Die Wahrheit ist schwer zu ertragen
Jüngst erschien die "New York Times" mit der Überschrift: "Der Irakkrieg ist zu ende". Die Zeitung berichtete, dass George W. Bush von einem amerikanischen Gericht wegen Hochverrats angeklagt wird, dass die großen Ölfirmen ExxonMobil und ChevronTexaco unter staatliche Aufsicht gestellt werden und dass die Harvard Business School schließt, weil niemand mehr Lehrveranstaltungen im Fach Freie Marktwirtschaft belegen will.
Diese "New York Times" ist ein Plagiat, produziert von der Aktivistengruppe "The Yes-Men". Auf vierzehn Seiten wird hier mit der Politik von George Bush abgerechnet. Eine Abrechnung, die die echte "New York Times" nicht liefert, weil sie, so die Unterstellung der Plagiat-Truppe, in den vergangenen acht Jahren zu regierungsnah gewesen sei.
Sind also die Medien schuld, dass George Bush so lange regiert hat? Dass Kurt Beck als SPD-Vorsitzender gescheitert ist? Wohl kaum. Helmut Kohl ist auch ohne Zustimmung von "Spiegel" und "Stern" wieder und wieder gewählt worden, und Gerhard Schröder ist nicht deshalb abgewählt worden, weil er seine politischen Weggefährten vom "Spiegel" und "Stern" enttäuscht hatte. Dass die Rot-Grün erst hoch und dann runter geschrieben haben, liegt viel mehr daran, dass Journalisten schnell gelangweilt sind, dass sie das Neue lieben und das Alte verachten. Also für Schröder sind und gegen Kohl, für Merkel und gegen Schröder, für Ypsilanti und gegen Koch. Das Phänomen ist längst nicht mehr, dass die Medien eine politische Agenda haben, sondern, dass sie keine mehr haben. Oft lassen sie sich treiben wie die hessische SPD, fasziniert und berauscht, ohne irgendeine Haltung erkennen zu lassen. Nüchternheit und Distanz verdirbt die Party. Je weniger Haltung, desto rauschanfälliger, diese Gleichung gilt in Wiesbaden offenbar nicht weniger als in Washington.
Denn natürlich waren die meisten amerikanischen Medien nicht objektiv, sondern für Barack Obama. Sie haben ihre Leser offiziell aufgefordert, ihn und nicht John McCain zu wählen. Und natürlich wurde die Vize-Kandidatin der Republikaner Sarah Palin genauer unter die Lupe genommen als ihr kaum weniger tölpelhafter Gegner Joe Biden, das räumt die Ombudsfrau der "Washington Post" inzwischen selbst ein. Das Verantwortungslose daran war nicht so sehr die Parteinahme - Obama wäre auch ohne diese Empfehlungen gewählt worden -, sondern die messianische Überhöhung des Kandidaten. Er wird die Welt nicht auf den Kopf stellen können, er wird also die Erwartungen, die auch von den Medien geweckt wurden, nicht erfüllen können. Vermutlich wird die "Washington Post" die Enttäuschung, die nun folgen muss, ähnlich dramatisch überhöhen. Sie haben Obama hoch geschrieben, sie werden ihn auch runter schreiben, warum sie das tun, werden sie dann kaum politisch begründen können.
Sich so berauschen zu lassen, ist weder eine politische noch eine journalistische Tugend, denn Besoffene sind nicht klar im Kopf. Im Rausch verbirgt sich das Totalitäre. In seiner berühmten Verteidigung von Kurt Beck im "Stern" hatte Hans-Ulrich Jörges die Blutrünstigkeit als das Problem der journalistischen Meute ausgemacht. Schlimmer ist die Tatsache, dass die Meute immer in dieselbe Richtung läuft. Der Sog, dasselbe zu sagen und zu schreiben wie die anderen, ist in Zeiten der Haltungslosigkeit besonders kräftig. Die Scham, das Gegenteil von dem zu behaupten, was man bisher behauptet hatte, ist dann besonders gering. Die publizierte Meinung bewegt sich stromlinienförmig, weil niemand mehr weiß, wo das Ufer ist. Da schwimmt man lieber gemeinsam – in die Beliebigkeit hinein.
Aber die Medien sind nicht schuld am Verhalten Andrea Ypsilantis, auch nicht an dem Angela Merkels, die plötzlich die Managergehälter deckeln und die Finanzwelt regulieren will. Als Oskar Lafontaine das gefordert hatte, wurde so etwas als politische Provokation abgetan, heute redet in der CDU jeder so. Die Medien sind nicht daran schuld, dass die Politik haltungslos und hemmungslos geworden ist. "Die Festigkeit des Herzens", die für Max Weber zur Politik als Beruf gehört, ist selten geworden.
"Du willst die Wahrheit wissen? Du verträgst die Wahrheit doch gar nicht," sagt Jack Nicholson am Ende eines Hollywood-Films zu Tom Cruise. Der politische Willensbildungsprozess in Deutschland verträgt die Wahrheit immer schlechter. Die hessische SPD, an deren Spitze erstaunlicherweise noch immer Andrea Ypsilanti steht, will die Wahrheit offenbar nicht wissen, und auch Redakteure des Hessischen Rundfunks nicht, die von den Ypsilanti-Gegnern als "Verräter" sprachen. Die Wahrheit ist schwer zu vertragen, weil sie nur ohne Rausch zu haben ist, aber nicht ohne Haltung.
Moritz Schuller, geboren 1968 in München, in Berlin aufgewachsen, Studium der Altphilologie in Oxford und der Vergleichenden Literaturwissenschaften in Yale, dort Ph.D 1998. Freier Journalist bei der Süddeutschen, der FAZ und der WELT, seit 2002 beim Tagesspiegel, heute als Verantwortlicher Redakteur Meinung/Politische Literatur.
Sind also die Medien schuld, dass George Bush so lange regiert hat? Dass Kurt Beck als SPD-Vorsitzender gescheitert ist? Wohl kaum. Helmut Kohl ist auch ohne Zustimmung von "Spiegel" und "Stern" wieder und wieder gewählt worden, und Gerhard Schröder ist nicht deshalb abgewählt worden, weil er seine politischen Weggefährten vom "Spiegel" und "Stern" enttäuscht hatte. Dass die Rot-Grün erst hoch und dann runter geschrieben haben, liegt viel mehr daran, dass Journalisten schnell gelangweilt sind, dass sie das Neue lieben und das Alte verachten. Also für Schröder sind und gegen Kohl, für Merkel und gegen Schröder, für Ypsilanti und gegen Koch. Das Phänomen ist längst nicht mehr, dass die Medien eine politische Agenda haben, sondern, dass sie keine mehr haben. Oft lassen sie sich treiben wie die hessische SPD, fasziniert und berauscht, ohne irgendeine Haltung erkennen zu lassen. Nüchternheit und Distanz verdirbt die Party. Je weniger Haltung, desto rauschanfälliger, diese Gleichung gilt in Wiesbaden offenbar nicht weniger als in Washington.
Denn natürlich waren die meisten amerikanischen Medien nicht objektiv, sondern für Barack Obama. Sie haben ihre Leser offiziell aufgefordert, ihn und nicht John McCain zu wählen. Und natürlich wurde die Vize-Kandidatin der Republikaner Sarah Palin genauer unter die Lupe genommen als ihr kaum weniger tölpelhafter Gegner Joe Biden, das räumt die Ombudsfrau der "Washington Post" inzwischen selbst ein. Das Verantwortungslose daran war nicht so sehr die Parteinahme - Obama wäre auch ohne diese Empfehlungen gewählt worden -, sondern die messianische Überhöhung des Kandidaten. Er wird die Welt nicht auf den Kopf stellen können, er wird also die Erwartungen, die auch von den Medien geweckt wurden, nicht erfüllen können. Vermutlich wird die "Washington Post" die Enttäuschung, die nun folgen muss, ähnlich dramatisch überhöhen. Sie haben Obama hoch geschrieben, sie werden ihn auch runter schreiben, warum sie das tun, werden sie dann kaum politisch begründen können.
Sich so berauschen zu lassen, ist weder eine politische noch eine journalistische Tugend, denn Besoffene sind nicht klar im Kopf. Im Rausch verbirgt sich das Totalitäre. In seiner berühmten Verteidigung von Kurt Beck im "Stern" hatte Hans-Ulrich Jörges die Blutrünstigkeit als das Problem der journalistischen Meute ausgemacht. Schlimmer ist die Tatsache, dass die Meute immer in dieselbe Richtung läuft. Der Sog, dasselbe zu sagen und zu schreiben wie die anderen, ist in Zeiten der Haltungslosigkeit besonders kräftig. Die Scham, das Gegenteil von dem zu behaupten, was man bisher behauptet hatte, ist dann besonders gering. Die publizierte Meinung bewegt sich stromlinienförmig, weil niemand mehr weiß, wo das Ufer ist. Da schwimmt man lieber gemeinsam – in die Beliebigkeit hinein.
Aber die Medien sind nicht schuld am Verhalten Andrea Ypsilantis, auch nicht an dem Angela Merkels, die plötzlich die Managergehälter deckeln und die Finanzwelt regulieren will. Als Oskar Lafontaine das gefordert hatte, wurde so etwas als politische Provokation abgetan, heute redet in der CDU jeder so. Die Medien sind nicht daran schuld, dass die Politik haltungslos und hemmungslos geworden ist. "Die Festigkeit des Herzens", die für Max Weber zur Politik als Beruf gehört, ist selten geworden.
"Du willst die Wahrheit wissen? Du verträgst die Wahrheit doch gar nicht," sagt Jack Nicholson am Ende eines Hollywood-Films zu Tom Cruise. Der politische Willensbildungsprozess in Deutschland verträgt die Wahrheit immer schlechter. Die hessische SPD, an deren Spitze erstaunlicherweise noch immer Andrea Ypsilanti steht, will die Wahrheit offenbar nicht wissen, und auch Redakteure des Hessischen Rundfunks nicht, die von den Ypsilanti-Gegnern als "Verräter" sprachen. Die Wahrheit ist schwer zu vertragen, weil sie nur ohne Rausch zu haben ist, aber nicht ohne Haltung.
Moritz Schuller, geboren 1968 in München, in Berlin aufgewachsen, Studium der Altphilologie in Oxford und der Vergleichenden Literaturwissenschaften in Yale, dort Ph.D 1998. Freier Journalist bei der Süddeutschen, der FAZ und der WELT, seit 2002 beim Tagesspiegel, heute als Verantwortlicher Redakteur Meinung/Politische Literatur.

Moritz Schuller© Doris Spiekermann-Klaas