Die verkannten Neo-Liberalen

Von Georg von Wallwitz · 09.10.2012
Das bedeutendste Eigengewächs der deutschen Wirtschaftswissenschaften im 20. Jahrhundert, die Freiburger Schule, verwendete für sich einen heute verpönten Begriff: "neo-liberal". Heute hat sie stark an Bedeutung verloren, wirkt aber indirekt nach.
"Ordnungspolitik" ist das Lieblingswort eines jeden Bundeswirtschaftsministers. Es darf in keiner sinnstiftenden Rede fehlen, es ist fester Bestandteil des Erbguts der deutschen Wirtschaftspolitik. Die Ordnungspolitik ist die Erfindung und das Spielfeld der Freiburger Schule, dem bedeutendsten Eigengewächs der deutschen Wirtschaftswissenschaft im 20. Jahrhundert.

Begründet wurde sie von Walter Eucken. Dessen Vater war Philosophieprofessor und Literatur-Nobelpreisträger und beides hat auf den Sohn abgefärbt. Liest man seine Bücher heute, so meint man eher mit Weltweisheit, Erkenntnistheorie, Geschichte und Soziologie zu tun zu haben und weniger mit Ökonomie.

Er versucht als Geisteswissenschaftler das Hauptproblem der Ökonomie zu lösen: Wie kommen die Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zum richtigen Zeitpunkt, zum richtigen Preis und in der richtigen Menge zu den Menschen, die sie haben wollen?

Eucken wurde nicht nur durch seinen philosophierenden Vater, sondern auch durch die Auseinandersetzung mit den totalitären Regimes seiner Zeit geprägt. Die planwirtschaftlichen Modelle von Kommunismus und Faschismus erfreuten sich in den 20er- und 30er-Jahren erheblicher Sympathie bei den Ökonomen. Eucken konnte aber weder mit der roten noch mit der braunen Ideologie etwas anfangen und im Dritten Reich hat wohl nur sein berühmter Name ihn vor der Verhaftung bewahrt.

Er war ein Liberaler, der die Freiheit des Menschen und seine Würde über die Macht des Staates stellte und dies auch deutlich sagte, als es nicht opportun war. Der Staat, so Eucken, soll sich heraushalten aus dem täglichen Leben der Menschen.

Vorschriften von Planungsbehörden, was die Fabriken produzieren und die Menschen kaufen sollen, welche Ressourcen dabei zu welchen Preisen eingesetzt werden sollen, kosten ein Land viel Wohlstand, denn kein Planer und keine Behörde ist in der Lage, die Details eines so komplexen Gebildes wie einer Volkswirtschaft zu managen. Das kann letztlich nur die kollektive Intelligenz, die sich in den freien Entscheidungen aller Bürger und Unternehmen äußert.

Aber das 19. Jahrhundert hatte die Ökonomen gelehrt, dass es mit Laissez-Faire allein nicht getan ist. Ein völlig sich selbst überlassener Markt trägt den Keim seiner eigenen Zerstörung bereits in sich. Er zerstört den Wettbewerb, neigt zu Kartellen und Monopolen, diktiert Preise und Löhne, verweigert sich der Innovation. Der Staat muss also durchaus dafür Sorge tragen, dass Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit gewahrt bleiben.

So entsteht die Idee von der Ordnungspolitik. Der Staat hat die Aufgabe, der Wirtschaft einen institutionellen und juristischen Rahmen zu geben, damit sie funktionieren kann. Es ist nicht seine Aufgabe, in wirtschaftliche Prozesse einzugreifen. Der Staat schafft die Ordnung. Was wie zu welchem Preis produziert und an wen verkauft wird, ist nicht seine Sache.

Die Idee der Ordnungspolitik wurde zum Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft. Da mit Ludwig Erhard der erste Wirtschaftsminister nach dem Krieg ein Anhänger der Freiburger Schule war, prägte sie ganz wesentlich das wirtschaftliche System der Bundesrepublik, das bis heute Bestand hat.

Die Freiburger Schule hat heute stark an Bedeutung verloren. Den Ökonomen ist das Denken in Ordnungen zu wenig handfest, zu wenig mathematisch. Euckens Bücher werden nicht mehr gelesen. Aber der intellektuelle Rahmen ist geblieben. Die Freiburger Schule wirkt in unser Leben nicht direkt, sondern durch die allgemeine Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft. Ein solch indirekter, ordnender Einfluss kann nur im Sinne eines Ordnungspolitikers mit Sinn für Ironie sein.

Georg von Wallwitz, Fondsmanager und Autor, geboren 1968 in München, studierte Mathematik, Philosophie und Irankunde. Nach der Promotion und einem wissenschaftlichen Jahr an der Universität Princeton /USA wurde er Fondsmanager, zunächst angestellt bei einer Münchner Privatbank, dann ab 2004 selbständig als Teilhaber der "Eyb&Wallwitz Vermögensmanagement". Über die Finanzwelt.schreibt er auch: als Analyst ein regelmäßiges "Börsenblatt für die gebildeten Stände" und als Autor das Buch "Odysseus und die Wiesel" (Berenberg Verlag Berlin).
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Georg von Wallwitz© Katharina von Wallwitz
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