Die Wege sind weit!

Von Anke Petermann |
Ein konstruktives Volk, die Hessen! SPD und CDU sondieren, CDU und Grüne, SPD mit Grün und Links - und alle stellen fest: Es waren konstruktive Gespräche. Schön!
Da eine gemeinsame Koalition dieser vier Parteien aber wohl nicht denkbar ist, schauen wir uns die Sondierungsrunden noch einmal genauer an. Nicht zuletzt, weil Rot-Grün-Rot möglich ist. Manch einer verweist da sorgenvoll auf die Geschichte mit Andrea Ypsilanti. Ihr Wortbruch und ihr Scheitern: ein sozialdemokratisches Trauma. Andere sehen im Linksbündnis eine mögliche Zukunft für die SPD auch über Hessen hinaus. Fest steht: die Wege sind weit, sehr weit.

Hessen – das Land tiefster politischer Gräben.

Volker Bouffier: "Wir hatten ein gutes Gespräch in einer konstruktiven Atmosphäre."

Das Land schärfster politischer Polarisierung.

Thorsten Schäfer-Gümbel: "Die Gespräche verliefen in konstruktiver Atmosphäre."

In Hessen heißen die jeweiligen politischen Gegner nicht schlicht CDU, Grüne oder Linke. Sondern "Stahlhelmtruppe", "Ökofaschisten" und "rote Socken".

Janine Wissler: "Es war ein gutes und konstruktives Gespräch."

Im Hessen-Labor wurde immer schon experimentiert. Aber manche hätten das am liebsten nicht mit der Polit-Pipette gemacht, sondern mit der Dachlatte vom Bau.

Schäfer-Gümbel: "Die Gesprächsatmosphäre war engagiert-konstruktiv."

Was ist los in diesem Land, wenn politische Gegner plötzlich aufhören, sich anzuschreien? Wenn sie stattdessen immerfort mit zarter, zuweilen Zigarillo-angerauter Stimme zueinander sprechen?

Bouffier: "Wir hatten ein gutes Gespräch in einer konstruktiven Atmosphäre."

Schäfer-Gümbel: "Die Gespräche verliefen in konstruktiver Atmosphäre."

Wissler: "Es war ein gutes und konstruktives Gespräch."

Schäfer-Gümbel: "Die Gesprächsatmosphäre war engagiert-konstruktiv."

Hessen - ein Land des Lächelns
Hessen im Sondierungsfieber - ein Land des Lächelns. Es geht schließlich um wirtschaftliche Stabilität, um soziale Gerechtigkeit und - ganz nebenbei - um Posten, Prestige und Dienstwagen. Politiker, die sich jahrzehntelang auf verschiedenen Seiten der Barrikade gegenüberstanden, sitzen nun stundenlang miteinander am Tisch, und zwar mehrmals in der Woche in verschiedenen Konstellationen. Was sie dort reden, soll geheim bleiben. Damit aber alle Welt erfährt, dass sie zu staatstragender Verantwortlichkeit gefunden haben, bestellen sie immer ganz viele Reporter ein. Die dürfen bei Begrüßung und Abschied dabei sein und zwischendurch stundenlang vor der Tür lungern.

Bouffier: "Das heißt, wir laden ein."

Daraus entstehen Nachrichten von bundespolitischer Sprengkraft. Zum Beispiel, dass sich Volker Bouffier bei der ersten Sondierungsrunde mit den Sozialdemokraten schon eine Viertelstunde nach Beginn damit abfand, dass die CDU als stärkste Kraft in Hessen den Käsekuchen für die ganze Sozen-Truppe zahlt. Thorsten Schäfer-Gümbel schien das geahnt zu haben und lief gleich mit sechs Gefolgsleuten auf.

Schäfer-Gümbel: "War ihre Einladung."

"Käsekuchen geht auf Bouffier" war allerdings die einzige Einigung, die dieses historische, weil erste hessische Sondierungstreffen von CDU und SPD seit 63 Jahren brachte. Historisch war das Treffen am Giessener Heimatort der beiden Protagonisten Bouffier und Schäfer-Gümbel auch deshalb, weil es der hessischen Sondierungs-Oper das Leitmotiv bescherte, nämlich:

Bouffier: "Es ist klar, die Wege sind weit."

Schäfer-Gümbel: "Deswegen sind die Wege besonders weit."

Die Hessen haben heute darüber abgestimmt, wer künftig im Landtag regiert
Die Hessen haben heute darüber abgestimmt, wer künftig im Landtag regiert© picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
"Die Wege sind weit"
Ideologische Grabenkämpfe hin oder her, das Motiv gefiel allen. Und so besingen sie seither gemeinsam und unentwegt, wie schwer es ist, aus dem Graben zu kraxeln.

Bouffier: "Es ist klar, die Wege sind weit."

Al-Wazir: "Also, die Wege sind weit, das ist so."

Schäfer-Gümbel: "Deswegen sind die Wege besonders weit."

Bouffier: "Wir sind auf dem Weg."

Schäfer-Gümbel: "Mit Blick auf die Union und die Linkspartei - die Wege sind weit."

Idee: Kai Klose von den Grünen. Text und Gesang: Xavier Naidoo. Die Reporter interessiert brennend, wer sich im Lauf der Sondierung wem nähert oder gar zu nahe tritt. Wenn die Linke mal auftrumpft, sie weiche kein Jota von ihrem Wahlprogramm ab, kommt gleich der grüne Kasper Al-Wazir aus der Kiste und schimpft, pfui, sie schmeiße ja Steine auf den ohnehin steinigen rot-grün-roten Weg.

Und wenn die CDU mit der SPD schon bei der zweiten Sondierung geschlagene sechs Stunden hinter verschlossenen Türen bleibt, fragen sich die Journalisten, ob Bouffier und Schäfer-Gümbel eine heimliche Abkürzung gefunden haben. Zumal der CDU-Mann sie mit einer nie zuvor gehörten Variation verstört:

"Wir sind auf dem Weg."

Bewegt sich also was? Die Protagonisten halten dicht. Die Reporter beschließen, die Buffets in den Verhandlungsräumen sprechen zu lassen. Schäfer-Gümbel stellt beim Treffen mit der Grünen-Delegation statt sozialdemokratischer Schlachtplatte eine fette Obstschale in sein Büro.

"Wir wollten den Weg der Grünen kulturell ebnen, ja."

Zwischen Roten und Grünen ist aber gar nichts zu ebnen. Bloß: zu zweit reicht’s zum Regieren nicht. Also laden die beiden die Linkspartei ein, zu staubigen Keksen. Vorgeschmack auf die Haushaltslage.

"Jeder bedient sich selbst"
Und, ganz klar: an Rot-Grün-Rot könnten sich die Sozialdemokraten wie 2008 verschlucken. Volker Bouffier lockt die Grünen indes mit Käsebrötchen, ziert sich aber beim Service. Und kommt dem Al-Wazir dann mit Ausflüchten:

Bouffier: "Wenn ich Ihnen jetzt ‘n Kaffee einschenke, dann heißt’s, der schenkt dem einen ein. Und umgekehrt auch."

Al-Wazir: "Jeder bedient sich selbst."

Nach zwei hessischen Sondierungsrunden wissen die Journalisten immer noch nicht, "wer mit wem" in Hessen. Die Frontmänner von Grünen und SPD trösten die Reporter darüber hinweg, indem sie ihnen ersatzweise andere tiefe Einsichten gewähren.

Al-Wazir: "Ich stelle fest, dass bei beiden Volksparteien kein Zwang zur Schlachtplatte mehr besteht, insofern haben wir durchaus die Gesellschaft verändert."

Schäfer-Gümbel: "Wobei ich nix gegen Schnitzelbrötchen hab‘."

Drei Wochen nach Sondierungsbeginn erschöpft sich die Aussagekraft der Buffets. Zeit, sich anderen Indizien zuzuwenden. Auffällig ist die notorisch gute Laune von Volker Bouffier. Immer strahlender kommt er aus immer neuen schwarz-roten und schwarz-grünen Sondierungen. Immer konstruktiver geht es dort zu. Ganz nach Bouffiers Geschmack.

Denn ein rot-grün-rotes Bündnis will der amtierende Ministerpräsident verhindern. Angeblich, weil er so schlimm fände, wenn in Wiesbaden die Linke an die Macht käme. Oder sollte Parteichefin Merkel ihn als Stellvertreter gebeten haben, mal was langfristig Taugliches für sie auszutesten?

Das fragen sich hinter den Kulissen ihres Parteitags im Bürgerhaus Mörfelden bei Rüsselsheim auch die Linken und ihre Gäste von SPD und Grünen. Viele erinnern sich an Bouffier, den einstigen Innenminister von Roland Koch, als schwarzen Sheriff mit blondiertem Haar.

Wenn Bouffier "merkelt"
Als hessischer Ministerpräsident erfand er sich neu, gab den milden Landesvater in Silbergrau. Derzeit, beim Sondieren mit SPD und Grünen, "merkelt" der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Er "räumt die Themen der anderen ab", erklärt ein Parteitags-Gast von den Grünen. Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Frank Herrmann sieht das ähnlich.

Hermann: "Ich glaube, Volker Bouffier macht fast allen großzügige Angebote, weil er sicherlich gerne die Macht erhalten möchte."

Reporterin: "Tariftreue-Gesetz wäre wohl mit der CDU zu machen, hat er wohl angedeutet."

Hermann: "Volker Bouffier erkennt, glaube ich, dass es nicht klug ist, dass Hessen eines der letzten Bundesländer ohne funktionierendes Tariftreue- und Vergabe-Gesetz ist. Sein Gesetz aus der laufenden Legislaturperiode funktioniert nicht. Dass er das jetzt korrigiert, ist - glaube ich - ein erster kleiner Schritt der Selbsteinsicht."

Einsicht? Karlheinz Hofmann bezweifelt das. Der ergraute Linken-Delegierte aus der Wetterau war von 1985 bis 2005 bei den Grünen. Da erlebte er mit, wie eisenhart, manche sagen "hasserfüllt", die konservative Koch-Bouffier-CDU in den Neunzigerjahren Front gegen die rot-grüne Landesregierung in Hessen machte. Allein aus machtpolitischen Gründen sei der CDU-Frontmann bereit,

"der SPD oder auch den Grünen größtmögliche Zugeständnisse zu machen, dass die ihn wieder zum Ministerpräsidenten machen."

Das wolle der 61-jährige Bouffier unbedingt – als Mann in dem Alter, lästert Hofmann grinsend.

"In dem Alter muss er jetzt an der Macht bleiben, der kommt ja nie wieder dran, das ist klar, das kann ich nachvollziehen - Lachen und Applaus der Tischnachbarinnen."

Hofmanns Nachbarinnen am Delegierten-Tisch im Bürgerhaus kriegen sich kaum ein. Treffender sei die Lage von Wahlgewinner und Mehrheitsverlierer Bouffier nicht auf den Punkt bringen, finden sie. Dabei könnten die Linken und ihr klar formulierter Wille, in Hessen mit Rot-Grün zu regieren, ein weiterer Grund dafür sein, warum der amtierende Ministerpräsident neuerdings so aufgeschlossen für die Herzensangelegenheiten von SPD und Grünen ist.

Manche SPD-Linke wollen Rot-Rot-Grün
Auf ihrem Parteitag empfehlen hessische Linke ihren Genossen von der SPD nämlich dringend, doch lieber ein rot-grün-rotes Bündnis einzugehen. Birgit Koch und Karlheinz Hofmann, die eben noch so herzlich lachten, meinen es Ernst mit ihrem Appell an die Sozialdemokraten hinter Thorsten Schäfer-Gümbel:

Birgit Koch: "Sie sollten es mal versuchen, dann würde es etwas besser werden im Land."

Hofmann: "Und ich würde mich da auch über den Gabriel hinwegsetzen. Ich würd’ dann sagen, hör mal, wir probieren das jetzt mal im Land Hessen, und du guckst mal, ob du das für den Bund gebrauchen kannst. So viel Selbstbewusstsein würde ich mir wünschen von der SPD und von Herrn Schäfer-Gümbel. Um auch ‘ne Option für den Bund zu bekommen."

Rot-grün-rote Experimente mit bundespolitischer Sprengkraft im hessischen Politlabor? Nicht im Sinne von Gabriels Widersacherin und Bouffiers Chefin Angela Merkel. Schwarz-grüne Versuche dagegen schon - als hessische Vorlage, um diese Option im Bund irgendwann doch noch hinzukriegen.
Bevor sich Super-Sondierungs-Bouffier in Hessen mit den Grünen trifft, scheint er deshalb stets einen Schluck Zaubertrank zu nehmen. ‘Wiesbadener Modell für Linksbündnis verhindern’ heißt ein Wirkstoff darin. ‘Auf zu neuen Ufern für die Bundespolitik’ ein anderer.

Wie sonst ist es zu erklären, dass der CDU-Frontmann beim Termin mit dem scharfzüngigen Grünen-Chef so kuschelig wird? Obwohl Tarek Al-Wazir Bouffier den "guten Onkel" im Wahlkampf nicht abkaufen wollte, treten die beiden immer gemeinsam vor die Kameras. Nach Gesprächen mit Thorsten Schäfer-Gümbel gibt’s dagegen getrennte Statements. Wie ist das zu erklären?

Bouffier: "Jetzt sag‘ du was."

Sondierungen in Berlin und Wiesbaden
"Sag du was", murmelt Bouffier, aber bevor Al-Wazir ansetzen kann, geht ein Reporter dazwischen: ein vertrauliches "du", hat er da richtig gehört?

Reporter: "Sie duzen sich schon?"

Bouffier: "Nein. Da dürfen Sie nichts hineingeheimnissen, das ist, weil ich schon so viele Gespräche am Tag habe."

Schließlich jettet der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ständig zwischen den Sondierungen in Wiesbaden und Berlin hin und her, da kann man schon mal vergessen, wer Freund und wer Gegenspieler ist. Anfang vergangener Woche steht Bouffier nach drei Stunden Sondierung schon wieder gut gelaunt Schulter an Schulter mit seinem früheren Widersacher Al-Wazir vor den Kameras.

Mit Lob für die hessischen Grünen auf den Lippen. In der Nacht danach wird Bouffier in Berlin miterleben, wie deren wehrige Parteifreunde im Bund den schwarz-grünen Wunschtraum platzen lassen.

Bouffier: "Die Landes-Grünen sind sehr viel dichter in den Themen und bereit sozusagen, sich nicht nur mit emotionalen Fragen aufzuhalten, nach dem Motto, geht das überhaupt, sind wir hinreichend sortiert für solche von manchen als historisch empfundene Bündnisse? Die Fragen haben wir hier alle nicht."

Ende der Woche treffen sich die Grünen aber noch mal mit SPD und Linkspartei: zur zweiten Sondierung für eine rot-grün-rote Regierung,
Al-Wazir: "An der Herr Bouffier kein Interesse hat."

Bouffier: "Ich halte das für schlimm."

Al-Wazir: "So, da sind wir uns wieder einig in unserer Uneinigkeit."

Nur: wollen SPD und Grüne überhaupt mit der Linken? Eigentlich nicht, so hat man zumindest bei Thorsten Schäfer-Gümbel den Eindruck. Politisch unmöglich, mit der "nicht regierungsfähigen" Truppe anzubandeln, hatte er im Wahlkampf gemäkelt, sich aber stets ein Hintertürchen offen gehalten. Jetzt wird der SPD-Spitzenkandidat von der CDU umworben.

Mit der wundervollen Aussicht, seine erstarkte SPD als Juniorpartner in einer Großen Koalition von Bouffier unterbuttern zu lassen. TSG, wie seine Anhänger ihn nennen, wäre dann stellvertretender Ministerpräsident. Will er selbst Regierungschef werden, müsste er die Liberalen zu einer Ampel mit den Grünen überreden. Die FDP aber will nicht sondieren, sondern ihre mangelnde Überzeugungskraft mit Opposition büßen. Also doch das Angebot der Linken annehmen? Auf jeden Fall, empfehlen einige Genossinnen schon am Wahlabend:

"Also Wir haben eindeutig eine linke Mehrheit in Hessen, eine Mehrheit links von der CDU/FDP, und die muss jetzt gestaltet werden, und das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein. Große Koalition in Hessen halte ich für ausgeschlossen. Ich hoffe eigentlich bei den Verhältnissen, dass es 'ne vernünftige linke Koalition gibt zwischen Rot, Rot und Grün."

Das war am 22. September. Da schien es noch, als würde die FDP rausfliegen und einem Linksbündnis eine komfortable Mehrheit eröffnen. Am 23. nachts um drei war die FDP dann doch im Landtag. Ab dem Tag hieß es für die SPD-Fraktion ‘Maul halten’, keine Präferenzen äußern bis zum Ende der Sondierung. Ausgerechnet Andrea Ypsilanti schien das nicht mitbekommen zu haben. Einen Tag später sagte sie dem Neuen Deutschland, dem Tagesspiegel und dem Deutschlandradio auf Nachfrage ganz offen ihre Meinung.

"Also, 2008 war dieses Thema, mit den Linken gemeinsam was zu machen, ein absolutes Tabu. Wenn man heute in die Partei reinhört, ist das ganz anders. Es gab ja schon Gremiensitzungen, und da ist das Bedürfnis, in eine Große Koalition einzutreten, nahe Null.

Tarek Al-Wazir (links) und Volker Bouffier
Tarek Al-Wazir (links) und Volker Bouffier© dpa / picture alliance / Frederik von Erichsen
SPD leidet noch immer unter Ypsilantis Wortbruch
Aber die Offenheit für ein Reformbündnis ist recht groß. Das heißt nicht, wir machen das morgen, das würde ich überhaupt niemandem empfehlen. Das muss vorbereitet sein, das muss tragfähig sein, aber es hat sich in den fünf Jahren in der Basis, und ich glaube auch in der Wählerinnenschaft was bewegt."

Die hauchdünne Zwei-Stimmen-Mehrheit von Rot-Grün-Rot zu nutzen, um sich zum hessischen Regierungschef wählen zu lassen – riskant für Thorsten Schäfer-Gümbel und die Hessen-SPD. Die Partei leidet immer noch unter dem Trauma von Wortbruch und Scheitern. Aber abwarten, was Volker Bouffier zu bieten hat? Schul- und Sozialreformen der "GroKo" opfern? Der SPD wird das schaden, meint Karl-Heinz Hofmann auf dem Mörfelder Linken-Parteitag. Mit Schmerzgrenzen kennt sich der Ex-Grüne aus:

"Es gibt ja in der SPD nach wie vor viele, die sich als Linke fühlen, und ob die natürlich bei so’ner Partei langfristig mitmachen, wenn das immer so drauf rausläuft, dass bei solchen Ergebnissen gleich wieder nur die Möglichkeit CDU gezogen wird, also wie im Bund, oder wie es ja in Hessen jetzt auch passieren kann, dann denk ich mir, dann haben die auch ein Problem."

Nur - auf ein mögliches Zusammen gehen mit der Linkspartei hat SPD-Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel weder seine Genossen noch die Wähler vorbereitet. Und vielleicht hat er seine Partei genau damit in die großkoalitionäre Sackgasse manövriert.

Dass die SPD die Linkspartei in den vergangenen fünf Jahren ignoriert hat und vielleicht weiter ignoriert, anstatt deren Potential als Bündnispartnerin für gemeinsame Inhalte auszuloten, das findet Andrea Ypsilanti falsch – auf hessischer und auf Bundesebene:

"Einfach die Augen zuzumachen und zu glauben, die verschwinden, ist einfach keine politische Strategie und keine politische Alternative. Sie sind da, sie haben einen inhaltlichen Anspruch, und damit muss sich ‘ne Sozialdemokratie - und übrigens auch die Grünen - auseinandersetzen. Und das hätte man schon ein paar Jahre lang tun können. Und da sage ich, ist was verpasst worden, die SPD als Gesamtpartei hätte einfach viel klarer ihr Verhältnis zur Linken klären müssen."

Diese Wahrheiten darf man derzeit aber in der SPD-Fraktion nicht aussprechen. Schon gar nicht, wenn man Andrea Ypsilanti heißt und die Genossen erst zum Erfolg und dann in den Abgrund geführt hat. Nach den drei Interviews verstummte die frühere Parteichefin abrupt. Abgekanzelt von ihrem Nachfolger, wird kolportiert. Dennoch hat die Linkspartei die Hoffnung auf Rot-grün-rot noch nicht aufgegeben, Spitzenkandidatin Janine Wissler tarnt das allerdings mit Süffisanz.

"Also ich bin gespannt: Wenn Herr Schäfer-Gümbel gute Bildung durchsetzen will, G-8 abschaffen will, Tariftreuegesetz einführen will, mehr bezahlbaren Wohnraum – da bin ich gespannt, wie er das mit der CDU umsetzen will. Und wenn er der Meinung ist, die CDU ist inhaltlich näher an ihm dran als wir, dann hat er im Wahlkampf aber Versprechen gemacht, die er jetzt nicht einlösen will. Ja, ein Kabarettist hat ja mal gesagt, die SPD will deshalb nicht mit der Linken zusammenarbeiten, weil sie Angst hat, dann ihr eigenes Programm umsetzen zu müssen."

Sollte diese Bürde zu schwer sein, hält die CDU den Sozis gern die Tür auf. Und öffnet ihren Spitzenleuten beim dritten Sondierungsgespräch am Monatsende vielleicht sogar den Blick in die Schattenhaushalte der schwarz-gelben Regierung.

Am Tag zuvor steht auch die dritte Sondierungsrunde Schwarz-Grün in Hessen an, mit neuen Chancen für Kuschelharmonie zwischen den Frontmänner Bouffier und Al-Wazir. Aber auch mit Finanzen und Infrastruktur als Themen von großem Konfliktpotential. Vielleicht hofft in Berlin zeitgleich eine Frau im Hosenanzug, dass ihr Volker einen tiefen Schluck aus der Zauberpulle nimmt - und zu neuen Ufern aufbricht.
Andrea Ypsilanti, SPD-Vorsitzende des Landes Hessen, spricht nach den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen nahe Wiesbaden zu Vertretern der Medien.
Andrea Ypsilanti führte die SPD erst zum Erfolg und beging dann Wortbruch.© AP