Die unsichtbare Sammlung

Von Ute May |
Seit 1971 gibt es die von Ex-Bundeskanzler Willy Brandt begründete Bundeskunstsammlung, mit der die künstlerische Entwicklung in Deutschland dokumentiert werden soll. In der Bonner Ausstellung "Nur hier" können die jüngsten Ankäufe besichtigt werden.
Es ist ein fröhliches Konglomerat an künstlerischer Produktion, das in der Bonner Bundeskunsthalle und tatsächlich "Nur hier", wie der Titel verspricht, zu sehen ist. Gleich zu Beginn des Rundgangs stehen auf zwei weißen Sockeln eine rosarote und eine leuchtend grüne Keramik, beide etwa groß wie ein Fußball. Es sind Autoscheinwerfer vom Schrottplatz, veredelt durch eine glänzende Außenhaut. Formal gelungen und witzig gedacht. Entscheidend war, sagt Ausstellungsleiterin Susanne Kleine, die die Schau aus den Ankäufen der vergangenen fünf Jahre konzipiert hat:

"Arbeiten anzukaufen im Sinne: Was ist die Sammlung der Bundesrepublik Deutschland? Was heißt das? Ist das eine Sammlung, die sich mit rein ästhetischen, formalästhetischen Aspekten beschäftigt? Welche Aspekte sind wichtig. Keiner weiß, ob von den Künstlern heute - das die neuen Baselitz, Polkes oder Richters werden."

Natürlich verfolgt die fünfköpfige Ankaufkommission aus Kunsthistorikern und Museumsfachleuten, die unter anderm bei den wichtigsten internationalen Kunstmessen nach geeigneten Arbeiten Ausschau halten, dabei eine klare Linie:

"Der rote Faden ist, glaube ich, wirklich der Aspekt der Werte: Was ist für uns ein Wert, und wie unterscheidet sich die Wertigkeit? Ist es eine subjektive persönliche Wertigkeit, hat das Werk einen allgemeingültigen Wert?"

Man gewinnt den Eindruck, dass in der Bonner Ausstellung sehr viel Experimentelles mit hoher künstlerischer Kompetenz und Ideenreichtum zusammengetragen wurde. Da werden Tendenzen sichtbar, die völlig unabhängig voneinander mit großem zeitlichem Abstand künstlerisch reflektiert werden. Es gehe aber durchaus auch um die Reflexion politischer Ereignisse, korrigiert Susanne Kleine und weist auf eine Arbeit, die sich auf Willy Brandt bezieht:

"Brandt hat ja sich massiv für die Sammlungsgründung eingesetzt. Also, nur seiner Initiative ist es zu verdanken, dass eben eine Sammlung des Bundes entstanden ist. Da ist es natürlich besonders charmant, wenn man jetzt eben ein Werk in der Ausstellung hat, das Brandt spiegelt, allerdings hier in dem Fall in der unglücklichen Guillaume-Affäre."

Thomas Kilpper hat ein Foto aus jener Zeit als großformatigen Linolschnitt in den Fußboden des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit in der Berliner Normannenstraße übertragen und damit ein wichtiges Stück deutsch-deutscher Geschichte ins Museum geholt.

250 neue Arbeiten in den vergangenen fünf Jahren
Die Kunstsammlung des Bundes umfasst alle künstlerischen Genres. Zum Sammlungsauftrag zeitgenössischer Kunst in Deutschland gehören heute aber mehr denn je auch die Positionen ausländischer, in Deutschland lebender Künstlerinnen und Künstler. Der Tscheche Harun Farocki hat eine verstörende Video-Kombination produziert.

"Farocki bezieht sich hier auf tatsächliche Übungen mit Soldaten, die anhand von Computerspielen eben den Ernstfall proben. Und diese Computerspiele als solche gibt es ja auch, auf die bezieht er sich ja konkret."

Im Kontrast dazu Philipp Lachenmanns Video "Blue Hour Lullaby" von 2008. Zwölf Minuten lang kann man in meditativer Ruhe betrachten, wie sich der nachtblaue Himmel kaum merklich verändert.

Die Ausstellung ist anstrengend und spannend zugleich, weil man sich mit jedem Schritt auf ein neues Thema einstellen muss. Manchmal erschließt sich eine Arbeit nicht sofort, zuweilen muss man spontan lachen. Wie bei einem der Lieblingsstücke von Ausstellungsleiterin Susanne Kleine. Es ist ein Ready-made mit dem Titel "Rodeo Drive":

"Jimmy Durham hat ein wunderbares Fetischkultobjekt eben auch gefertigt. So ist dieser Stierkopf gefertigt aus Abflussrohren und einem echten Horn und einem Holzklotz. Also, er spielt hier mit allen Assoziationen ..."

… und blickt auf eine sogenannte Madonna, deren Kopf die Amerikanerin Stef Heidhues aus zahlreichen Fahrradketten gebildet hat.

In den vergangenen fünf Jahren haben gut 250 neue Arbeiten die bundeseigene Kunstsammlung auf 1500 Artefakte vergrößert. Der Ankaufsetat ist mit 500.000 Euro pro Jahr geradezu bescheiden. Manche Künstlerin, mancher Künstler der jetzt ausgestellten 100 Arbeiten ist noch gänzlich unbekannt. Inzwischen prominente Künstler wie Georg Baselitz, Markus Lüpertz, R. A. Penck oder Gerhard Richter sind nur mit kleinen Arbeiten vertreten. Wichtige andere deutsche Künstler findet man in der Sammlung leider gar nicht.

Auf eine Besonderheit dieser Kunstsammlung weist Susanne Kleine hin:

"Es gibt ja kein Museum, in dem sie ausgestellt ist, sondern sie ist tatsächlich entweder im Lager zu sehen, oder einzelne Werke hängen in bestimmten Ministerien. Sie ist wirklich eine unsichtbare Sammlung, wenn man mal von der Datenbank absieht, die im Internet einsehbar ist."

Man darf deshalb sicher davon ausgehen, dass es keine zweite Kollektion von 1500 Kunstwerken aus den letzten vier Jahrzehnten in einer solcher Vielfalt und künstlerischen Bandbreite gibt.


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