Das Phänomen der Gegenpäpste

Verlierer der Kirchengeschichte

09:07 Minuten
Das Archivbild vom 16.10.1978 zeigt den weißen Rauch, der aus einem Schornstein des Vatikans aufsteigt. Er verkündet, dass die zur Papstwahl berechtigten Kardinäle in dem Konklave zu einer Entscheidung gelangt sind und einen neuen Papst gewählt haben.
Weißer Rauch zeigt die Wahl eines neuen Papstes an. Nicht im Bild: die grimmigen Gesichter derjenigen, die sich ebenfalls Hoffnung auf das Amt gemacht hatten. © picture-alliance / dpa
Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 19.12.2021
Audio herunterladen
Wenn ein neuer Papst gekürt wird, gehen andere Kandidaten leer aus. Nicht alle fanden sich damit ab. Christiane Laudage erforschte die Geschichte sogenannter Gegenpäpste. Die Historikerin berichtet von Intrigen, Zwist und Unruhe.
"Die Papstwahl war nicht immer eine friedliche, harmonische Veranstaltung" – was von der Bonner Historikerin und Journalistin Christiane Laudage in ihrem Buch "Der Kampf um den Stuhl Petri. Die Geschichte der Gegenpäpste" offenbar noch vornehm-untertrieben ausgedrückt ist.

Eine Papstwahl wie eine Kneipenschlägerei

Denn was da am 7. September 1159 in Rom stattfindet und als "Mantelstreit" in die Geschichte eingeht, gleicht eher einer Kneipenschlägerei als der würdigen Zusammenkunft geistlicher Herren. Zwei Bewerber mit ihren jeweiligen Anhängern streiten sich um den Stuhl Petri: Kardinal Octavian de Monticelli und Roland Bandinelli, Kanzler der Römischen Kirche.
"Es herrschte eine absolute Patt-Situation. Die Wahlgruppe war bereits seit drei Tagen in der Kirche, sie kamen nicht weiter, und dann hat irgendjemand Roland den roten Papstmantel umgehängt", so schildert Laudage den Vorgang. "Das Umhängen des roten Mantels hat einen Fachbegriff: 'Immantation'. In dem Moment, wo derjenige den roten Mantel auf den Schultern hängen hatte, war er Papst."

Rangeln um den Mantel der Macht

"Impertinenza", schnaubt sein Rivale. Er stürzt sich mitten hinein in den Tumult, der nun völlig außer Kontrolle gerät. Im weiteren Verlauf dieses Handgemenges schrecken die hohen geistlichen Würdenträger nicht einmal davor zurück, sich gegenseitig heftig zu verprügeln.
"Octavian muss Roland den Mantel von den Schultern gerissen haben, und was passierte?" Laudage beschreibt die Szene mit Sinn für Slapstick: "Der Mann kam in dem ganzen Gewühl nicht mit dem Mantel zurecht und hatte ihn dann ausgerechnet auch noch verkehrt herum angezogen."
Was zwar höchst sonderbar ausgesehen haben mag, aber Bandinellis Karriere keinen Abbruch tat: Immerhin ging er als – durchaus bedeutender – Papst Alexander III. in die mittelalterliche Kirchengeschichte ein.

An die Unterlegenen wird nicht einmal erinnert

Seinem Kontrahenten Monticelli dagegen blieb nur der zweifelhafte Ruhm eines Gegenpapstes namens Viktor IV., der heute längst vergessen ist. Kein Wunder, denn die Geschichte werde nun mal von den Siegern geschrieben, so Laudage.
Die Gegenpäpste gehören nicht zu ihnen – weshalb selbst die Erinnerung an sie getilgt werden muss. Folglich spricht man von einer „Damnatio memoriae“, also von einer Verdammung des Andenkens.
Es sind solche zwar unheiligen aber durchaus unterhaltsamen Geschichten, die Christiane Laudage in ihrem Buch erzählt. Deutlich wird darin, dass etwa das Gegenpapst-Schicksal des bedauernswerten Viktor IV. durchaus symptomatisch ist.

Ein fast vergessenes Stück Kirchengeschichte

"Die Gegenpäpste sind die absoluten 'Loser' der Kirchengeschichte", schreibt Laudage. "Die Gegenpäpste waren die Konkurrenten der Päpste, und sie haben diese Konkurrenzsituation verloren. Einer konnte sich durchsetzen, er ist dann der legitime Papst, als solcher auch in die Geschichte eingegangen. Und der andere hat Pech gehabt."
Laudage blättert ein fast vergessenes Stück Kirchengeschichte auf, holt Namen, Leben, Wirken und Schicksale der Gegenpäpste ans Licht. Denn die bevölkern die Kirchengeschichte immerhin von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Sie tauchen auf, sorgen für Unruhe, Zwist und oft genug blutige Fehden – und verschwinden wieder im Dunkel der Geschichte.
Insgesamt 37 Gegenpäpste verzeichnet das päpstliche Jahrbuch, beginnend mit dem Römer Hippolyt, der im 3. Jahrhundert die Kirche spaltet, und endend zwölf Jahrhunderte später mit Felix V., dem vormaligen Herzog von Savoyen, der 1449 wieder abdankt.

Angreifer aus dem inneren Kreis der Macht

Nun sind die "Eroberer" des Heiligen Stuhls, die oft als "invasor" (Eindringling) oder als "pervasor" (Angreifer) bezeichnet wurden, zumeist keine Störenfriede von außen, sondern sie kommen aus dem inneren Kreis der Macht, wie Laudage erläutert:
"Gegenpäpste kommen im Prinzip aus der gleichen Gruppe wie die Päpste. In der Regel ist es die Gruppe, die auch den Papst wählt, und in den ersten tausend Jahren der Geschichte der Gegenpäpste kam es immer wieder bei der Wahl eines neuen Papstes zum Knall. Sie hatten dann einfach zwei konkurrierende Gruppen. Jede dieser Gruppen hatte einen Kandidaten, den sie unglaublich gerne durchdrücken wollten."
"Das war wie ein Wettlauf", schreibt Laudage: "Wer hat zuerst die wichtigen Räume besetzt? In einem Fall war es tatsächlich so, da hat eine Gruppe die inneren Räume des Laterans besetzt, die waren halt schneller, die andere Gruppe konnte nur noch die äußeren Räume besetzen."

Neider, Ehrgeizlinge, Intriganten

Gegenpäpste, das wird in Laudages Buch deutlich, waren ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Da sind einmal die, die einen legitimen Anspruch nicht durchsetzen konnten, aber auch Neider, Ehrgeizlinge, politische Intriganten und Hasardeure, die aus Geltungssucht oder ausgestattet mit einer "Profilneurose" den Stuhl Petri besteigen wollten. Oder auch solche, die als Spielbälle der Macht in die Verstrickungen der Politik gerieten.
Manche waren nichts weiter als Schachfiguren im "Großen Abendländischen Schisma" – also der Kirchenspaltung von 1378 bis 1417. Andere fanden sich plötzlich statt in Rom in der "Babylonischen Gefangenschaft der Kirche" wieder: im französischen Avignon, der "Höhle von Gespenstern und Teufeln", wie der Dichter Petrarca den Papstpalast dort nannte.
Trotzdem haben sie sicher mehrheitlich statt Antipathie unser Mitleid verdient, meint Laudage: "Nicht alle, aber doch einige. Da finden Sie eine ganze Reihe von wirklich interessanten, schrecklichen, aber auch berührenden Geschichten – wie Männer hoch aufstiegen und dann wieder tief fielen."

Schauprozess gegen einen Toten

Zu den ganz tief Gefallenen gehört zweifellos der unglückliche Formosus, der in den Wirren der zerfallenden Karolingerreichs im Jahr 897 wegen politischer Fehlentscheidungen und einer Reihe angeblicher anderer Vergehen von seinem Nachfolger kurzerhand angeklagt und abgesetzt wird.
Nur – die Sache hatte einen Haken: Zu dem Zeitpunkt, als das geschieht, ist der Pontifex bereits seit neun Monaten tot – weshalb dieser Schauprozess auch als die "Kadaversynode des Formosus" bezeichnet werde, so Laudage:
"Da hat man ihn aus dem Grab rausgeholt, die verwesende Leiche mit päpstlichen Gewändern behängt, hat ihn auf den päpstlichen Stuhl gesetzt, hat ihn vor Gericht gestellt, natürlich verurteilt – klar, und dann wurden ihm die päpstlichen Gewänder abgezogen, und dann wurde die Leiche in den Tiber geschmissen, damit auch nur ja kein Erinnerungsort bestand, an dem man seiner hätte gedenken können."

Hausarrest bei der eigenen Mutter

Allerdings konnte sich der Nachfolger des Formosus, Papst Stephan VI., der dieses schändliche Leichengericht veranstaltet hatte, seines makabren Triumphes nicht lange erfreuen: Er wurde vom empörten römischen Volk ergriffen, in den Kerker geworfen und dort erdrosselt.
Dennoch gibt es Erinnerungen, die allen Bemühungen von interessierter Seite zum Trotz nicht verblassen. Etwa die an den Gegenpapst Benedikt X., der nämlich wird 1058 vom römischen Adel auf den Schild gehoben – wohl gegen seinen Willen. Als zwei Jahre später seine Burg außerhalb Roms belagert wird, steigt er auf die Zinnen und appelliert jammernd an die Römer, sie hätten ihn schließlich zum Papst gemacht, und nun möchten sie doch, bitteschön, dafür sorgen, dass er hier heil wieder herauskomme.
Immerhin, so Christiane Laudage, sei ihm das gelungen. Auch wenn er danach unter Hausarrest stand. Bei seiner Mutter! – "Also, er bekam das, was man heute die soziale Höchststrafe nennen würde."
Dieser Beitrag wurde zum ersten Mal am 20. Oktober 2012 ausgestrahlt.

Christiane Laudage: "Kampf um den Stuhl Petri. Die Geschichte der Gegenpäpste"
Herder Verlag, Freiburg 2012
260 Seiten, 14,99 Euro (eBook)