Die USA als Akteur der Weltpolitik

Rezensiert von Jochen Thies |
In Lothar Rühls neuem Buch geht es um die USA als Akteur in der Weltpolitik. Es ist eine Studie über Machtpolitik zu Beginn des neuen Jahrtausends und zugleich eine Summe von Erfahrungen des Autors, die beim Endkampf um Berlin im April 1945 begannen.
Lothar Rühl, der frühere Regierungssprecher und Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium ist nicht nur vom Jahrgang her in gewisser Weise ein publizistischer Bruder von Peter Scholl-Latour. Beide verbindet eine umfassende Kenntnis des Weltgeschehens, beide sind Kenner Frankreichs. Aber Rühl ist der Analytiker, der sich anders als Scholl-Lator nicht durch momentane Stimmungslagen zu Fehlurteilen verleiten lässt. Rühl weiß, dass die Vereinigten Staaten von Amerika auf absehbare Zeit der entscheidende Akteur in der Weltpolitik bleiben werden.

Davon handelt sein neuestes Buch, eine Studie über Machtpolitik zu Beginn des neuen Jahrtausends, zugleich die Summe seiner Erfahrungen, die beim Endkampf um Berlin im April 1945 begannen, als Lothar Rühl als knapp 18-jähriger Fallschirmjäger den Untergang des Dritten Reiches erlebte. Ruhig und klar ist daher auch die Eröffnung des Werkes, das den beziehungsreichen Titel: „Das Reich des Guten“ trägt. Rühl stellt hier den großen Zusammenhang für seine außerordentlich kenntnisreiche, detaillierte Untersuchung her:

„Drei Mal in 1oo Jahren haben amerikanische Präsidenten eine „Neue Weltordnung“, verkündet Woodrow Wilson am Ende des Ersten Weltkriegs, nachdem Amerika 1917 in diesen eingegriffen hatte, Franklin D. Roosevelt im Zweiten Weltkrieg, den die Macht Amerikas entschied, mit der „Atlantik-Charta“ von 1941 und dem Entschluss, die Vereinten Nationen als Nachfolger des in der Zwischenkriegszeit gescheiterten Völkerbunds zu gründen, schließlich Präsident Bush sen. nach dem Sieg über den Irak und dem Zusammenbruch der Sowjetmacht I991.“

Rühl, der in seiner beruflichen Karriere die meisten Akteure in der Weltpolitik persönlich kennen lernte – auch das schimmert im Buch gelegentlich durch – kommt danach sogleich zu einer Bewertung dieser drei Versuche Amerikas, die Welt nach eigenen Vorstellungen zu modellieren:

„Jedes Mal handelte es sich um einen neuen Ansatz für einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen den Nationen. In jedem Fall führte die experimentelle Politik Washingtons nur zu Teilerfolgen, blieb der große Entwurf unvollkommen, das neue „design“ oder Grundmuster internationaler Verständigung für ein Zusammenwirken aller Staaten unvollendet und von Webfehlern durchsetzt: Die Vision traf jedes Mal auf eine Realität, die sich amerikanischer Gestaltungskraft widersetzte, aber nicht entziehen konnte. Deshalb war die Wirkung der amerikanischen Weltpolitik seit 1919, dem Jahr des Pariser Vorstadtfriedens, der den Ersten Weltkrieg beschloss, bis zum zweiten Golfkrieg 1991 gegen den Irak 85 Jahre später stets nur ein Annäherungswert an den angestrebten Erfolg.“

Rühl ist kein kritikloser Bewunderer der Vereinigten Staaten, im Gegenteil, er beschreibt ausführlich die schwerwiegenden Fehleinschätzungen der Supermacht, die zur jetzigen Lage im Irak beitrugen. Isolationistische und internationalistische Tendenzen führen, wie Rühl in für ihn typischer Weise ausführt, zu einer „Mehrdeutigkeit der gedanklichen Grundlagen amerikanischer Außenpolitik mit situationsbedingten Überraschungseffekten für Freund und Feind“. Winston Churchill hat diesen Umstand bei anderer Gelegenheit einmal so auf den Punkt gebracht: „Es ist Verlass darauf, dass die Amerikaner das Richtige tun, nachdem sie alle anderen Möglichkeiten erschöpft haben.“ In gewisser Weise ist damit auch die Philosophie des Rühl'schen Buches beschrieben, der kalte Blick auf das, was ist, nicht auf das, was wünschenswert wäre. Entsprechend deutlich fällt das Urteil des Autors über die Zukunft Europas aus:

„Für Europa wird daraus in den kommenden Jahrzehnten eher eine größere als eine geringere sicherheitspolitische und strategische Abhängigkeit von Amerika entstehen, wenn es sich nicht für eine Anlehnung an Russland entscheidet. Die strategische Alternative zu diesem Entweder-Oder zwischen Washington und Moskau liegt allein in eigenen Anstrengungen für militärische Stärke und militärtechnologische Modernität wie für das dafür nötige Wirtschaftswachstum und die Erhöhung der Militärbudgets in einer am Anfang des Jahrhunderts noch nicht in Aussicht genommenen Größenordnung als Basis realer Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit in der Welt. Vor allem Italien, Deutschland und Spanien müssten dafür überproportionale Aufwendungen machen. Aber auch solche Programme würden enge Kooperation mit den USA auch in der NATO voraussetzen, also die Bindungen nicht lockern können.“

Rühl konstatiert, dass Großbritannien zu Beginn der 90er Jahre Deutschland als wichtigsten europäischen Partner der USA abgelöst hat und dass Europa der Frage der Macht nicht entrinnen kann. Die Risiken, die durch den internationalen Terrorismus entstanden sind, bewertet Rühl als nicht zu hoch, er verweist zurecht darauf, dass die Ermordung von zwei amerikanischen Präsidenten, von Lincoln und von Kennedy, die Nation nicht aus dem Gleichgewicht brachte. Skeptisch ist der Autor hinsichtlich der Neigung der USA, einen langen Krieg im Mittleren Osten durchzuhalten, obwohl der Supermacht aufgrund der Abhängigkeiten vom Öl und der abzusehenden Verknappung dieses strategischen Rohstoffes gar nichts anderes übrig bleiben wird.

Das Fazit des erfahrenen Publizisten ist daher eindeutig:

„Krieg bleibt der Welt erhalten, Macht ist zwischen den politischen Kräften verschiebbar wie jedes Gewicht in seiner Bahn, übertragbar und veränderbar, aber nicht aufhebbar, solange es Ursachen der Machtbildung und die Kraft zur Machtausübung gibt.“

Auch kurzfristig betrachtet ist die Prognose Rühls alles andere als rosig. Nach Libyen und Irak sieht er Iran als neue Herausforderung im Mittleren Osten heraufziehen. Europa und Amerika, so mutmaßt er, könnten schon bald vor dem Problem der Durchsetzung des Atomwaffensperrvertrages stehen, notfalls mit Gewalt.


Lothar Rühl:
Das Reich des Guten – Machtpolitik und globale Strategie Amerikas
Klett-Cotta, Stuttgart 2005