Die Waldretter von Tharandt in Sachsen

Im ältesten forstbotanischen Garten entsteht der Wald der Zukunft

06:23 Minuten
Blick über das Nordamerika-Quartier im forstbotanische Garten Tharandt
Bäume aller Kontinente sind im forstbotanischen Garten Tharandt zu finden. Hier: das Nordamerika-Quartier. © imago images / Sylvio Dittrich
Von Sven Kochale · 12.11.2020
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1811 legte der Waldvisionär Johann Heinrich Cotta in Tharandt einen forstbotanischen Garten an – die Geburtsstunde der modernen Forstwissenschaft. Auch heute werden hier noch Bäume erforscht. Zurzeit vor allem mit Blick auf den Klimawandel.
Der Forstbotanische Garten in Tharandt überrascht mit knackigen Anstiegen. Ulrich Pietzarka arbeitet sich in Jeans und Wanderschuhen immer weiter nach oben, bis zu seinem Lieblingsplatz, dem Zeisigstein.
"Es ist ein offener Felsvorsprung, der aus dem Hang herausragt und wo man einen schönen Überblick gewinnt, und wo zugleich ein sehr spannender Pflanzenstandort entsteht, der sehr extrem ist."

Der Zeisigstein gehört zu einem einzigartigen Areal, das der Waldvisionär Johann Heinrich Cotta 1811 anlegen ließ. Es war die Geburtsstunde der modernen Forstwissenschaft. Seitdem werden in Tharandt systematisch Bäume erforscht.

"Wir kultivieren ja im Forstgarten über 3000 verschiedene Gehölze. Die allermeisten davon sind nicht in Mitteleuropa heimisch. Hier in diesem Bereich lassen wir mal der heimischen Waldnatur den Vorrang, und beobachten aber auch gleichzeitig, ob es nicht-heimische Arten gibt, die damit konkurrieren können. Das könnte ja auch noch ein gewisses Risiko bergen. Dass wir sogenannte invasive Pflanzen einschleppen und nicht mehr unter Kontrolle bringen."

Die Fichte ist nicht mehr die Lösung für Jahrzehnte

Denn Waldbau ist eine komplexe Aufgabe. Zum Ökosystem gehören zum Beispiel auch Gräser und Sträucher. Sie alle kämpfen um Platz, Wasser, Nährstoffe und Licht. Und ändern sich die klimatischen Bedingungen, kommen auch Wurzelsysteme, die eben noch gut funktioniert haben, an ihre Grenzen. Sven Wagner arbeitet deshalb an neuen Konzepten für den deutschen Wald. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Waldbau, der ältesten Forstwissenschaftsprofessur der Welt.
"Es kann nicht mehr – so wie früher – die Fichte als eine Lösung für Jahrzehnte bis Jahrhunderte in der Forstwirtschaft dastehen. Wir werden uns auf sehr viel breiteres Baumarten-Angebot einstellen müssen. Weil die Waldökosysteme als vielfältige Systeme widerstandsfähiger sind als Systeme, die aus ein, zwei oder meinetwegen auch drei Baumarten bestehen."
Farbenpracht im Herbst, im forstbotanischen Garten Tharandt (Sachsen)
Farbenpracht im Herbst: Auch Besucher können den forstbotanischen Garten erkunden.© imago images / Norbert Millauer
Von seinem Büro aus hat er einen beeindruckenden Blick auf den Forstbotanischen Garten, der sich gerade in den leuchtenden Farben des Herbstes präsentiert. Hier steht die nordamerikanische Douglasie neben der chinesischen Scheinkamelié. Exotische Bäume, denn der Wald wandelt sich.

Mehr Vielfalt ist notwendig

Die schnell wachsende Fichte zum Beispiel wurde früher großflächig gepflanzt, um vor allem den Bergwerken und den Glashütten das notwendige Holz zu liefern. Wirtschaftliche Interessen standen im Vordergrund. Inzwischen muss der Wald aber weit mehr können. Er soll Erholungsgebiet sein, Lebensraum für Tiere und ganz nebenbei für gutes Klima sorgen. In Tharandt setzen sie deshalb auf mehr Vielfalt, erklärt Professor Michael Müller, Lehrstuhlinhaber für Waldschutz.

"In der Zukunft wird man sicher auch Baumartenmischung stärker bevorzugen. Das machen wir schon seit 30, 40 Jahren als Waldumbau. Das braucht aber Zeit. Wir können auch durch vertikale Strukturierungen den Wald kühlen. Die Bäume geben Wasser ab. Dadurch entsteht Transpirationskälte. Das kühlt das Waldinnenklima. Dadurch sind Mischbestände, die vielleicht mehrschichtig sind, auch kühler als zum Beispiel Reihenbestände, die das nicht so leisten können. Dann muss man eben einen Baumartenwandel vornehmen."

Gerade die vergangenen Jahre haben die Forstwissenschaftler aus Sachsen nachdenklich werden lassen. Die heimischen Arten – wie die sehr verbreitete Fichte – kommen mit den veränderten Klimabedingungen nicht mehr zurecht. Lange Trockenperioden, heftige Stürme oder gefräßige Schädlinge setzen den Bäumen zu. Ganze Wälder werden krank und sterben. Aber nicht alle Veränderungen liegen am Klimawandel, sondern auch etwa am Eichen-Prozessionsspinner, der sich in Deutschland rasant ausbreitet.

"Wir werden in Zukunft mit rinden- und holzbrütenden Insekten wie auch mit blattfressenden Insekten an Laubbäumen viel mehr zu tun haben. Wir wandeln das gerade. Und da müssen wir uns natürlich auch mitwandeln im Waldschutz. Und wir müssen vor allem vorausdenken und vorbeugend handeln, damit wir nicht das Gleiche erleben wie mit den Nadelbäumen."
Michael Müller, Lehrstuhlinhaber für Waldschutz.
Im Wald der Zukunft müssen unterschiedlichste Baumarten sich ergänzen, meint Michael Müller, Lehrstuhlinhaber für Waldschutz. © Deutschlandradio / Sven Kochale

Der Wald lässt sich nicht so schnell unterkriegen

Rund um Tharandt lässt sich immerhin bereits beobachten, wie der Wald der Zukunft aussehen könnte. Unter den geplagten Fichten wachsen jetzt Buchen. Auch Eichen könnten die Wälder stabiler machen, oder Douglasien. Doch vieles hat dabei experimentellen Charakter, schränkt Sven Wagner ein.

"Nicht, dass wir nicht wüssten, dass sich das Klima ändert. Und wir kennen auch die grundsätzliche Richtung. Es wird wärmer. Und es wird meinetwegen auch im Sommer trockener. Das ist schon klar. Aber das würde niemals ausreichen, um wirklich Baumarten-Empfehlungen zu geben. Wenn wir wirklich auf den Punkt sagen könnten, in 50 Jahren ist es 1,7 Grad wärmer, so und so viel weniger Niederschlag und so weiter, dann würden wir sagen oder wir könnten sagen: Statt der Fichte nehmen wir jetzt eine andere Baumart und es ist – Doppelpunkt – dieser. Aber das können wir genau eben nicht. "
Doch eines wissen die Baumversteher von Tharandt ganz sicher: Der Wald lässt sich so schnell nicht unterkriegen. Er wird sich nur verändern, ist Ulrich Pietzarka überzeugt.

"Wir werden uns auch daran gewöhnen, dass da doch recht zügig wieder was Junges aufwächst, was dann vielleicht etwas anders aussieht. Und ich denke, dass kann man jetzt auch schon auf vielen Flächen unserer Umgebung sehen, dass da sehr viel passiert. Die Natur ist gerade im Wald immer noch sehr robust und passt sich gut an."
So, wie er es schon immer getan hat. Und Cottas Erben werden ihn dabei begleiten.
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