Die Union und die Wirtschaft

Von Michael Groth · 20.06.2006
Jubel konnte Angela Merkel beim Bundesverband der Deutschen Industrie nicht erwarten. Der Beifall, der sie empfing war entsprechend mager, der Applaus nach der Rede ebenso.
Der Wirtschaft ist unzufrieden. Nicht erst seit gestern deutlich, als BDI-Präsident Thumann die Koalition massiv kritisierte. Dabei richtet sich die Kritik vor allem an die Unionsseite der Regierung: ein Spiegel der Hoffnungen, die Angela Merkel und ihre Mannschaft vor der Septemberwahl des vergangenen Jahres verbreiteten. Gemeinsam mit der FDP versprach man "goldene Zeiten". Von Änderungen im Tarifrecht bis zu einer Steuerreform, die Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen sollte.
Die Wähler haben anders entschieden.

Seither werkelt die große Koalition an der Reformbank. Auf der Suche nach dem gemeinsamen Nenner erreichen CDU/CSU und SPD oft nur Null, wie Thumann zu recht formuliert.
Die Industrieverbände sehen ihren Einfluss schwinden. CDU-interne Gruppen wie Wirtschaftsrat und Mittelstandsvereinigung sind eingebunden in ein Loyalitätsgeflecht. Widerspruch zu schwarz-roten Projekten, etwa beim Kombilohn, wird aufgewogen durch Stellungnahmen der anderen Parteiseite. In einer CDU, deren Sozialdemokratisierung unter Angela Merkel Fahrt aufnimmt, hört man im Zweifel lieber auf die Sozialausschüsse als auf die Industrieverbände.

Dass die Industrie fähige Köpfe in der Politik sucht, mit deren Hilfe sie ihre Lobby verbessern will, das sollte indes niemand wundern. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag Röttgen wird demnächst Hauptgeschäftsführer des BDI. Dies ist nur das jüngste Beispiel einer Tradition. Der CDU-Abgeordnete Göhner spricht neben Dieter Hundt für den Arbeitgeberverband, und Röttgens Vorgänger beim BDI ist Ludolf von Wartenberg, auch er war Bundestagsabgeordneter.
Die Tätigkeit der Herren ist in ihren Wahlkreisen kein Geheimnis. Solange die Wähler den Doppelhut akzeptieren, solange besteht kein Grund, das Mandat niederzulegen.

Politik ist eine Verflechtung von Interessen. Dass diese Interessen nicht einseitig Einfluss auf die Gestaltung der Regierungsgeschäfte nehmen, dafür sorgen die Gliederungen in der Union, dafür sorgt der Koalitionspartner – traditionell gewerkschaftsnah -, dafür sorgt nicht zuletzt die Kanzlerin, die von der Befürchtung weiter entfernt ist als je zuvor, sie könne sich zu einer deutschen Margaret Thatcher entwickeln.

In Norbert Röttgen verliert sie übrigens einen der geschicktesten Verkäufer jener Politik, die die Wirtschaftsverbände kritisieren. Auf die Einschätzungen des künftigen BDI-Geschäftsführers Röttgen darf man gespannt sein. Verdenken kann man ihm den Wechsel nicht. Seit er nicht, wie ursprünglich vorgesehen, Kanzleramtschef wurde, suchte er nach Alternativen.