"Die Verantwortlichen müssen in sich gehen"

Ulf Baranowsky im Gespräch mit Dieter Kassel · 11.11.2009
Ulf Baranowsky plädiert für mehr psychologische Unterstützung für Spieler. Die Vereine müssten den Spielern stärker zur Seite stehen, sagte der Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer nach dem Tod von Nationaltorhüter Enke.
Dieter Kassel: Gestern Abend hat sich Robert Enke, Torwart der deutschen Fußballnationalmannschaft, das Leben genommen, und erwartungsgemäß haben jetzt Spekulationen darüber begonnen, öffentliche Spekulationen, warum eigentlich. Seine Frau hat sich geäußert, es gibt inzwischen ein Interview mit einem Psychiater, der ihn schon seit 2003 immer wieder betreut hat und, und, und.

Wahrscheinlich, so viel kann man sagen, haben private Gründe eine große Rolle gespielt, und diese Gründe gehen uns alle, die Öffentlichkeit, natürlich nichts an. Über die wollen wir deshalb auch gar nicht reden, sondern wir wollen darüber reden, wie groß der Druck ist, der inzwischen auf Profifußballspielern lastet und wie sie damit umgehen.

Wir reden darüber mit Ulf Baranowsky. Er ist der Geschäftsführer der Spielergewerkschaft Vereinigung der Vertragsfußballspieler und jetzt am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Baranowsky!

Ulf Baranowsky: Guten Tag!

Kassel: Ist das, was wir jetzt erleben, diese Unmöglichkeit einer Trennung zwischen Privatleben und öffentlichem Leben, auch schon ein Teil des Problems, haben Fußballspieler ab einer gewissen Prominenz keine Chance mehr auf ein Privatleben?

Baranowsky: Das muss man schon so sagen. Jeder geht natürlich anders mit den Situationen um. Es gibt Spieler, die suchen die Öffentlichkeit, fühlen sich auch sehr wohl in der Öffentlichkeit, es gibt aber auch Spieler, die ziehen eine klare Trennlinie, und es ist wichtig, dass das auch akzeptiert wird.

Kassel: Ein Teil der Öffentlichkeit sind natürlich schlichtweg die Fans, und wenn man obenauf ist, gerade sportlich sehr erfolgreich, dann hat man, von einer gewissen Aufdringlichkeit vielleicht abgesehen, mit denen keine Probleme. Welche Rolle spielt denn der Druck der Fans in Phasen, wo man nicht so erfolgreich ist?

Baranowsky: Natürlich kann der Druck sehr groß werden, aber auch da gilt es, einen respektvollen Umgang miteinander zu haben. Was nicht sein kann, ist, dass nach einem schlechten Spiel, wie in Dresden vorgekommen, die Spieler zum Platz gehen am nächsten Tag, zum Training, und dort elf ausgehobene Gräber auf dem Trainingsplatz finden. Da ist jede Grenze überschritten.

Es darf auch nicht sein, dass Autos zerkratzt werden der Spieler, Drohanrufe erhalten, bespuckt werden, dass Schläge angedroht werden und Ähnliches. Dem muss ohne Wenn und Aber ein Riegel vorgeschoben werden. Aber wir wollen natürlich auch klar sagen, die allermeisten Fans sind gute Fans, die sich hinter die Spieler stellen, auch in schlechten Zeiten.

Kassel: Dennoch gibt es ja auch die anderen, was kann man denn da machen? Ich meine, wenn jetzt ein Auto zerkratzt wird oder Ähnliches, da nützen ja Stadienverbote und sonstige Maßnahmen nichts, das Auto steht da einfach irgendwo auf der Straße. Kann man diese Entwicklung, dass die Fans immer härter reagieren bei sportlichen Niederlagen, denn überhaupt noch stoppen?

Baranowsky: Es ist wichtig, gute Sozialarbeit zu leisten, Fanprojekte zu haben, es gibt da sehr gute Ansätze, aber da kann man natürlich noch viel, viel mehr tun, und alle Beteiligten wissen das auch. Die Arbeit der Polizei ist auch ganz wichtig und die Arbeit der Ordnungsdienste, aber natürlich auch die Arbeit der Spieler, in stetigen Dialog zu treten, auch mit den Fans. Aber Chaoten werden Sie leider immer haben.

Kassel: Wie einsam ist ein Spieler eigentlich in der Regel auch innerhalb seiner Mannschaft? Ich hab’ natürlich von früher so dieses romantische Bild vom Fußballtrainer, der gleichzeitig auch so eine Art Vaterersatz ist, der auch mal tröstet – ist das heute im harten Bundesligageschäft noch so?

Baranowsky: Man muss natürlich sehen, dass die Konkurrenz auch innerhalb von so einer Mannschaft sehr, sehr stark ist. Ein Trainer kann sich nicht um alle Spieler rund um die Uhr kümmern, jeder ist auch ein bisschen für sich selber verantwortlich. Aber wichtig ist auch, dass der Arbeitgeber Angebote schafft und dem Spieler zur Seite steht in so einem Geschäft.

Es gibt Clubs wie Bayern München oder VfL Bochum, die beschäftigen auch Psychologen, das ist sehr, sehr lobenswert. Wir als VDV bieten schon seit vielen Jahren sportpsychologische und seelsorgerische Unterstützung an - ein Angebot, was von den Spielern auch wahrgenommen wird.

Kassel: Welche Probleme entstehen denn auch neu? Ich hab mir zum Beispiel mal, auch noch mal ganz schnell den Lebenslauf von Robert Enke mal angeguckt nur was die Orte angeht. Wenn man das dann so sieht, Jena, Mönchengladbach, Lissabon, Barcelona, Istanbul, Kanarische Inseln, da kann doch niemand heimisch werden, wenn er aus beruflichen Gründen – sei es auch, das will ich Enke gar nicht unterstellen, aber bei manchen auch, weil sie dem Geld nachlaufen – immer wieder an einem anderen Ort sind?

Baranowsky: Es gibt Spieler, die sind gerne auch Wandervogel. Es gibt Spieler, die werden leider auch dazu getrieben, den Club häufiger zu wechseln, weil sie nicht klarkommen, teilweise auch, weil sie gemobbt werden. Da muss man von Fall zu Fall draufschauen.

Wichtig ist aber in der Tat, dass die Spieler eine Heimat haben, am besten eine Familie und darüber hinaus auch Arbeitgeber, die sich auch über das Vertragsende hinaus mit ihren Arbeitgebern beziehungsweise ehemaligen Arbeitgebern solidarisch zeigen und – natürlich auch wichtig – eine starke Gewerkschaft in der Hinterhand zu haben.

Kassel: Was die Arbeitgeber angeht, wir reden ja hier über Fußballvereine, die, ob sie es wollen oder nicht, auch kommerzielle Unternehmen geworden sind in vielen Fällen. Tun die das, was die gerade gesagt haben, oder sind ihnen die Spieler nicht egal, sobald man mit ihnen kein Geld mehr verdienen kann?

Baranowsky: Es gibt leider immer wieder eine nicht geringe Anzahl von Fällen, wo Spieler auch weggemobbt werden, zur Vertragsauflösung gedrängt werden, da werden Spielern keine Rückennummern mehr zugeteilt, dann dürfen sie nicht mehr mit auf Mannschaftsfotos, Spieler dürfen dann nicht mehr am Training teilnehmen. Das ist also ein Feld, in dem die VDV praktisch tätig gefordert ist – in den oberen Bereichen glücklicherweise eher weniger als in den unteren Bereichen.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Geschäftsführer der Spielergewerkschaft Vereinigung der Vertragsfußballer, VDV, Ulf Baranowsky. Herr Baranowsky, wie ist es denn mit der Frage der Männlichkeit? Sie haben erzählt, ein paar Bundesligavereine haben Psychologen, die den Spielern zur Verfügung stehen, Sie als Gewerkschaft versuchen da auch Angebote zu machen.

Auf der anderen Seite – wir haben auch gehört von Robert Enke, dass der teilweise Betreuung privat in Anspruch genommen hat, dann aber eine gewisse Grenze nicht überschreiten wollte –, auch bei anderen Spielern, ich meine, ein Fußballspieler einer Bundesliga, da spielt ja Männlichkeit eine große Rolle. Haben die nicht Hemmungen dann, ich sag das mal bewusst so, zu einem Seelenklempner zu gehen?

Baranowsky: Also, es gab in der Tat viele Vorbehalte gegen psychologische Angebote in der Vergangenheit, teilweise auch heute noch. Wir als VDV sagen ganz klar, es ist falsch, hier irgendwelche Vorbehalte zu haben. In Zeiten, in denen Depressionen, psychische Erkrankungen auch im allgemeinen Berufsleben eine immer größere Rolle spielen, in denen Mobbing eine immer größere Rolle spielt, ist es wichtig, sich hier auch zu öffnen, um so schlimme Dinge, wie sie jetzt aktuell geschehen sind, eben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.

Kassel: Mobbing ist so eine Sache, Mobbing bedeutet ja nicht unbedingt, dass der Verein – das haben Sie schon beschrieben – aus welchen Gründen auch immer einen loswerden will und dann so Dinge passieren, wie dass man nicht mehr mit aufs Pressefoto darf. Wie ist es denn mit dem Mobbing unter den Spielern?

Baranowsky: Dafür gibt es auch Anhaltspunkte, aber die sind nicht so stark. Meistens steckt in der Tat ein Initiator dahinter, oft der Trainer oder der sportliche Leiter. Den gilt es zu identifizieren, um dann zu intervenieren.

Kassel: Man hat ja oft bei Entwicklungen wie dieser den Eindruck, oh, das wird schlimmer, weil auch wenn der Vergleich eigentlich völlig unangemessen ist, man denkt bei Robert Enke natürlich auch an Sebastian Deisler, der große psychologische Probleme hatte, natürlich noch lebt, aber aufgehört hat mit Profifußball deshalb. Es gibt noch ein paar weniger prominente Beispiele. Ist es so, dass diese psychischen Probleme von Profifußballern zunehmen oder kriegen wir heute vielleicht mehr mit als vor 10, 20 Jahren?

Baranowsky: Also wir als VDV sagen, dass es zunimmt. Es sind mehr Spieler, die sich hilfesuchend an uns wenden, was vielleicht aber auch damit zu tun hat, dass Professionalisierung und Medialisierung zunehmen und auch durch die Ligastrukturreform mehr Arbeitsplätze im Profifußball entstanden sind.

Kassel: Ein Fall wie der von Robert Enke garantiert natürlich Aufmerksamkeit. Wenn so ein Fall überhaupt irgendetwas Gutes haben kann, ohne das zynisch zu meinen, dann ist es ja das. Aber glauben Sie, dass freiwillige Entscheidungen, die Vereine jetzt vielleicht treffen werden, dass die, die noch keine Psychologen beschäftigen, das tun werden, reicht das oder fordern Sie als Spielergewerkschaft da auch konkrete gesetzliche Regelungen?

Baranowsky: Also ganz wichtig ist, dass man innegeht als Verantwortlicher und dann schnell handelt. Und es gibt, wie gesagt, schon gute Beispiele von Clubs, die Psychologen beschäftigen, die sich auch öffnen für so eine Thematik. Es wäre wirklich wünschenswert, wenn weitere Maßnahmen folgen würden, wie auch immer dann geartet.

Kassel: Ulf Baranowsky, der Geschäftsführer der Spielergewerkschaft Vereinigung der Vertragsfußballspieler, zu dem Druck, der heutzutage auf Profifußballern lastet und wie man diesem Druck entgegenwirken kann und soll. Herr Baranowsky, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Baranowsky: Dankeschön!