Die Welt braucht keinen Gott

03.10.2010
Unser Universum ist spontan entstanden - ganz ohne Schöpfer. Das legen der Astrophysiker Stephen Hawking und sein US-Kollege Leonard Mlodinow dar. Die Menschheit sei kurz davor, Aufbau und Entwicklung des Universums endgültig zu verstehen.
Fallen die Stichworte Hawking und Gott, so ist großes Aufsehen sicher. Prompt rauschte es gewaltig im Blätterwald, als kürzlich Stephen Hawkings neues Buch "Der große Entwurf" erschienen ist. Darin müht sich der britische Astrophysiker gemeinsam mit seinem US-Kollegen Leonard Mlodinow darzulegen, dass die Welt keinen Gott brauche. Unser Universum sei einfach spontan entstanden – ganz ohne Schöpfer.

Doch die neue Erklärung des Universums, die der ambitionierte Untertitel des Buches verspricht, bleibt entweder recht allgemein und ist wenig neu oder sie entschwindet in so komplizierte Gedankengänge, dass kaum ein Leser wird folgen können. Ganz nebenbei vereinigen die beiden Forscher die Naturwissenschaft mit Philosophie und Religion. Denn, so behaupten sie, um das Universum wirklich zu verstehen, müsse man nicht nur wissen, wie es funktioniere, sondern auch, warum es existiere. Da werden nicht nur Naturwissenschaftler zusammenzucken.

Um die großen Warum-Fragen zu lösen, legen Hawking und Mlodinow zunächst die Grundzüge von Relativitäts- und Quantentheorie dar, also den Theorien für das ganz Große und das ganz Kleine im Kosmos. Dass beide Theorien sich in ihren Bereichen bestens bewährt haben, aber einander ausschließen, ist altbekannt. Doch das hindert die beiden Autoren nicht daran, diesen Umstand detailverliebt zu vertiefen.

Dann geht es zügig weiter zur Stringtheorie, die statt der uns bekannten drei auf neun räumliche Dimensionen setzt. Wer noch nie etwas von Wahrscheinlichkeitsamplituden, Quantenchromodynamik und Renormierung gehört hat, wird beim Lesen hier schon lange nicht mehr folgen können. Die eingestreuten Anekdoten und Gags helfen nicht, den oft sehr fachlichen Text verständlicher zu machen. Auch die Abbildungen tragen nur wenig zur Klärung bei.

Gegen Ende philosophieren Hawking und Mlodinow darüber, dass unser Leben nie hätte entstehen können, wenn die Naturgesetze auch nur geringfügig anders lauten würden. Dann hätten sich im Weltall niemals Sterne und Planeten geformt und es gäbe keinen Sauerstoff. Unser Universum muss so sein, wie es ist, weil es sonst nie uns Menschen hervorgebracht hätte, was keineswegs eine neue Erkenntnis ist.

Für den großen Entwurf halten die Autoren schließlich die M-Theorie, eine Art Sammelbecken aller gängiger Modelle, die Teile der Natur beschreiben. Wofür das M steht, sei unklar. Vielleicht Meister, Mirakel oder Mysterium – oder auch alles drei gleichzeitig, meinen Hawking und Mlodinow. Nach dieser Theorie gibt es nicht nur ein Universum, sondern unfassbar viele: Die Zahl ist eine eins mit etwa 500 Nullen. Alle diese Universen hätten unterschiedliche Naturgesetze, aber nur in ganz wenigen sei Leben wie das unsere möglich.

Die beiden Physiker berauschen sich so sehr an dieser Idee, dass sie die Menschheit allen Ernstes kurz vor dem Durchbruch sehen, Aufbau und Entwicklung des Universums endgültig zu verstehen. Allerdings zeigen Hawking und Mlodinow auch, dass sich die Forscher in den zurückliegenden Jahrtausenden fast immer nah an der ewigen Wahrheit wähnten – und stets falsch lagen. Sie wollten, so betonen die Autoren, die letzten großen Fragen der Menschheit klären. Doch ihre Antworten sind sicher nicht die letzten.

Besprochen von Dirk Lorenzen

Stephen Hawking und Leonard Mlodinow: Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums
Deutsch von Hainer Kober
Rowohlt, Reinbek 2010
192 Seiten, 24,95 Euro
Der Physiker Stephen Hawking kann sich nur mit Hilfe eines Sprachcomputers verständigen.
Der Physiker Stephen Hawking kann sich nur mit Hilfe eines Sprachcomputers verständigen.© AP Archiv