"Die Verführung interessiert mich"

Von Thomas Jaedicke |
Die Pläne für eine bürgerliche Karriere lagen längst in der Schublade. Doch Jan Klare wollte nicht. Er wählte den Weg des Musikers. Die klassische Ochsentour führte den Westfalen zwischenzeitlich bis nach London, wo er als Straßenmusiker mit Jazzstandards sein karges Brot verdiente. Doch irgendwann fand der Mann mit dem Saxophon einen eigenen Weg und einen eigenen Stil.
Jan Klare: "Da überlegt man sich irgendwann natürlich: So was soll hier übrig bleiben? Also, was leg ich hinterher auf meinen Grabstein drauf, irgendwie? Fünf CD´s, die ich geil finde … oder?"

80 bis 100 Konzerte spielt Jan Klare pro Jahr. Allein die Fahrerei zwischen den Gigs koste "Energie ohne Ende". Der Saxophonist schiebt den roten Hut in den Nacken. Weicher Filz. Abschalten könne er nie. Manchmal wacht er nachts auf, hat eine Idee, schreibt sie auf. Am nächsten Morgen kann es sein, dass er alles wieder verwirft. Er komponiert, auch fürs Theater. Seit Jahren hat der eher kleine, kräftige Mann immer mindestens drei Bandprojekte "am Laufen".

"Oder: Ist da auch irgendetwas, dass man mit Leuten Zeit geteilt hat? Ganz direkt mit Leuten einfach seine Zeit verschwendet hat? Wie verbringt man seine Zeit? Wofür ist es sinnvoll, Zeit zu investieren?"

Heute sieht der Mittvierziger manches etwas anders. Klar haben bei seinem Pensum, den ganzen Tourneen, Projekten und CD´s die sozialen Kontakte gelitten. Die ersten fünf, sechs Jahre habe er täglich zehn Stunden geübt. Freundschaften, Beziehungen gingen in die Brüche. Seinen Sohn Moritz, mittlerweile über 20, sah er kaum. Inzwischen treffen sie sich manchmal. Der wird jetzt vielleicht auch Musiker. Jan Klare lacht. Der rote Hut verrutscht.

"Wenn ich einen Musiker sehe und der steht auf der Bühne, und ich sehe dem zu, und wenn er mir vermittelt: Ja, ich könnte es auch noch so machen oder die Möglichkeit gäb´s auch noch - dann finde ich das direkt uninteressant."

"Ich so, die Kollegen, die ich kenne, wir sind alle süchtig nach diesem Gefühl, da so zu stehen und dann bleibt die Zeit wirklich stehen. Das ist so ein gigantisches Gefühl irgendwie. Und dann will man das natürlich immer wieder haben. Also wir sind einfach in dem Sinne wirklich voll auch Junkies."

Aufgewachsen in eher klein-bürgerlichen Verhältnissen in Hohenlimburg soll der Musterschüler Jan, der Schulklassen einfach überspringt, eigentlich Arzt werden. Doch abgeschreckt von der vor ihm liegenden Laufbahn, schmeißt er das Studium hin, macht Musik, geht nach Holland, zieht nach London. Für die Eltern ein Schock. Der Kontakt zur Familie bricht ab. Für Jahre. In England schlägt er sich vier Jahre als Straßenmusiker durch, verbessert sein Handwerk, holt sich Kraft und Präsenz.

"Wenn ich diese wirklich sehr, sehr harten Auseinandersetzungen nicht gehabt hätte, weiß ich nicht, ob ich in vielen Dingen so klar sein könnte mit dem, was ich jetzt mache. Das ist ein wahnsinniges Geschenk an Kinder: Absolut klare Ansagen durchziehen, wo die irgendwann sagen können: Weißte was! Fick dich, Alter!"

Durch die "geographische Distanz" zwischen Hohenlimburg und London kehrt der Kontakt zur Familie so langsam zurück. Dennoch fühlt er sich von der Verwandtschaft - inklusive Großtante - in einem Albtraum bis nach England verfolgt.

"Wir saßen alle am Tisch -, und die sagten dann zu mir: So, Jan, Du willst jetzt nach England gehen? Ja, ich sag, ja, ja. Ja, wir haben einen Entschluss gefasst. Ich dachte, oh Gott, was kommt denn jetzt? Ja, wir gehen alle mit dir nach London. Ich bin da schweißgebadet aufgewacht."

Konzerte hat Jan Klare schon in frühen Schüler-Träumen gegeben. Wenn sie die Oma besuchten, klimperte er immer auf dem Klavier rum. Später nahm er Unterricht in Querflöte und Trompete, spielte in Schul- und Kirchenbands. Seine erste Platte war Beethoven, Apassionata. Bald kamen T-Rex und David Bowie. Nachmittags traf er sich zuhause mit einem Kumpel aus dem Trompetenunterricht.

"Wir haben das Zimmer verdunkelt und stundenlang nur Musik gehört. Und das waren dann viel so Krautrocksachen. Englische Avantgardebands. So Avantgardebands wie King Crimson oder Yes. Bei King Crimson hab ich immer Schiss gehabt. Erlebe ich heute noch: Bestimmte Platten, wenn ich die auflege, kriege ich so richtig dieses Angstgefühl wieder. Ich denke so: Boaah, diese Musik halte ich nicht aus!"

Im vergangenen Jahr wurde Jan Klare mit seiner Band ´Das böse Ding´ zum ersten Mal auf das Jazzfest in Berlin eingeladen. Früher brach er Konzerte schon mal ab, wenn er fand, dass das Publikum nicht aufmerksam genug war. Das würde er heute nicht mehr machen, obwohl er in gewisser Weise im Vergleich zu früher noch radikaler geworden sei. Radikaler in seinem Anspruch, nur das zu machen und zu spielen, was er wirklich will. Jan Klare sagt, er habe sein Profil, das er suchte, endlich gefunden. Und gleichzeitig stimmt das auch wieder nicht, weil er nichts so sehr hasst, wie serielle Massenware. Für Jan Klare geht es noch immer darum, sich ständig neu zu erfinden. Obwohl er merkt, dass Energie und Kräfte nach über 20 Jahren im Geschäft nachlassen, ist er immer noch neugierig.

"Wie schaffe ich es, jemanden mit ´ner in dem Sinne durchschnittlichen Hörerfahrung irgendwo abzuholen und den dahin mitzunehmen, wo er vielleicht vorher nich … Also die Verführung interessiert mich! Das finde ich spannend, ihn irgendwo mitzunehmen, wo er eigentlich nicht hinwollte oder sich nicht vorgestellt hat, landen zu können!"

Beim Konzert auf dem Berliner Jazzfest kommt ´Das böse Ding´ zur dritten Zugabe zurück auf die Bühne. Ein grauhaariger Mann beugt sich zu mir herüber, sagt stolz: "Der da, der mit dem roten Hut, das ist mein Sohn Jan."