Die Verschwörung der Erwachsenen

Die britische Schriftstellerin Georgina Harding erzählt in ihrem Roman "Spiel der Spione" eine Familiengeschichte aus der Nachkriegszeit. Sie stellt die Welt der Erwachsenen aus der Perspektive der Kinder dar, die vermuten, dass ihre für tot erklärte Mutter eine Spionin ist.
Es ist der 7. Januar 1961. Anna ist damals acht Jahre alt. Sie wird sich ihr Leben lang an die Einzelheiten dieses Wintertages erinnern, an dem ihre Mutter auf einer der vereisten Straßen von Gloucestershire bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. So beginnt Georgina Hardings "Spiel der Spione" als leise, traurige Familiengeschichte: Annas Vater flüchtet sich seit dem Tod seiner Frau in schweigsame Gartenarbeit, während Anna sich an den Gedanken zu gewöhnen versucht, keine Mutter mehr zu haben.

Doch dann macht ihr älterer Bruder Peter eine seltsame Entdeckung, und an diesem Punkt kreuzen sich in Hardings sorgfältig konstruiertem Roman zum ersten Mal Fiktion und Fakten. An dem Tag, an dem sich der tödliche Unfall ereignet hat, wurden in London fünf Spione verhaftet, die zum legendären "Portland Spy Ring" gehörten und Militärgeheimnisse an den KGB geliefert hatten. Peter ist überzeugt, dass seine Mutter ebenfalls eine Agentin war – und abtauchen musste: "Woher wissen wir, dass sie wirklich tot ist?"

Die Kinder werden misstrauisch. Schweigt ihr Vater aus Trauer oder versucht er, ein Geheimnis zu bewahren? Gibt es einen Grund dafür, dass ihre Mutter, die aus Deutschland stammte, nie über ihre Kindheit und Jugend in jener seltsamen Stadt namens "Königsberg" sprach? Und warum durften Anna und ihr Bruder nicht bei ihrem Begräbnis dabei sein? Literarisch gesehen ist das ein einfacher, aber wirkungsvoller Trick: Ähnlich wie Michael Frayn in seinem Roman "Das Spionagespiel" (dt. 2004) stellt die englische Schriftstellerin Georgina Harding die rätselhafte Welt der Erwachsenen aus der Perspektive der Kinder unter den Generalverdacht der Konspiration. Alles wirkt verdächtig.

Doch das ist nicht allein der Fantasie von Anna und ihrem Bruder geschuldet. Die Nachkriegszeit ist in Großbritannien ähnlich wie die in Deutschland durch einen kollektiven Verdrängungsprozess gekennzeichnet. Auch hier wurde über die vergangenen Jahre kaum gesprochen: über den Luftkrieg, den Holocaust, die japanischen Kriegsgefangenenlager in den britischen Kolonien Asiens. Stattdessen klammerten sich die Angehörigen der Mittelschicht an ihre Traditionen, nahmen pünktlich um sechs ihre Aperitifs, "trugen zum Dinner Abendgarderobe" und hielten damit eine künstliche Welt aufrecht, die zur idealen Fassade für konspirative Aktivitäten wurde. Das ist die erste Pointe dieses vielschichtigen Romans: Die Angehörigen des "Portland Spy Rings" hatten über Jahre hinweg als unscheinbare Bürger in einem Vorort von London gelebt und den "British way of life" als Tarnung benutzt.

Es gibt noch eine zweite Pointe, aber die soll hier nur angedeutet werden. Als erwachsene Frau bricht Anna auf, um in Berlin und Kaliningrad nach der wahren Geschichte ihrer Mutter zu suchen. Sie muss feststellen, dass es tatsächlich ein dunkles Geheimnis in ihrer Vergangenheit gab. Mit Spionen und Agenten hat das allerdings nichts zu tun. Eher mit dem Krieg, über den in Deutschland und England lange Zeit niemand gerne sprach.

Besprochen von Kolja Mensing


Georgina Harding: Spiel der Spione. Roman.
Aus dem Englischen von Beatrice Howeg.
Bloomsbury Berlin 2009
312 Seiten, 19,90 Euro