Die vierte industrielle Revolution
Von Dirk Asendorpf · 21.07.2011
Die Montage eines Produkts wird zentral gesteuert und findet immer in der gleichen Reihenfolge statt. Wie es anders gehen könnte, erforschen die Wissenschaftler des Bremer Sonderforschungsbereichs "Selbststeuerung logistischer Prozesse".
Ein Dutzend Doktoranden sind in die Rolle von Fließbandarbeitern geschlüpft. An vier Montagestellen warten sie auf Arbeit. Es geht um die Herstellung von Rückleuchten für VW-Busse. Dafür muss eine vorfabrizierte Metallschale mit einem Kabelbaum, zwei Lämpchen und einer Gummidichtung versehen werden. In welcher Reihenfolge das passiert, ist egal. Am Schluss wird noch eine Blende aufgeschraubt. Je nach Automodell ist sie transparent, farbig oder schwarz. Marius Veigt hat leere Metallschalen auf 12 kleine Transportwagen verteilt, die sogenannten Shuttles. Wie die Loks einer Modelleisenbahn stehen sie auf einer verschlungenen Schiene mit zahlreichen Weichen zu den Montagestationen.
"Gut, fangen wir mal an, ich starte mal die ersten drei Shuttles in den Prozess (Atmo) Starten wir die weiteren Shuttles. Wir starten hier mit 12 Aufträgen für eine schwarze Blende und die Shuttles entscheiden sich jetzt fast alle für diese schwarze Blende."
Der erste Shuttle steuert den Montageplatz für den Kabelbaum an. Der zweite merkt das und fährt deshalb zunächst zur Lämpchenstation. Auch der dritte wartet nicht, sondern lässt sich die Gummidichtung verpassen und fährt danach zur inzwischen frei gewordenen Lämpchenstation zurück. Doch das ist noch nicht alles. Per Knopfdruck ändert Marius Veigt jetzt mitten in der Montage die Auftragslage.
"Es haben sich fast alle Shuttles für diesen schwarzen Auftrag entschieden, jetzt wurden schwarze Aufträge storniert, dafür kommen Aufträge für ne weiße Blende und für ne farbige Blende rein mitten im Prozess. Und wir sehen: die Shuttles passen sich dem an. Die Produkte haben die neue Kundenauftragslage erkannt und haben sich dementsprechend umentschieden."
Flexibilität ist der größte Vorteil selbstgesteuerter Produktion. Fällt eine Montagestation aus, können alle anderen trotzdem weiterarbeiten. Und auf neue Vorlieben der Kundschaft kann sofort reagiert werden. Bernd Scholz-Reiter ist der Leiter des Forschungsinstituts.
"Jetzt ist es so: Wenn Sie ein Auto bestellen, dann ist drei Wochen vorher Schluss, dass Sie dann noch sagen, Sie wollen jetzt doch noch nen Abstandswarner drin haben oder so, das ist dann nicht mehr möglich. Aber sie können es machbar machen mit so einer Art von Steuerung. Sie haben ungefähr 10.000 Varianten des Golfs: die Motorvarianten, die Sitzfarben, die Einbauvarianten wie Navigation wie Schiebedach etc. Und je kundenindividueller die Produkte sind, desto häufiger gibt es auch Last-Minute-Änderungen. Und wenn man damit umgehen kann, ist das ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten natürlich."
Für den Wirtschaftsingenieur ist das die "vierte industrielle Revolution".
"Die erste industrielle Revolution war von der Manufaktur zur Fabrikarbeit, die zweite war Einführung der Fließfertigung (Ford/Taylor), die dritte war Informatisierung, EDV, Rechentechnik in der Produktion, Integration mit dem Computer-Integrated-Manufacturing. Und die vierte ist jetzt, dass wir die Entscheidung in das Werkstück, in die Maschine bringen, und die Einzelentscheidungen führen zu einer guten logistischen Zielerreichung des Gesamtsystems – also ein ganz anderer Ansatz, eben die vierte industrielle Revolution, die wir hier versuchen einzuleiten."
Technische Voraussetzung dafür ist, dass die Werkstücke eindeutig identifiziert werden können. In der Demonstrationsanlage ist dafür jede einzelne Metallschale, aus der einmal ein VW-Bus Rücklicht werden soll, mit einem winzigen Funk-Chip ausgestattet worden. Kleine gelbe Sensoren an den Weichen der Transportschiene können die codierte Identifikationsnummer der vorbeifahrenden Schalen lesen und an den zentralen Rechner melden. Dort ist für jedes Werkstück ein sogenannter Softwareagent im Einsatz. Er weiß, wo es sich gerade befindet, welche Teile bereits montiert wurden und legt fest, welcher Montageplatz als nächstes angesteuert wird. Wie Flugreisende in der Check-In-Halle entscheiden sich die Softwareagenten dabei blitzschnell für die kürzeste Schlange – und wechseln sofort zu einer anderen, wenn die Abfertigung vor ihnen ins Stocken gerät.
Das alles funktioniert erstaunlich reibungslos. Es gibt weder Gedrängel noch Kollisionen und trotzdem stehen schon nach wenigen Minuten 12 sauber verarbeitete VW-Bus-Rückleuchten auf den Shuttles. Bis zur Einführung der Selbststeuerung im Großmaßstab echter industrieller Produktion werden aber noch viele Jahre vergehen.
"Alle industriellen Revolutionen sind auch nicht von heute auf morgen gekommen, sondern haben 30 bis 50 Jahre gedauert. Als die ersten Fabriken Mitte des 19. Jahrhunderts aufgebaut worden sind, da gab es auch noch jede Menge Manufakturen und die haben gesagt: So'n Quatsch, was sollen wir da so ne Großserienfertigung starten."
Am Ende des Versuchs werden die im Demonstrator produzierten Rückleuchten wieder auseinander geschraubt. Die Einzelteile kommen für den nächsten Durchlauf in einen Vorratsschrank und die Montagearbeiter verwandeln sich zurück in Doktoranden. Ihre Erkenntnisse könnten sie rein theoretisch auch an einer Computersimulation gewinnen. Doch nicht nur der Lerneffekt ist bei einem Versuchsaufbau mit echten Bauteilen wesentlich größer, versichert Marius Veigt.
"Also es ist einerseits auch immer ein bisschen kniffelig, man muss was Neues ausprobieren, kreativ sein, auf der anderen Seite ist es natürlich ein schönes Gefühl, wenn's auch wirklich funktioniert. Und das macht im Endeffekt Spaß."
"Gut, fangen wir mal an, ich starte mal die ersten drei Shuttles in den Prozess (Atmo) Starten wir die weiteren Shuttles. Wir starten hier mit 12 Aufträgen für eine schwarze Blende und die Shuttles entscheiden sich jetzt fast alle für diese schwarze Blende."
Der erste Shuttle steuert den Montageplatz für den Kabelbaum an. Der zweite merkt das und fährt deshalb zunächst zur Lämpchenstation. Auch der dritte wartet nicht, sondern lässt sich die Gummidichtung verpassen und fährt danach zur inzwischen frei gewordenen Lämpchenstation zurück. Doch das ist noch nicht alles. Per Knopfdruck ändert Marius Veigt jetzt mitten in der Montage die Auftragslage.
"Es haben sich fast alle Shuttles für diesen schwarzen Auftrag entschieden, jetzt wurden schwarze Aufträge storniert, dafür kommen Aufträge für ne weiße Blende und für ne farbige Blende rein mitten im Prozess. Und wir sehen: die Shuttles passen sich dem an. Die Produkte haben die neue Kundenauftragslage erkannt und haben sich dementsprechend umentschieden."
Flexibilität ist der größte Vorteil selbstgesteuerter Produktion. Fällt eine Montagestation aus, können alle anderen trotzdem weiterarbeiten. Und auf neue Vorlieben der Kundschaft kann sofort reagiert werden. Bernd Scholz-Reiter ist der Leiter des Forschungsinstituts.
"Jetzt ist es so: Wenn Sie ein Auto bestellen, dann ist drei Wochen vorher Schluss, dass Sie dann noch sagen, Sie wollen jetzt doch noch nen Abstandswarner drin haben oder so, das ist dann nicht mehr möglich. Aber sie können es machbar machen mit so einer Art von Steuerung. Sie haben ungefähr 10.000 Varianten des Golfs: die Motorvarianten, die Sitzfarben, die Einbauvarianten wie Navigation wie Schiebedach etc. Und je kundenindividueller die Produkte sind, desto häufiger gibt es auch Last-Minute-Änderungen. Und wenn man damit umgehen kann, ist das ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten natürlich."
Für den Wirtschaftsingenieur ist das die "vierte industrielle Revolution".
"Die erste industrielle Revolution war von der Manufaktur zur Fabrikarbeit, die zweite war Einführung der Fließfertigung (Ford/Taylor), die dritte war Informatisierung, EDV, Rechentechnik in der Produktion, Integration mit dem Computer-Integrated-Manufacturing. Und die vierte ist jetzt, dass wir die Entscheidung in das Werkstück, in die Maschine bringen, und die Einzelentscheidungen führen zu einer guten logistischen Zielerreichung des Gesamtsystems – also ein ganz anderer Ansatz, eben die vierte industrielle Revolution, die wir hier versuchen einzuleiten."
Technische Voraussetzung dafür ist, dass die Werkstücke eindeutig identifiziert werden können. In der Demonstrationsanlage ist dafür jede einzelne Metallschale, aus der einmal ein VW-Bus Rücklicht werden soll, mit einem winzigen Funk-Chip ausgestattet worden. Kleine gelbe Sensoren an den Weichen der Transportschiene können die codierte Identifikationsnummer der vorbeifahrenden Schalen lesen und an den zentralen Rechner melden. Dort ist für jedes Werkstück ein sogenannter Softwareagent im Einsatz. Er weiß, wo es sich gerade befindet, welche Teile bereits montiert wurden und legt fest, welcher Montageplatz als nächstes angesteuert wird. Wie Flugreisende in der Check-In-Halle entscheiden sich die Softwareagenten dabei blitzschnell für die kürzeste Schlange – und wechseln sofort zu einer anderen, wenn die Abfertigung vor ihnen ins Stocken gerät.
Das alles funktioniert erstaunlich reibungslos. Es gibt weder Gedrängel noch Kollisionen und trotzdem stehen schon nach wenigen Minuten 12 sauber verarbeitete VW-Bus-Rückleuchten auf den Shuttles. Bis zur Einführung der Selbststeuerung im Großmaßstab echter industrieller Produktion werden aber noch viele Jahre vergehen.
"Alle industriellen Revolutionen sind auch nicht von heute auf morgen gekommen, sondern haben 30 bis 50 Jahre gedauert. Als die ersten Fabriken Mitte des 19. Jahrhunderts aufgebaut worden sind, da gab es auch noch jede Menge Manufakturen und die haben gesagt: So'n Quatsch, was sollen wir da so ne Großserienfertigung starten."
Am Ende des Versuchs werden die im Demonstrator produzierten Rückleuchten wieder auseinander geschraubt. Die Einzelteile kommen für den nächsten Durchlauf in einen Vorratsschrank und die Montagearbeiter verwandeln sich zurück in Doktoranden. Ihre Erkenntnisse könnten sie rein theoretisch auch an einer Computersimulation gewinnen. Doch nicht nur der Lerneffekt ist bei einem Versuchsaufbau mit echten Bauteilen wesentlich größer, versichert Marius Veigt.
"Also es ist einerseits auch immer ein bisschen kniffelig, man muss was Neues ausprobieren, kreativ sein, auf der anderen Seite ist es natürlich ein schönes Gefühl, wenn's auch wirklich funktioniert. Und das macht im Endeffekt Spaß."