutsche Kinder werden geschult in den gescheiterten Träumen längst vergangener Zeiten.
Gerade die Arbeitsbücher über die Globalisierung werden derzeit sehr gern von Lehrern genommen, wie mir die freundliche Verlagsmitarbeiterin sagt.
Dort allerdings wird einem das Fürchten gelehrt. Die Globalisierung erscheint als eine auf Deutschland und die Welt hereingebrochene, ungerechte Katastrophe. In manchen Texten wird den Kindern empfohlen, sich weitere Informationen bei der radikalen Protestgruppe Attac zu besorgen, ohne Angabe von alternativen Informationsquellen. Dass Deutschland neben China am meisten von der Globalisierung profitiert, dass Zigmillionen Menschen von der Globalisierung aus der Armut gehoben werden, geht in der Schwarzmalerei unter. Sicherlich auch ein Grund, warum die Deutschen den Weltpessimismusrekord halten. Ihren Kindern wird in zarten Jahren beigebracht, sich vor der Welt da draußen zu fürchten.
In Frankreich ist es übrigens nicht minder schlimm. Im aktuellen Geschichtstext des Hatier-Verlags wird kleinen Franzosen beigebracht, warum es besser ist, wenn ihr Land stagniert. Zitat: Wirtschaftliches Wachstum führt zu einem Lebensstil, der Stress verursacht, nervöse Depression, Herz-Kreislauf-Krankheiten und sogar Krebs. Ende des Zitats. Ein anderes Kapitel beschreibt Ronald Reagan und Margaret Thatcher als gefährliche Extremisten, deren marktwirtschaftliche Reformen ihre Länder in Chaos und Ruin gestürzt haben. Kein Wunder, dass junge Franzosen zutiefst konservativ sind und gegen jede noch so kleine Reform auf die Barrikaden gehen. Man hat es ihnen ja mehr oder minder so beigebracht.
Es geht gar nicht so sehr darum, diese marktfeindliche Haltung zu verdammen. Jeder hat das Recht auch auf seine Meinung. Sie wäre nur um einiges legitimer, wenn sie aus freien Stücken käme, aus einer informierten Abwägung zwischen Markt und Staat, Risiko und Sicherheit, im Bewusstsein der Kosten und Auswirkungen der jeweiligen Haltung. Genau das passiert aber nicht, wenn jungen Menschen von Anfang an beigebracht wird, der Markt, die Unternehmer und die Globalisierung seien böse und gefährlich, und nur der Staat könne sie schützen. Die Möglichkeit, selbstbestimmt und in Alternativen zu denken, wird vielen Menschen so schon in der Schule genommen.
Schulbücher sind sicher nicht alles. Es gibt viele tüchtige Lehrer, die sich anderes Material besorgen oder als Klassenprojekt ein Schülerunternehmen starten. Einige Lehrer berichten mir von wachsendem Druck von Eltern und Schülern, die aus ganz pragmatischem Eigeninteresse wissen wollen, wie Markt und Wirtschaft wirklich funktionieren. Im Osten übrigens mehr als im Westen.
Für oder gegen die althergebrachte Religion der Wirtschaftsangst und des Marktmisstrauens können sich die Schüler dann selbst entscheiden, wenn sie eines Tages erwachsen sind. Dann gäbe es auch mehr junge Menschen wie mein Nachbar, die den Sprung zum Unternehmer wagen und so für Deutschlands zukünftige Arbeitsplätze sorgen.
Stefan Theil, Journalist, geboren 1964 in Düsseldorf, 1975 ausgewandert nach Pittsburgh/USA. Studierte Public and International Affairs an der Princeton University, Bachelor of Arts 1986, anschließend Studium der Politischen Wissenschaft in Berlin. Reporter für "The Washington Post" während der Wende 1989, ab 1990 für Newsweek. Berichte aus Belgien, Frankreich, Niederlande, Polen, Österreich, Russland, Schweiz, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Ukraine und USA. Chef des Deutschlandbüros von "Newsweek" seit 2004.
Dass dies mehr als nur eine Anekdote ist, belegt eine Studie der Initiative Juniorprojekt, die die alte amerikanische Tradition von Schülerunternehmen seit einigen Jahren nun auch in Deutschland propagiert. Die Initiative wollte wissen, wie Wirtschaft und Unternehmer in nordrhein-westfälischen Schulbüchern vorkommen. Sie fanden heraus, dass Unternehmer nicht etwa im Zusammenhang mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen erscheinen, sondern im Kontext von Kinderarbeit, Müllbergen, Internetsucht und Alkoholismus.
Ein anderes Beispiel sind die in Berlin und Brandenburg eingesetzten Sozialkundetexte aus dem Cornelsen-Verlag. Im Kapitel "Was tun gegen Arbeitslosigkeit" lernen Kinder nicht etwa, dass Arbeitsplätze von Unternehmen in der Wirtschaft geschaffen werden. Nein, das Schulbuch beschreibt Montagsdemonstrationen, staatliche Ausgaben, sowie das Programm des deutschen Gewerkschaftsbunds. Weniger arbeiten, damit die Arbeit besser verteilt wird, inklusive 30-Stunden-Woche und Rente mit 60. Diese Voodoo-Ökonomie erscheint ausführlich, Wort für Wort, ohne Kommentar, und ohne marktwirtschaftliche Alternative. Dabei ist gerade diese 70er-Jahre-Ideologie des Arbeitskuchens, der fix sei und nur besser verteilt werden müsse, überall auf der Welt gescheitert und widerlegt. Andere Länder werden fit für die Globalisierung gemacht. Deutsche Kinder werden geschult in den gescheiterten Träumen längst vergangener Zeiten.
Gerade die Arbeitsbücher über die Globalisierung werden derzeit sehr gern von Lehrern genommen, wie mir die freundliche Verlagsmitarbeiterin sagt.
Dort allerdings wird einem das Fürchten gelehrt. Die Globalisierung erscheint als eine auf Deutschland und die Welt hereingebrochene, ungerechte Katastrophe. In manchen Texten wird den Kindern empfohlen, sich weitere Informationen bei der radikalen Protestgruppe Attac zu besorgen, ohne Angabe von alternativen Informationsquellen. Dass Deutschland neben China am meisten von der Globalisierung profitiert, dass Zigmillionen Menschen von der Globalisierung aus der Armut gehoben werden, geht in der Schwarzmalerei unter. Sicherlich auch ein Grund, warum die Deutschen den Weltpessimismusrekord halten. Ihren Kindern wird in zarten Jahren beigebracht, sich vor der Welt da draußen zu fürchten.
In Frankreich ist es übrigens nicht minder schlimm. Im aktuellen Geschichtstext des Hatier-Verlags wird kleinen Franzosen beigebracht, warum es besser ist, wenn ihr Land stagniert. Zitat: Wirtschaftliches Wachstum führt zu einem Lebensstil, der Stress verursacht, nervöse Depression, Herz-Kreislauf-Krankheiten und sogar Krebs. Ende des Zitats. Ein anderes Kapitel beschreibt Ronald Reagan und Margaret Thatcher als gefährliche Extremisten, deren marktwirtschaftliche Reformen ihre Länder in Chaos und Ruin gestürzt haben. Kein Wunder, dass junge Franzosen zutiefst konservativ sind und gegen jede noch so kleine Reform auf die Barrikaden gehen. Man hat es ihnen ja mehr oder minder so beigebracht.
Es geht gar nicht so sehr darum, diese marktfeindliche Haltung zu verdammen. Jeder hat das Recht auch auf seine Meinung. Sie wäre nur um einiges legitimer, wenn sie aus freien Stücken käme, aus einer informierten Abwägung zwischen Markt und Staat, Risiko und Sicherheit, im Bewusstsein der Kosten und Auswirkungen der jeweiligen Haltung. Genau das passiert aber nicht, wenn jungen Menschen von Anfang an beigebracht wird, der Markt, die Unternehmer und die Globalisierung seien böse und gefährlich, und nur der Staat könne sie schützen. Die Möglichkeit, selbstbestimmt und in Alternativen zu denken, wird vielen Menschen so schon in der Schule genommen.
Schulbücher sind sicher nicht alles. Es gibt viele tüchtige Lehrer, die sich anderes Material besorgen oder als Klassenprojekt ein Schülerunternehmen starten. Einige Lehrer berichten mir von wachsendem Druck von Eltern und Schülern, die aus ganz pragmatischem Eigeninteresse wissen wollen, wie Markt und Wirtschaft wirklich funktionieren. Im Osten übrigens mehr als im Westen.
Für oder gegen die althergebrachte Religion der Wirtschaftsangst und des Marktmisstrauens können sich die Schüler dann selbst entscheiden, wenn sie eines Tages erwachsen sind. Dann gäbe es auch mehr junge Menschen wie mein Nachbar, die den Sprung zum Unternehmer wagen und so für Deutschlands zukünftige Arbeitsplätze sorgen.
Stefan Theil, Journalist, geboren 1964 in Düsseldorf, 1975 ausgewandert nach Pittsburgh/USA. Studierte Public and International Affairs an der Princeton University, Bachelor of Arts 1986, anschließend Studium der Politischen Wissenschaft in Berlin. Reporter für "The Washington Post" während der Wende 1989, ab 1990 für Newsweek. Berichte aus Belgien, Frankreich, Niederlande, Polen, Österreich, Russland, Schweiz, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, Ukraine und USA. Chef des Deutschlandbüros von "Newsweek" seit 2004.