"Die weiße Schlange" im ZDF

Paukenwirbel für ein unbekanntes Grimm-Märchen

Das Denkmal der Brüder Wilhelm (l) und Jacob Grimm am Mittwoch (28.05.2008) auf dem Brüder-Grimm-Platz in Kassel. 1814 bezogen die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm eine Wohnung im heute noch erhaltenen nördlichen Torhaus an der Wilhelmshöher Allee. Die Wohnung der Märchensammler und Sprachforscher wird zum Museum umgebaut. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm lebten und arbeiteten mit Unterbrechungen von 1798 bis 1841 in Kassel.
Das Denkmal der Brüder Wilhelm und Jacob Grimm in Kassel: Ihr Mächen "Die weiße Schlange" war lange vergessen. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Philipp Quiring · 23.12.2015
"Frau Holle" und "Rotkäppchen" sind Klassiger der Gebrüder Grimm, die im Weihnachts-TV bisher selten fehlten. Am Heilig Abend strahlt das ZDF zum ersten Mal ein weniger bekanntes Grimm-Märchen aus: "Die weiße Schlange". Der Komponist Stefan Maria Schneider hat dafür die Musik komponiert.
Tänzerische Lauten- und elegische Streicherklänge: Wenn Stefan Maria Schneider Märchen vertont, reizen ihn die ganz großen Gefühle. Bereits als kleiner Junge, wenn er in der Kirche seinem Vater beim Orgel spielen zuhörte, zog ihn die Musik in seinen Bann. Er fing mit acht Jahren an Choräle zu schreiben und liebte es schlichte, schöne Melodien zu komponieren.

"Es wurde dann immer mehr. Ich habe mir viel Klassische Musik angehört und dann als Teenager habe ich ganz viel atonale Avantgarde-Musik komponiert. Ich habe eine Kurzoper geschrieben und habe gemerkt, als es dann Richtung Abitur ging, dass eigentlich diese super intellektuelle Musik mich nicht erfüllt. Es ist die Filmmusik, wo man sich nicht schämen muss dafür, überhaupt in C-Dur zu schreiben, ja überhaupt mal in einer Tonart zu komponieren noch."

Schneider begann daraufhin zu experimentieren, versuchte sich in verschiedenen Stilen und studierte zunächst in Berlin und parallel in Wien. Nachdem in Babelsberg ein neuer Studiengang "Filmmusik" ins Leben gerufen wurde, fand er dort weitere Möglichkeiten sich auszuprobieren.

"Wir konnten einmal im Monat mit dem Deutschen Filmorchester unsere eigenen Kompositionen aufnehmen. Was ein absoluter Luxus ist und da habe ich ganz viel gelernt. Wir haben auch mal 20, 30 Stunden im Studio gehangen, Nächte durchgearbeitet, an irgendwelchen kleinen Studentenprojekten. Aber da habe ich wirklich sehr viel gelernt. Und die ersten bezahlten Jobs haben dann wirklich eine Zeit gebraucht, bis es so weit war."
Alltagsgeschäft sind Kinder-Serien
Zwei bis drei Jahre musste Schneider nach dem Studium warten, ehe er als Einspringer seine große Chance bekam. In den sechs Jahren, komponierte er hin und wieder für Kinofilme, wie für den ersten deutschen per Crowdfunding finanzierten Film "Hotel Desire" die opulente klassische Musik für ein 120-köpfiges Orchester plus Big Band. Zu seinem täglich Brot gehört die Vertonung von Kinder-Serien wie "Ritter Rost" oder "Der kleine Drache Kokosnuss" und seit dem ersten Anruf eines Regisseurs vor drei Jahren auch ein Märchen pro Jahr – wie etwa "Die Schöne und das Biest".

"Es war ein besonderes Projekt, weil während des Drehs schon Musik gebraucht wurde. Es gibt diesen großen Liebestanz von der Schönen und dem Biest und deshalb kam er ganz früh mit dem Drehbuch dann zu mir und wollte mal Musik haben für den Tanz, die er da zum Drehen benutzen könnte. Und ich habe ihm dann einen Walzer komponiert und ich war 28 - denke ich. Es war auch mein erster langer Filme, den ich gemacht habe für das Fernsehen."

Im Folgejahr vertonte er dann einen Remix des bekannten DEFA-Klassikers "Das Kalte Herz". Anders als "Die Schöne und das Biest" mit Liebe und Romantik, ging es diesmal um das Thema Tod. Schneider verfolgte für den Film entsprechend eine viel düstere Tonsprache und befand sich in einem permanenten Austausch mit dem Regisseur und den Redakteuren über die Dramaturgie und die Funktion der Musik.

Die Musik hat quasi eine Ouvertüren-Funktion, d.h. für jeden Protagonisten, der erwähnt wird und der im Film auch gezeigt wird, taucht hier ein Leitmotiv auf.

"Wenn ich einen Tatort komponiere - das würde ich sicherlich auch machen - da muss man mit Melodien ganz vorsichtig sein. Das ist eher ein bisschen verpönt, weil Melodien natürlich viel Raum einnehmen und schnell mit den Schauspielern dann in Konkurrenz treten. Aber bei eben diesem Family-Entertainment, da darf man auch mal kitschig werden. Da darf die Musik sich auch mal lustig machen über die Schauspieler. Ich kann alles was Musik meiner Meinung nach ausmacht auch benutzen und verwenden."
Mit dem Soundtrack erfüllte er sich einen Traum
Für dieses Jahr hat Schneider ein weniger bekanntes Märchen vertont: "Die weiße Schlange". Zu den Erzählungen der Brüder Grimm gab es ursprünglich nur ein Fragment, das dann später vollendet wurde. Es wird die Geschichte über den Aufstieg eines Jungen vom Bauern zum Kammerdiener des Königs erzählt, der mehr und mehr hinter die düsteren Geheimnisse des Herrschers blickt, ehe die Geschichte zu eskalieren droht – nicht ganz ohne die großen Gefühle.

"Der Kammerdiener Endres verliebt sich in die Prinzessin. Und an einem Punkt im Film ist unser Hauptdarsteller im Zauberwald und in letzter Minute kommt die Prinzessin und stoppt Endres, bevor er eine verhängnisvolle Tür öffnen möchte und in dem Moment treffen sich ihre Blicke und die Prinzessin schreit: "Nicht, Nicht!" Und dann rennen die Beiden aufeinander zu und umarmen sich und da klingen die Geigen, die Sologeige kommt, unser Thema setzt ein und ohne die Musik wäre diese Szene nur halb so romantisch."

Liebe auf den ersten Blick, ein Hoffest auf dem Königshof mit mittelalterlichen Instrumenten: In "Die weiße Schlange" bildet die Musik eine Scharnierfunktion. On-Musik, die das atmosphärische der Handlung aufgreift, verläuft parallel oder changierend zur Off-Musik, mit der die Gefühlswelten der Hauptdarsteller ausgedrückt werden. Ein Soundtrack, der den Komponisten Stefan Maria Schneider vor Herausforderungen gestellt hat, ihm gleichzeitig die Möglichkeit einräumte, sich einen musikalischen Traum zu erfüllen.

"Und zwar habe ich als Teenager unfassbar für Opern geschwärmt und auch für Sinfonien, sinfonische Musik und fand immer diese Enden so toll, diese bombastischen Enden, von Beethoven bis Brahms bis Wagner. Und bei der weißen Schlange war es tatsächlich so, dann fliegt ein majestätischer Adler aus dieser Burg heraus in Richtung Himmel und es wird dann "ENDE" eingeblendet. So wie man das von den alten Filmen kennt und dann dachte ich, wo wenn nicht jetzt, darf ich mal ein klassisches Opernende verwenden mit dickem Paukenwirbel und noch mal so ein paar Tonika-Schlägen, so ein richtig fettes Puccini-Ende habe ich einfach mal rausgehauen."

Mehr zum Thema