Die Utopie vom Grand Paris

Von Kathrin Hondl · 02.10.2009
Die architektonische Zukunftsvorstellung "Grand Paris" soll Vorstädte und das historische Zentrum der französischen Hauptstadt zu einer großen urbanen Einheit werden lassen. Wie und ob dies möglich ist, darüber debattieren Architekten, Politiker und Bewohner.
"Wahr, schön, groß, gerecht" - so wünscht sich Nicolas Sarkozy das "Grand Paris" der Zukunft, wenn Banlieue und historisches Paris eine große urbane Einheit werden. Doch schon der geplante Bau einer neuen superschnellen Metrostrecke rund um Paris sorgt für Streit. Die Finanzierung des 35 Milliarden-Projekts ist das eine - das andere die politische Macht. Kommunalpolitiker in Paris und den Vororten fühlen sich von den Grand Paris-Plänen der Staatsspitze überrollt und protestieren gegen eine, wie sie sagen, "demokratische Enteignung der Bürgermeister".

In der Grand-Paris-Debatte sind alle wichtigen Fragen noch offen, meint der Schweizer Architekt Bernard Tschumi:

"Die aktuelle Polemik und die Diskussionen spiegeln wider, wo 'Groß-Paris' im Moment steht. Es gibt keinen Konsens, keine klare Richtung. Man redet zwar über den öffentlichen Nahverkehr, über dieses und jenes. Aber ich denke, der Weg zu einer vernünftigen Strategie ist noch weit - falls es überhaupt dazu kommt."

Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Auseinandersetzungen wirkt das Grand-Paris-Kolloquium im Centre Pompidou wie ein Versuch, die Uhr noch einmal zurückzudrehen. Denn während ein paar Kilometer weiter in der Cité de l'Architecture schon seit Monaten eine Ausstellung mit Grand-Paris-Entwürfen und Ideen von zehn Architektenteams zu sehen ist, wird im Centre Pompidou jetzt sehr grundsätzlich und theoretisch über die Zukunft der Metropolen in dieser Welt diskutiert. Wäre es umgekehrt nicht sinnvoller gewesen? Vielleicht, meint der Architekturkritiker und Kurator Frédéric Migayrou, der das Kolloquium leitet.

"Aber 'Grand Paris' wird sich in den nächsten 30 Jahren entwickeln. Keiner kann heute sagen, ob irgend eines der heutigen Projekte realisiert wird. Die politischen, räumlichen und natürlich ökonomischen Rahmenbedingen ändern sich. Insofern gibt es kein vorher oder nachher. Unser Kolloquium wird live in alle 22 Architektur-Schulen Frankreichs übertragen. Es ist also auch eine Art offene Bibliothek für die künftigen Architekten."

Und so entfaltet sich auf dem prominent besetzten Kolloquium ein breites Panorama architekturtheoretischer Diskurse.

In einem Video - musikalisch begleitet von Patti Smith - präsentierte zum Beispiel der italienische Architekt Andrea Branzi seine Projekte und Ideen der letzten 40 Jahre. Die Utopie No-Stop-City etwa aus dem Jahr 1969 - eine ironische Kritik an der Ideologie der Architekturmoderne. Der Amerikaner Peter Eisenman lieferte - zugeschaltet aus der Yale University in New Haven - einen Essay über das Ende der Krise und der italienische Architekturtheoretiker Vittorio Gregotti sinnierte über die Post-Metropole des 21. Jahrhunderts.

Grüne Architektur, strukturalistische Ansätze, "Morphogenetische Perspektiven" - Es ist eine Debatte auf hohem intellektuellen Niveau und mit Raum für Utopien, die mit diesem "Rendez-Vous du Grand Paris" im Centre Pompidou angestoßen wird. Eine Debatte, die aber auch ganz konkret ein paar bestechende Ideen für das künftige Groß-Paris hervorgebracht hat. Als neue Verbindung zwischen Banlieue und historischem Zentrum schlägt zum Beispiel der holländische Landschaftsarchitekt Adriaan Geuze vor, Straßen breit wie Autobahnen zu bauen - aber nur für Radfahrer, Skater und Rollschuhfahrer.

"Ich hoffe, die französischen Politiker werden das große Paris nicht wieder mit großen Monumenten bestücken. Ich würde da lieber eine Brücke der Jahreszeiten sehen, eine grüne Kathedrale oder einen Ökologie-Bogen als Antwort auf den Triumph-Bogen, den Arc de Triomphe."